schon ein großer Junge.

Manchmal frage ich mich, ob ich weniger streng zum Quietschbeu wäre, würde er nicht so gut sprechen, sich so hervorragend artikulieren, so wissend mimen und teilweise so klug daher reden. Er wirkt tatsächlich älter als er ist. Das muss ich selber immer wieder erkennen, wenn ich ihn im Spiel mit älteren Kindern beobachte. Er hat dort viel weniger Anpassungsschwierigkeiten, als bei Gleichaltrigen. Generell zog es ihn ja schon immer mehr zu älteren Kindern und Erwachsenen.

Seit er nun in der Kindergartengruppe der jüngste Junge ist – also seit gut 5 Monaten – hat er nochmal einen wahnsinnigen Sprung gemacht. Wo er anfänglich schüchtern und leise war, ist er inzwischen selbstbewusst und auch mal laut. Er hat wenig bis gar keine Konflikte mit den Erziehern, was allein schon daraus resultiert, dass er sehr Regelverliebt ist. Auch wissen die Erzieher mir immer wieder zu berichten, dass er einfach alles wahrnimmt, was um ihn herum passiert. Die Frage nach dem Verbleib eines Kindes oder Erziehers kann er immer beantworten, auch wenn er sich eigentlich in einer ganz anderen Spielsituation befand. Er ist wie ein Schwamm, der jede Bewegung und Handlung um sich herum aufsaugt. Was es zum Mittagessen gab hat er bis zum Nachmittag hingegen schon wieder vergessen.

Es sind die menschlichen Interaktionen, die ihn faszinieren. Überhaupt interessiert ihn viel mehr, warum Menschen Dinge tun, als die Frage, warum Dinge so und so sind.

Am Anfang hatte ich große Sorge, dass er sich auf Grund seiner Introvertiertheit in der neuen großen Kindergartengruppe nicht wohlfühlen würde. In Wahrheit hat ihn eben genau dieses neue Situation, dieses „nicht ständig beäugt werden“, viel mehr Mut und Selbstbewusstsein gegeben, als das ständige unter Beobachtung und Anweisung stehen. Er war einfach überreif für die Ü3-Gruppe.

Er kann mir ganz klar sagen, wen er mag und wen er nicht mag und dies auch noch einleuchtend begründen. Das eine Mädchen redet ihm zum Beispiel immer zu viel. Und das sagt ausgerechnet er, der objektiv betrachtet vom Aufstehen bis zum Zubettgehen ununterbrochen redet. Wenn er nicht redet, singt er. Oder macht irgendwelche Geräusche, wie z.B. Sirenengeheul oder Motorenbrummen. Wenn er nichts zu erzählen hat ist er der Untertitel seiner Geschwister. Obwohl man das Löwenmäulchen inzwischen tadellos versteht, übersetzt er immer noch für ihn.

Wenn ich in der Küche bin ruft er mir zu, was er gerade tut. Und das Löwenmäulchen. Und das Miezmeedchen. Ich bin immer bestens informiert.

Momentan hört er beim Spielen, Malen, Puzzeln am liebsten „Die kleine Hexe“ oder „Das kleine Gespenst“. Nie wäre ich auch nur auf die Idee gekommen, er würde wirklich mitbekommen, was da erzählt wird. Immerhin redet oder summt er ununterbrochen. In Wahrheit bekommt er aber alles mit. Alles! Und kann mir die Geschichte dann 1:1 wiedergeben.

Wenn wir eine neue Geschichte lesen, die er nicht sofort versteht, dann fragt er nach. So zum Beispiel bei unserem neusten Buch, dem Flunkerfisch. Nachdem ich ihm die Geschichte dann noch mal mit meinen Worten zusammengefasst habe, musste ich sie ihm dann immer und immer wieder vorlesen. Nach nur 2 Tagen kann er sie bereits mitsprechen.

Am liebsten spielt er Mama, Papa, Baby und wenn man ihn fragt, was er werden will, wenn er groß ist, dann antwortet er ausnahmslos immer „Ein Papa!“ Er sagt auch nicht: „Wenn ich groß bin …“ sondern „Wenn ich ein Papa bin …“ Auch ist er der festen Überzeugung, dass er dann mit seiner Frau und seinem Baby bei uns wohnen wird. Weil ohne seine Mama will er nicht sein. Der Gute.

