Troisdorf – 8:53 Uhr – S13

Früher habe ich immer die besten Gedanken und Ideen in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit gehabt und die Fahrt dann damit verbracht, die Texte in meinem Kopf auszuformulieren. Seit ich Bruce habe, scheint mein Kopf leer zu sein. Möglicherweise liegt das daran, dass ich Bruce Festplatte Gehirn (C:) genannt habe und sich nun das meiste dort abspielt.

So nutze ich also die morgendliche Fahrzeit, um Mitreisenden zu Beobachten. Heute, zum Beispiel, bin ich wieder zu spät dran und muss die S13 um 8:53 Uhr nehmen. Diese Bahn ist nie wirklich voll, da die meisten Leute schon auf der Arbeit sein müssen und eine der Bahnen zuvor genommen haben.

Rechts sitzt ein Mann in Jeans, einem grauen verwaschenen Feinripp-Shirt und schwarzen, sichtlich abgenutzten aber dennoch gepflegten Slippern. Ich finde Männerslipper haben immer etwas von Mafioso.
Er trägt einen schwarzen Oberlippenbart, wellige schwarze Haare, die dringend mal wieder einen Schnitt benötigen und liest die Hürriyet.
Gibt es eine türkische Mafia? Muss ich mal recherchieren.

Ein Mädchen, etwa 7 Jahre, welches mit seiner Mutter und seiner Schwester weiter vorne sitzt, singt „Hey Du da, im Radio!“ Die Stimme ist gar nicht so schlecht und ich finde es durchaus amüsant und unterhaltsam. Auf alle Fälle besser, als diese MP3 dudelnden Handys. Trotzdem ermahnt die Mutter sie mehrfach zur Ruhe und übertrifft ihre Tochter dabei in der Lautstärke deutlich.

Haltestelle Spich. Ein junger Kerl steigt ein, typische Selbstmachfrisur, schwarzes T-Shirt (auf dem steht etwas von 2KM.org, nachher direkt mal googeln), schwarze Sonnenbrille, schwarze Hose und schwarze DocMartens. Für meinen Geschmack ein wenig zu düster, besonders jetzt, wo doch dann endlich mal der Sommer kommen soll. Er sitzt mir gegenüber und liest DIE ZEIT – Kinder-Edition „Lilliput im Exil“. Das macht ihn mir sympathisch. Pfui, diese Vorurteile.

Es steigt ein Mann mit grauen Haaren und einem dieser Einkaufswagen mit zwei Rollen zum hinter sich her ziehen dazu. Herrenslipper, schon wieder. Er kaut unaufhörlich an seiner Unterlippe rum, was mich daran erinnert, dass ich seit einem Tag auch ständig an der Unterlippe blute. In meinem Kopf verbünden wir uns, dank unseres gemeinsamen Schicksals.

Köln/Bonn Flughafen, many, many Stations to go. Wir halten vor einem Plakat von Germanwings, auf das jemand mit Filzstift „Wir wollen mehr Ziele ist Osteuropa“ gekritzelt hat. Wer’s braucht.

Ich verliere das Interesse an meinem Mitreisenden und wende mich wieder meinem neuen Hörbuch „Puls“ von Stephan King zu. Gleich erstmal einen schönen Kaffee.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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10 Gedanken zu „Troisdorf – 8:53 Uhr – S13

  1. „Haltestelle Sprich“ heißt die nicht „Spich“? ist aber ja auch egal denn für einen richtigen Bahnhof hats bei denen ja sowieso nicht gereicht:razz:

    Aber trotzdem danke für die errinerung, morgen kommt mein Patenkind vorbei und mir ist endlich eingefallen das ich nochmal extra für sie nach meinen „Rolf und seine Freunde“ LP`s suchen wollte (LPs, das sind diese schwarzen scheiben die etwas Größer sind als CDs, und von beiden Seiten bespielt sind…)

  2. Ha, ich fuhr in der S12 davor ;-)

    Allerdings sehr unspektakulär – oder ich bin gern und massiv durch das leicht wirre „Wilde Reise durch die Nacht“ von Moers abgelenkt gewesen….

  3. Jaja, EDV macht dumm (OK, ich verdiene mir auch meinen Lebensunterhalt damit, aber das ändert nichts an der Tatsache selbst).
    Man merkt sich keine Handynummern mehr, verlernt das Kopfrechnen, Termine stehen im PDA und man verlegt das Gehirn auf die Festplatte (sollte die nicht besser „Gedächtnis“ heißen?).
    Leute im Zug beobachten fand ich auch immer lustig, als ich im Zug gefahren bin.
    Immer wieder ein highlight ist der Streit um einen reservierten Sitzplatz, der in 90% der Fälle damit endet, dass einer im falschen Wagen ist.
    Wie findest du „Puls“? Für mich ist es seit langem mal wieder ein richtig guter „King“.

  4. Puls ist von der ersten Minute an unheimlich spannend. Weit bin ich noch nicht. In Stunden gemessen bin ich etwa in der vierten Stunde, was jemandem, der das Buch liest, wahrscheinlich nicht weiter hilft ;)

  5. Mal was zur Erweiterung des Vokabulars: Diese Einkaufswagen mit zwei Rollen zum hinter sich her ziehen heißen umgangssprachlich „Hackenporsche“. :-)

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