Aller Anfang …

Das kleine Löwenmäulchen, mit seinem kurzen, kuscheligen, braunen Flaumschopf. Mit seinen dunkelblauen, bunt gesprenkelten Augen. Mit diesem Blick, dieser Mimik, dieser Wärme und dieser unglaublich starken Persönlichkeit. Dieses kleine Löwenmäulchen war in den ersten Stunden und Tagen auf dieser Welt ein Kind ohne festen Platz. Inspiriert durch Frau Blümel und ihre offenen Worte zum Ende ihres Geburtsberichtes hin, möchte ich heute, mit ausreichend Abstand und klaren Gedanken, einmal das formulieren, was mich als frischgebackene zweifache Mutter umtrieb.

Bei der ersten Geburt, der Geburt des Quietschbeus, war die Euphorie und Freude über das kleine Wunder Mensch so überwältigend, dass ich in meiner Mutterrolle von Anfang an aufging. Natürlich mit all diesen Startschwierigkeiten, die man als Erstlingsmutter hat. Mit Unsicherheit, übersteigerter Sorge, Unruhe und manchmal auch Angst. Aber ich habe nicht eine Sekunde an mir als Mutter oder meinen Gefühlen für mein Kind gezweifelt.

Mit der Geburt des Quietschbeus wurden wir Eltern und eine richtige Familie. Wir als Menschen veränderten uns. Unser Liebensmittelpunkt veränderte sich. Die meiste Zeit drehte sich um den kleinen Mensch in unserer Mitte, um die vielen ersten Male, die wir mit ihm gemeinsam erlebten und um diese Verbundenheit, die mit jedem Tag, jedem Fünkchen mehr Persönlichkeit des kleinen Quietschbeus, stärker wurde und uns eine neue Form von Zuneigung und Liebe offenbarte.

Die Freude über die erneute Schwangerschaft war groß, doch zum Ende der Schwangerschaft hin verstärkten sich meine Sorgen. Viele von ihnen kann man hier nachlesen. Angst, dem Quietschbeu nicht mehr ausreichend Aufmerksamkeit schenken zu können, Angst ihn zu überfordern, Angst, dass aus ihm ein eifersüchtigen Störer wird, Angst, das neue Kind nicht ebenso lieben zu können und zuletzt natürlich die Angst einfach gnadenlos überfordert zu sein.

Dann wurde das Löwenmäulchen geboren.

Als er aus mir raus glitt und unter mir lag, war ich im ersten Moment nur erleichtert, dass es vorbei war. Ich nahm den kleinen Mann hoch, streichelte ihn, drückte ihn an mich, sprach leise mit ihm. Aber die Freude und Euphorie, wie ich sie bei der Geburt des Quietschbeus empfunden hatte, blieb aus. Und das, obwohl diese Geburt so viel leichter und schneller gegangen war.

Das Löwenmäulchen hatte ein hartes Erbe anzutreten. Der Quietschbeu, der bereits 14 Monate Zeit gehabt hatte seine kleine feine Persönlichkeit zu entwickeln, die Hauptrolle in unserem Leben einzunehmen und diese bisher unbekannt starke Form von Liebe – wie man sie eben nur für sein eigenes Kind empfinden kann – in uns zu wecken, hatte seinen Platz fest und sicher. Nun war da dieser zarte, kleine Mensch, der uns nur kurz gemustert hatte, bevor er schlief, schlief, schlief. Wir kannten einander nicht, waren uns fremd. Auch wenn er 42 Wochen in meinem Bauch gewachsen war, so wusste ich doch nichts von ihm.

Es machte mir ein wenig Angst, dass erste Mal nach der Geburt wieder auf den Quietschbeu zu treffen. Als er am Nachmittag ins Krankenhaus kam, war er für mich in nur einer Sekunde um Jahre gealtert. Er war mein großer Junge und erst da wurde mir bewusst, was wir eigentlich in den vergangenen 14 Monaten alles erlebt hatten. Vom neugeborenen Würmchen zum frechen Einjährigen. Unfassbar. In so kurzer Zeit!

Meine Angst und Sorge beiden Kindern nicht gleichermaßen gerecht werden zu können störte kurze Zeit auch mein Verhältnis zum Quietschbeu. Ich war distanziert, hatte Probleme ihn körperlich ganz nah an mich ran zu lassen. Ich war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch eine gute Mutter zu sein und der Angst gänzlich zu versagen.

