Terroristenzelle

Ich wurde nicht wirklich überraschend Mutter. Das hatte sich irgendwie über 42. Wochen hinweg angekündigt. 42. Wochen in denen ich viel über die tiefen Abgründe meiner Psyche lernte. Mein Körper und mein Geist können grundlos Panik, Verlustangst, Weinen, Schreien, hysterisch Lachen. Oh, und Fressen. Wie ein Schlachtschiff voll mit ausgehungerten Matrosen! Das allein hätte mir schon zeigen sollen, dass da was auf mich zukommt. Also so richtig.

Ich habe früher arroganter Weise geglaubt, dass Muttersein voll der easy Job ist. Die sitzen den ganzen Tag zu hause, spielen ein bisschen mit den Kindern, Kochen in Ruhe für alle zu Abend und Nähen/Stricken/Häkeln vorm Fernseher.

[An dieser Stelle unterbreche ich für einen kurzen sehr hysterischen Lachanfall: AHAHAHAHAHA!]

Dann schlüpfte der große Beebie, wobei das eine sehr romantische und beschönigende Umschreibung für das ist, was da eigentlich passiert. Man wird ja quasi von innen nach außen gestülpt, so einen Moment. FLÖRP³ Aber da will ich gar nicht näher drauf eingehen.

Der Beebie schrie. Die ersten drei Monate ununterbrochen, möchte ich meinen. Der Mann sagt, das käme seiner Erinnerung auch sehr nahe. Ich phantasiere also nicht. Und als er nicht mehr schrie, begann er zu quietschen. Dem Quietschen folgten Skills wie „mit Essen werfen“, „Kabel zerren und zerbeißen“, „mit stoischer Ruhe stundenlang gegen die Glastür hämmern“ etc. Der große Beebie eben. Und wie wir dachten, haste einen Beebie, haste alle Beebies … schlimmer geht’s nimmer, haben wir den kleinen Beebie mit ins Rennen geschickt.

Und der kleine Beebie ist Zen. Entspannt, cool, beobachtend, aber leider Gottes nicht einen Hauch unkreativer, was das produzieren von Scheißelkram betrifft. Er schreit halt nicht dabei. Er macht das still und leise (zum Beispiel in meine Schuhe kotzen und dann weiter krabbeln, dem großen Bruder volle Lotte an den Haaren reißen und dann ganz herzzerreißend Weinen, wenn man von den Schmerzensschreien des großen Bruders angelockt wird).

Ich mein, seien wir ehrlich, wir haben uns Miniterroristen ins Haus geholt. Freiwillig. Man sollte uns den Führerschein entziehen (oder den Gabelstaplerschein, den ich nicht habe).

Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte (berühmte Umwege der Pia D.): Wer glaubt, ein Schreibtisch-/Bürojob sei anstrengend, dem schenke ich mein schönstes, arrogantestes Lachen, das ich zu bieten habe. Ernsthaft. Arbeiten ist Entspannung gegen das, was Miniterroristen so den ganzen Tag und die ganze Nacht und zwischen Tag und Nacht und von Montag bis Montag so von einem völlig selbstverständlich und ohne Entlohnung verlangen. Es ist ein geiler Job, aber eben auch ein deutlich anstrengenderer, als jeder Schreibtischjob.

Was auch mit ein Grund ist, dass ich ganz uffjerecht kribbelich bin, weil man mir einen ziemlich zuckrigen Schreibtischjob offerierte. Däumchen und so, ja?

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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15 Gedanken zu „Terroristenzelle

  1. Daumen sind gedrückt!
    Ich arbeite ja seit November wieder, habe aber auch „nur“ einen Miniterroristen (16 Monate) zuhause.
    Der geht vormittags in die Krippe, und wenn ich ihn nach 5 Stunden Arbeit und über einer Stunde Fahrtzeit (Hin und Rück) mittags NACH seinem Mittagsschlaf abhole, dann habe ich ein super erholtes und waches Kind zuhause, dass nur dumm tüch macht, und Mama hat noch nicht mal zu mittag gegessen ;)
    Aber wir haben es so gewollt, und wir lieben es – wenn wir dann auch froh sind, wenn der Zwerg um halb 8 endlich im Bett verschwunden ist. Spätestens morgens um 5:45 geht ein neuer Tag los…

  2. Ja, die Überschrift könnte auch lauten: „Wenn man zum Entspannen ins Büro geht…“

    Aber die gute Nachricht ist: Es wird auch wieder besser (bis es dann von anderen „Wehwehchen“ abgelöst wird). Und ich möchte die Knöpfe um kein Chaos der Welt missen!

  3. Kopf hoch.

    Wenn man glaubt es hat einen am schlimmsten erwischt… immer dran denken, es gibt Andere, die sind schlimmer dran. :-)

    Ich (bzw. meine Frau) kann das hier locker toppen. :-)

    Zwillinge, das Terror-Doppelpack. :-)

    Was haben wir uns nach den Ruhezeiten gesehnt, in denen wir nur ein Baby hatten. :-)

  4. Danke für diesen Beitrag. Heute morgen noch hab ich mit meiner Frau uber dieses Thema gesprochen. Uns geht es genauso. Und ich rede hier von 3 weiblichen Terroristen (3, 8,8) Da geht die Post ab. Ich aber darf den Tag über auf der Arbeit genießen.

  5. Köstlich! Besonders die Episode, in der der kleine Beebie Ihnen still und heimlich in die Schuhe kotzt :D Ich kann nicht mehr :D

    (Da ich keine Beebie-Erfahrung habe, erinnert es mich gerade an meine Katze, die sowas auch gut konnte.)

    Achso, Daumendrücken wird sofort erledigt.

  6. Nichts als die reine Wahrheit…

    25 Monate altes Monster – 5-7 Tage/Woche Pixelschubsen im Homeoffice und den lapidaren Haushalt/Finanzen/Arzt/Trallalaaaa sowie sonstige familiäre Aktivitäten nebenbei und dann heist es „Du bist ja nur zuhause“
    Und da wollen wir auch noch 2.0 dazubasteln ^^

    Wir kennen die WAHRHEIT!

    *daumendrück*

  7. Erst einmal muss ich sagen, die geilste Beschreibung die ich je über die geburt gehört habe. Von innen nach außen gestülpt. Treffender kann man das nicht umschreiben. Aber ich sag Dir, Kleinkind und arbeiten ist die Hölle. Nicht immer, aber irgendwie ist Colin seit ich arbeite dauerhaft krank und zahnt. Die Zeit, die man mit dem Kind verbringen möchte muss man noch mit dem Haushalt teilen. Täglich zerreißt es mich, das Herz, das ausschließlich seine Zeit dem Kind widmen möchte und der Verstand der den Haushalt verkommen sieht. Und ich bin ein Monk was Sauberkeit angeht. Leider. Ich müsste darüber mal bloggen. Komme aber leider nicht dazu.

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