Von Schuhen, Straßenfegern und dem Glück

„Er hat noch nie so gut ausgesehen“, sagt sie und verlegen schaue ich auf die Spitzen meiner Schuhe.

Ich trage meist sehr spitze Schuhe. Eine Eigenart, die ich mir rund ein Jahr, nachdem spitze Schuhe in Mode kamen, aneignete. Die Absätze klappern meist laut und ich erinnere mich manchmal daran zurück, dass es eine Zeit gab, in der ich laute Absätze als störend empfand. Jedenfalls so lange sie sich unter meinen Füßen befanden. Laute Absätze waren etwas für Frauen, die nach vorne schauten, wenn sie rhythmisch einen Fuß vor den anderen setzten und dabei so selbstbewusst wirkten, dass ich sie dafür bewundern musste. Ich hingegen, in meiner Pubertät eher leicht untersetzt und noch dazu recht klein, sah immer auf meine Schuhspitzen, oder auf den Boden vor mir, während ich mit leisen Schritten voran eilte.

Beppo, der Straßenfeger aus Michael Endes „Momo“, erklärt in eben dieser Geschichte dem braunäugigen Mädchen mit den Wuschellocken, dass man schneller an sein Ziel käme, wenn man einen Schritt nach dem anderen mache. Eine Straße erschiene viel kürzer, wenn man sich nur auf den nächsten Schritt, nicht auf das Ende der Straße konzentrieren würde.

Und so senkte ich eines Tages des Blick auf meine Füße, während ich der langen Straße folgte, die mich von meinem Spielkameraden nach Hause führte. Und Beppo behielt Recht. Der Weg erschien mir plötzlich nur noch halb so lang, denn das Ende der Straße war so plötzlich und unerwartet vor mir aufgetaucht, dass ich erstaunt aufsah und dann hinter mich blickte.

Diese lange Straße hatte ich so schnell hinter mir gelassen? Die Straße, die sonst so ellenlang schien und sich mehr als schleppend dem Ende neigte?

„Das liegt bestimmt an dir.“, sagt sie und ich hebe meinen Blick, werde leicht rot und lächle ein wenig beschämt. Dann flüstere ich ein „Danke“ und greife nach meiner Jacke. Als ich Richtung Haustür gehe, klappern meine Absätze laut auf den braunen Fliesen und mein Blick ist nach vorne gerichtet. Er wartet schon an der Tür und grinst mir entgegen.

An dem Tag, an dem ich begriffen habe, dass ich nicht immer nur auf meine Füße schauen kann, um ein Ziel schneller zu erreichen, habe ich wohl auch den ersten Stein zu dem Glück gelegt, das ich heute empfinde. Es gibt Dinge, auf die sich das Warten und für die sich das Kämpfen lohnt. Mit gehobenem Blick und klappernden Absätzen.

Ich piekse ihm in die Seite und lache dann laut. „Kleiner Scheißer.“, sagt er und lacht ebenfalls.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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3 Gedanken zu „Von Schuhen, Straßenfegern und dem Glück

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