Ich hatte das Löwenmäulchen rund um die Uhr an, auf oder neben mir. Ganz selten lag es in diesem Glaskasten, den das Krankenhaus als Babybett bereit stellt. Ich wollte den kleinen Menschen riechen, sehen, spüren, um ihn endlich kennenzulernen. Um ihn ebenso fest in mein Herz schließen zu können, wie ich den großen Bruder im Herzen trug.

Ich weinte viele Tränen, sicher auch ausgelöst durch den Hormonumschwung nach der Geburt, weil ich mich als so ungerecht und hartherzig empfand, nicht dieses unbändige Liebe für mein kleines Löwenmäulchen, das so unglaublich geduldig und lieb war, zu empfinden.

Zunächst dachte ich, es ginge nur mir so. Doch dann sagte der Miezmann noch im Krankenhaus zu mir, dass es schon komisch sei. Da läge er nun, der kleine Mann. Aber eigentlich wäre er ein völlig Fremder. Sein Bruder habe schon eine richtige Persönlichkeit, Vorlieben und einen Willen. Und das Löwenmäulchen sei ein völlig unbeschriebenes Blatt.

Nach diesen Worten fühlte ich mich einerseits erleichter, andererseits hatte ich Angst, dass der Miezmann den Quietschbeu dem Löwenmäulchen vorziehen würde. Ein unfairer Gedanke, bedenkt man, dass ich ja ebenso empfand, wie er.

Als ich mit dem Löwenmäulchen nach Hause kam und sich unser Alltag mit nun zwei Kindern finden musste, war es stellenweise noch mal sehr schwer für mich. Der Quietschbeu, der meine Aufmerksamkeit forderte und den ich oft vertrösten musste oder zu Papa schickte, eben weil das Löwenmäulchen mich noch viel mehr und noch viel intensiver brauchte. Ich hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen gegenüber dem Quietschbeu und hatte oft das Gefühl, ihn abzuschieben.

Besser wurde es erst, als der Miezmann wieder arbeiten gehen musste und ich gezwungen war, beide Jungs unter einen Hut zu bekommen. Erstaunlicherweise gelang mir das auf Anhieb sehr gut. Vielleicht war es Intuition, vielleicht aber auch nur ein wirklich pflegeleichter Quietschbeu. Das Löwenmäulchen schlief entweder oder wurde gestillt. Es weinte nahezu nie und wenn doch reichte es, ihn auf den Arm zu nehmen. Er lief so nebenher, wurde recht schnell auch nur so nebenbei gestillt und verbrachte viel Zeit im Bondolino. Oft bemerkte ich erst Minuten später, dass er darin eingeschlafen war.

Dann kam die Zeit, in der wir die Abreise des Miezmannes vorbereiteten. Meine Angst der Überforderung bekam neues Feuer. 10 Wochen ganz alleine mit dem wilden Quietschbeu und dem neugeborenen Löwenmäulchen. Der Gedanke daran trieb mir Schweißperlen auf die Stirn. Aber da es keine Alternative gab, galt „Augen zu und durch“.

Es war der zweite Abend nach der Abreise des Miezmannes. Der Quietschbeu schlief bereits seit drei Stunden selig in seinem Bett und auch ich hatte mich neben das Löwenmäulchen in das nun sehr leere Ehebett gelegt und wollte schlafen. Erst hörte ich das leise Schmatzen, mit dem das Löwenmäulchen stets seinen Hunger ankündigt. Dann spürte ich die kleine rudernde Hand, die gegen meinen Arm schlug. Ich schaltete das Stillicht ein und zog das kleine Wesen ganz nah zu mir, um ihn zu stillen. Mit geschlossenen Augen schnuffelte er nach der Brust, fand sie und begann gierig zu saugen. Erschöpft von der ganzen Anspannung der letzten Wochen und Tage flossen plötzlich sehr große und tonnenschwere Tränen. In meinem Kopf hielt ich einen Dialog mit mir selber. Dass ich stark sein müsse und dass ich das schon schaffen würde. Und dass ich mir das so ausgesucht hätte. Den Mann und die Kinder. Und während ich so stumm mit mir selber schimpfe gucke ich zum Löwenmäulchen runter, das friedlich neben mir liegt, die Brust im Mund und die Augen weit offen. Er sieht mich an und es scheint ein wenig, als würde er mich beobachten. Ich sage leise „Hee.“ und stupse ihn sachte an.

Da lacht er. Seine Augen funkeln und seine Mundwinkel verziehen sich zu einem richtigen Grinsen.

