ich liebte es

Am Troisdorfer Bahnhof wird gebaut. Folglich besteht der Bahnsteig derzeit zu 50% aus Schotter. Wenn die Sonne auf den Schotter scheint, so wie in den letzten Tagen, dann entwickelt sich ein ganz bestimmter Geruch. Ich kann diesen Geruch nicht näher beschreiben. Er ist weder unangenehm noch besonders gutriechend. Aber er erinnert mich.

Als ich klein war verbrachte ich die Sommerferien oft bei meiner Oma und meinem Opa in Kassel. Mein Opa hatte einen kleinen Schrebergarten, in welchem er Gurken, Karotten, Kartoffeln und Bohnen anbaute und in welchem gleichzeitig wunderschöne Äpfel- Birnen- und Kirschbäume wuchsen. Der Weg zum Garten war mit dem selben grauen Schotter ausgelegt, welcher im Sommer unerträglich heißt wurde und barfuss grundsätzlich nicht begehbar war, weil die kleinen spitzen Steinchen sich sofort in meiner vierjährigen Fußsohle schmerzhaft versenkten.

Mein Opa beherrschte die Kunst des Bäume Veredelns. An seinen Apfelbäumen wuchsen folglich an einem Ast auch Birnen, an einem weiteren Mirabellen. Als Kind habe ich oft stundenlang unter diesem veredelten Baum gesessen und die Früchte bestaunt. Ich fand es völlig unvorstellbar und faszinierend, dass aus einem einzigen Baum drei Obstsorten wuchsen.

Ich liebte die Bohnen und Kartoffeln, die meine Oma mittags auf dem kleinen Gasherd in der Laube kochte. Zum Nachtisch gab es frisch gepflückte Erdbeeren oder Kirschen. Es war ein Kindertraum.

In der Schrebergartenkolonie gab es auch große Wasserbecken, in welchen man Frischwasser holen konnte, um z.B. Kaffee zu kochen. Im Sommer, bei großer Hitze, siedelten kleine Mückenlarven darin an, welchen sich spiralenförmlich nach unten schraubten, wenn man den Wasseroberfläche berührte. Auch dieses Phänomen konnte ich stundenlang beobachten.

Ein Freund hatte mir damals erzählt, dass Hummeln nicht stechen würden. Ich erinnere mich, wie ich auf dem schmalen Plattenweg zwischen den Blumenbeten vor einem Gardenienbusch in die Hocke ging und eine besonders dicke und plüschige Hummel streichelte. Der Brummer biss mir darauf hin direkt unter den Nagel in den Daumen was mich laut aufheulen ließ. Aus Rache versenkte ich später einen Artgenossen in meinem kleinen grünen Gießkännchen.

Gestern, als ich den Geruch von Schotter in brütender Hitze wahrnahm, habe ich meinen Opa und den Schrebergarten schmerzlich vermisst. Mein Opa starb 1993 an einem Gehirntumor, woraufhin meine Oma aus Kassel und von dem kleinen Schrebergarten fort zog.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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7 Gedanken zu „ich liebte es

  1. es ist faszinierend welche erinnerungen gerüche hervorrufen können…

    gestern abend wehte ein duft durch die offenstehende balkontür, der mich an die sommerlichen tage voriges jahr in bordeaux erinnerte…süßlich, dumpf, verbrannter tabak und noch viel mehr unbeschreibliches…als ich heut morgen die balkontür öffnete überkam mich die erinnerung an einen österreich urlaub mit meinen eltern…

    gerüche ermöglichen zeitreisen… :smile:

    man müßte „das parfum“ :luv: mal wieder lesen fällt mir da noch ein…

  2. Ein wunderschöner Beitrag! Kann ich gerne nachvollziehen, obwohl ich keiner bin, der an die Dinge dahinten denkt. Hat mich daran erinnert, dass ich das mal wieder tun sollte…

    Danke
    Der Surrounder

  3. oh, das kenne ich sehr gut. Ich weiß nicht, aber ich habe in meiner Kindheit genau das gleiche erlebt. Meine Großeltern hatten in Frankfurt an der Nidda einen Schrebergarten. Und ich habe dort viele Kiderjahr verbracht und die Natur und die Zauberkünste meines Opas bestaunt. Vor allem war ich begeistert von den Hummeln, die auf einer Diestelblüte sitzen und sobald man sie mit der Fingerspitze antupste, hob sie ihr Beinchen. Das sind Erinnerungen, die ich mein Leben nicht mehr vermissen möchte. Leider hat mein Opa nun seit Nov letzten Jahres seine dritte HüftOP hinter sich und kann nun nicht mehr richtig laufen. Und so musste auch er seinen und von uns heißgeliebten Garten hergeben.

    Es ist ein schmerzliches Leid für ihn aber ich denke gerne an die Zeit zurück, in der ich in der Wasserschüssel an heißen Tagen gesessen habe und mit meiner SChwester das Gummientchen habe schwimmen lassen :roll:

    Natürlich an dich mein großes Beileid. Ich könnte jetzt nicht verkraften, wenn meinem heißgeliebten Opa das selbe SChicksal ereilt. Aber ich hoffe, dass er noch ein Weilchen unter uns weilt :smile:

    Oh, ein vielleicht zu langer Kommentar ?
    Entschuldige dies :oops:

    Liebe Gruß
    Letta

  4. Was ist das nur mit unseren Großeltern und den Sommergerüchen?
    Vorletztes Wochenende war ich im Garten der Villa Carlotta am Comer See (http://www.mar-tina.de/?p=114). Jede Pflanze, jeder Busch, jeder Baum hat mich an meine liebe Omi erinnert, die mit ihren zähen 1,60m noch mit 75 Jahren allein eine Nordmanntanne gefällt hat. Natürlich ohne uns etwas davon zu erzählen (aber auch nur deswegen, weil das knapp 10m grosse Teil das Haus um ein paar Glückszentimeter verfehlt hat). Dieser Garten wäre für sie ein Traum gewesen.

    Was antworte ich bei Tabu auf die Beschreibung „ist schwarz-gelb gestreift und macht brumm-brumm“? … Kartoffelkäfer. Soviel zu meiner Kindheit zwischen Gurken, Kartoffeln, Bohnen und Monster-Kürbissen.

    Omi hatte einen grünen Daumen, Golfrasen und unerschöpfliche Obst- und Gemüsebeete. Tagaus, tagein pflegte, hegte und harkte sie was das Zeug hielt.
    Ich als Zwerg sauste durch die Gewächshäuse, planschte in der Wanne und dachte, Omi ist immer da.

    Sie ist es, leider seit 3 Jahren nur noch in unseren Herzen. :cry:

  5. es ist immer wieder tief erschütternd wenn einem Erinnerungen treffen

    meist is das so überwältigend das man …..

    zum glück nur einmal in xxxx jahren :grin:

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