Hallo, äh, Baby!

Als der große Sohn aus mir raus geflutscht war und die Hebamme ihn mir auf den Bauch legte, da war da im ersten Moment nur diese unfassbare Erleichterung, dass es vorbei war. Ich weinte keine Glückstränen, denn dafür hatte ich nicht mehr einen Funkel Energie übrig. Und entgegen aller rosaroten Vorstellungen und Mutmaßungen, ich würde von diesem Mutterseingefühl überrollt und vor Liebe zerbersten, war da nur unendliche Erschöpfung und Leere. Ich erinnere mich nicht, ob er besonders gut roch, was man Neugeborenen ja nachsagt, oder ob er besonders weich war. Ich erinnere mich nur an die Wärme, die er mir gab und daran, dass ich im ersten Moment sogar vergessen hatte, wie er heißen sollte. Dabei hatte ich Monate lang für seinen Namen gekämpft und mit dem Mann heißeste Diskussionen ausgefochten, bis dieser schließlich nachgab. Ich verschlief letztendlich die ersten 2 Stunden meines neuen Lebens als Mutter, erinnere mich aber nur zu gut an das Bild, das sich mir bot, als ich wieder erwachte. Der Mann saß auf einem Stuhl neben meinem Bett, mit einem riesen Handtuchknäuel auf dem Arm. Irgendwo in diesem Knäuel steckte mein Sohn. Es war wie ein erstes Kennenlernen, als er ihn mir in den Arm legte und ich seine Stubsnase aus den Handtuchlagen lugen sah. „Hallo, äh, Baby!“

Die ersten Tage und Wochen waren geprägt von Unsicherheit und emotionaler Überforderung. Der kleine schlief oder weinte. Geplagt von der berühmt berüchtigten Drei-Monats-Kolik brachte er seinen Unmut über die Bauchschmerzen so unglaublich schrill und laut zum Ausdruck, dass ich mich nicht mehr aus dem Haus traute. Er schrie und quietschte, wie ein Ferkel, dem man nach dem Leben trachtete.

Ich versagte beim Stillen und gab schon am dritten Tag und mit blutenden Brustwarzen auf. Heute frage ich mich oft, ob das Fläschchenfüttern Grund für seine Koliken war. Die anfänglichen Schuldgefühle habe ich aber inzwischen überwunden, denn wie sich zeigte wurde das Kind auch mit der Flasche ganz wunderbar groß.

Befindet man sich in diesen ersten drei Monaten mit Kolik scheint die Zeit ewig anzudauern. Man fragt sich oft, wie man das schaffen soll, wieso man sich so sehr auf das Muttersein gefreut hat und wo jetzt eigentlich diese rosarote Wolke ist, von der man immer alle reden hört. Man verzweifelt, wenn das eigene Kind nachts schrill kreischend um sich schlägt und man es mit seiner Nähe und Liebe alleine eben nicht beruhigen kann. Tatsächlich ist es in den ersten Tagen und Wochen sogar ein Meisterstück Duschen zu gehen. Ich entsinne mich an die euphorische Aussage der lieben Nachbarin, die ein halbes Jahr vor mir zum ersten Mal Mutter wurde, 2 Wochen nach der Geburt ihrer Tochter: „Heute morgen konnte ich sogar in Ruhe Duschen!“ Ich hab damals gedacht, die hat einen Knall! Letztlich ließ mein Kind mich aber die ersten vier Wochen nicht einmal in Ruhe duschen, sofern nicht der Papa zur Überbrückung zugegen war. Ich duschte also entweder morgens um 5 Uhr, bevor der Mann zur Arbeit ging, oder spät abends, wenn er wieder zuhause war. Auch dann konnte ich jedoch nicht länger als fünf Minuten unter der Dusche stehen. Mein Sohn war nämlich der Auffassung, dass Papa ganz nett, aber kein vollwertiger Ersatz für Mama war. Zum Glück hat sich das bis heute verwachsen.

Ich fand keine Zeit mich zu schminken oder mich besonders hübsch zu machen. Nach drei Wochen konnte ich dann auch schmerzfrei mit einem vollgespuckten Oberteil aus dem Haus gehen, denn, seien wir ehrlich, sonst wäre ich gar nichts mehr aus dem Haus gekommen. Das neue Leben mit Baby war eins voller Kompromisse zu meinem alten Leben. Dann eben keine schwarzen Oberteile. Dann eben keine gestylten Haare, sondern Pferdeschwanz, nass zusammen gebunden, weil Föhnen auch nicht mehr drin war.

Das sind nur Fussel auf einem Fußballfeldgroßen Teppich. Dieses Mutterwerden zu Muttersein ist wie eine Bombe, die Alles was man kennt in Sekunden pulverisiert. Danach muss man in mühevoller Kleinstarbeit alles wieder begradigen und begrünen. Mit ein bisschen Routine und der damit zurückgewonnen Gelassenheit beginnen dann auch die ersten Pflänzchen wieder Blüten zu tragen. Nach einer Weile steht man dann in Mitten des Muttersein-Gartens und kann nicht fassen, wie gut und schön sich doch alles entwickelt hat. Dann ist man stolz. Auf sich selber, seine Kinder und das, was man so Leben nennt.

Ganz oft versuchen Leute in diesen Garten einzubrechen, Pflänzchen zu klauen oder nur kaputt zu trampeln. So durfte ich mir einmal anhören, mit welcher Berechtigung ich stolz auf meine Kinder sei? Das, was sie wären, wären sie ohne mein Zutun. Sie seien immerhin noch Babys.

Es sind so viele kleine und große Dinge und Momente, die ich Ihnen gerne erzählen und schildern möchte. Von Ungewissheit, Unsicherheit, Liebe, Freude und Erfolgen. Von ganz viel Lachen und ganz viel Weinen. Ich glaube kaum, dass mein Blog ausreichend Platz für all diese Fussel beinhaltet. Und darum spiele ich aktuell tatsächlich mit dem Gedanken, all diese lustigen und traurigen Fussel aufzusammeln, aufzuschreiben und zum Schluss ein großes Ganzes zu haben.

Vielleicht wird das dann mein nächstes Buch.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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11 Gedanken zu „Hallo, äh, Baby!

  1. Ich will ja nicht immer nur schreiben: So ist es. Aber: So ist es.

    Ich bewundere ihr Talent, Worte so in Dinge zu stecken. Und Buch, das war nur eine rhetorische Frage oder ;)?

    ICH würde es sehr gerne lesen wollen.

  2. Hallo Pia!
    Vielen Dank für dieses Posting. Bin gerade werdende Mutter und schwanke hormonellbedingt(?) zwischen extremen Gefühlen: Schaffe ich das alles? Und es beruhigt mich immer sehr, wenn ich lese, dass es zwar sehr anstrengend wird, aber trotzdem alles gut.
    Ein Muttermutmachbuch kann mich mir sehr gut vorstellen!

    1. Oh, stimmt, jetzt wo Sie es sagen. Vielleicht sollte ich lieber was über die Zukunft und den Weltraum schreiben. Ach, nein, Mist, da gibt es ja jetzt auch schon ein paar.

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