Es schien, als würde er über mich und meinen komischen Dialog lachen. Als würde er sagen: „Du, Mama, das ist sooo albern.“

Das war der Moment, in dem mein Herz ganz laut *plopp* machte und sich schlagartig zu verdoppelt schien. Seit dieser Sekunde weiß ich, dass ich meine Söhne beide von ganzem Herzen, mit jeder Faser meines Körpers und jedem Winkel meiner Seele liebe. Innigst. Weder den einen mehr, noch den andere weniger, sondern beide mit derselben Intensität und Stärke, die man eben nur für seine eigenen Kindern empfinden kann.

Ein Blick des Löwenmäulchens und ich schmelze dahin. Die kleine Hand des Quietschbeus, die meine sucht, und ich könnte vor Glück heulen.

In den vergangenen Wochen war es oft das Löwenmäulchen, das mit die Ruhe und Besonnenheit gab, den wilden Quietschbeu geduldig und mit starken Nerven zu begleiten. Und es war der Quietschbeu, der mir Elan und Antrieb gab, dem stellenweise sehr fordernden Löwenmäulchen gerecht zu werden. Wir waren wie drei fest miteinander verbundene Duplo-Steine.

Nun kommt Papa Miez wieder, der sein kleines Löwenmäulchen erst so richtig kennenlernen muss und der erkennen muss, dass der Quietschbeu durch riesen Entwicklungssprüngen sich zu einem kleinen starken Jungen entwickelt hat.

Ich bin mir sicher, dass die Jungs das Herz ihres Papas mit Leichtigkeit erobern werden, ebenso wie sie meines mit einem einzigen Wimpernaufschlag eingenommen haben.

Aller Anfang ist schwer. Aber es ist eben auch nur ein Anfang …

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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13 Gedanken zu „Aller Anfang …

  1. Sehr tapfer, MamaMiez! Auch wenn ich erst ein Kind habe, kann ich mir schon gut vorstellen wie hin- und hergerissen man sich fühlt, wenn Nr. 2 da ist.
    Nach allem was ich so lese, denke ich aber, dass du das wirklich super hinkriegst!!
    Und: Es ist immer wieder schön zu lesen wie sehr du in deinen Mann und die beiden Jungs verliebt bist.

  2. (also damals, jetzt ist dieses „Fremdsein“ hier auch Vergangenheit, zum Glück. Aber manchmal fragte ich mich bisher immernoch ganz leise, ob ich damals und vor allem durch den Depri… einfach nicht „richtig“ war. Und ob es ihr geschadet hat, ob ich ihr nicht eben doch etwas so wichtiges wie diese erste, einfach nur ganz reine Zuneigung ohne so etwas piefiges wie ein schlechtes Gewissen, wie Schuld, einfach vorenthalten habe… )

  3. liebe mamamiez, ich bin hingerissen von diesem eintrag. und obwohl ich erst ein baby habe, konnte ich all ihre sorgen und ängste so gut verstehen und nachvollziehen. ich finds bewunderswert, mit was für einer ehrlichkeit sie sich selbst gegenüber und auch die ehrlichkeit zwischen ihnen und ihrem mann gegenüberstehen. eine super basis fürs weitere familienleben. denn das man an sich zweifelt dann und wann ist doch ganz normal und menschlich. ich meld mich noch per email wg. des passwortes. lg ally mit gustav

  4. So wunderschön geschrieben.
    Ich lag regelrecht mit im Bett und sah Euch zu und mein Herz ging auf.
    Man möchte Euch alle einfach nur umarmen weil ihr so wunderbar warmherzig seid.

    Danke für Deine Zeilen.
    Vermutlich, ganz sicher sogar, wird es mir ähnlich gehen wenn sich ein zweites Menschlein zu uns gesellt. Ich werde dann versuchen mich dann an Euch zu erinnern…

    Sei lieb gegrüßt.

  5. Ich muss mir unbedingt wasserfesten Mascara kaufen. Momentan lese ich allerorts so anruehrige Geschichten, dass ich aus dem Traenchenverdruecken gar nicht mehr rauskomme.

    Fuer mich dauerte es uebrigens schon beim ersten Kind ne ganze Weile, bis aus „dem Baby“, diesem kleinen Wesen, das da ploetzlich bei uns wohnte, der Nico und damit „mein Sohn“ wurde und dieses Gefuehl da war, welches Du beschreibst – diese Liebe, deren Staerke man sich vorher ueberhaupt nicht vorstellen konnte.
    Aber ich hatte auch nie dran gezweifelt, dass sich die einstellen wuerde – ich glaub, man kann einfach nicht anders, wenn die kleinen Wesen dann erstmal da sind und Schritt fuer Schritt ihren Platz in unseren Herzen erobern :)

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