Jüngst brach er in Tränen aus, als er mich nach meinem Ehering fragte und ich ihm erklärte, was es damit auf sich hat. Das fand er gar nicht okay, denn ich hatte ihm im Vorfeld schon mal erzählt, dass man nur einen Menschen heiraten könne. Und wenn die Mama schon verheiratet ist, dann kann sie ihn ja gar nicht mehr heiraten. Nachdem ich ihn getröstet und erklärt hatte, dass man seine Mama sowieso nicht heiraten könne, erklärte er mir: „Dann will ich aber eine Frau heiraten, die wie Du ist Mama. Das find ich schön. Ich hab Dich so lieb!“ Mutterherzschmelze.

Überhaupt höre ich momentan täglich zwei, dreimal, wie sehr er mich lieb hat. Manchmal antworte ich „Ich Dich auch, mein Schatz!“, manchmal sage ich auch nur, wie schön ich das finde. Ich möchte nicht, dass er denkt, auf ein „Ich habe Dich lieb!“ müsste man unweigerlich immer „Ich Dich auch!“ antworten.

Heute Abend hat er seinem kleinen Bruder beim Ausziehen geholfen. Das Löwenmäulchen kann das an sich alleine, ist aber nach wie vor in der „Kann is nis!“-Phase, weshalb ich sagte, er solle sich erst ausziehen, dann würde ich wiederkommen und die Geschichte vorlesen. Während ich im Spielzimmer aufräumte hörte ich dann, wieder große Bruder Anweisungen gab. „Leg dich mal hin, ich zieh an der Hose. Arme hoch. Mach den Kopf da durch …“ Es folgte ein gesungenes „Mama, wir sind fertig!“ Er hatte sogar die Kleidungsstücke des Löwenmäulchens gefaltet auf dessen Stuhl gelegt!

Es gibt hundert kleine Momente am Tag, an denen ich ihn nur stumm von der Seite ansehe, ganz verliebt und mir selber immer wieder sage, wie wundervoll dieses Kind doch ist. Wie mitfühlend, klug und neugierig. Und ebenso viele Momente, in denen ich seine Ungeduld – Gott, er ist so schrecklich ungeduldig – und seinen jammernden Tonfall, wenn etwas nicht sofort klappt, verfluche oder auch über seine Tollpatschigkeit – ständig fällt er hin oder stößt sich – seufze. Aber dann denke ich mir, er ist doch erst 3! Gut, 3 Jahre und 9 Monate. Aber eben immer noch 3!

Letztens hatten wir einen kleinen Disput, weil er plötzlich ebenfalls behauptete, er könne sich nicht selber ausziehen. Ich ließ ihn toben und schreien und erklärte ich immer wieder, dass ich ihm nicht helfen würde, weil ich genau wüsste, dass er das selber kann. Wenn er Hilfe wolle, dann müsse er um eben diese bitten. Aber ein „Ich kann das nicht!“ würde ich nicht mehr einfach so hinnehmen. Und siehe da, am folgenden Tag bat er mich um Hilfe. Wir fanden einen Kompromiss, so dass er Schuhe, Strümpfe und Hose auszog und ich sein Shirt. Den Tag darauf kam er nach nur 2 Minuten im Spielzimmer schon nackig um die Ecke geflitzt und erklärte mir stolz, dass er sich ganz alleine ausgezogen hätte. Ich musste schmunzeln, aber lobte ihn in den höchsten Tönen.

Ich glaube manchmal muss er mich durch Trotz und Bockigkeit auch wieder so ein bisschen erden. Ich vergesse zu schnell, dass er eben noch ein kleiner Junge ist, der neben all der Aufmerksamkeit für seine Geschwister nicht vergessen werden möchte. Ich weiß, dass ich das nie tun würde. Aber weiß er das auch? Für mich ist ein schwieriger Tag ein deutliches Zeichen, dass er mich verstärkt braucht. Dann setze ich mich beim Malen oder Puzzlen zu ihm, kuschle ihn abends im Bett noch eine extra Runde oder fahre einfach mal mit ihm ganz alleine zum Einkaufen.

„Ich bin schon ein großer Junge!“ sagte er neulich. „Und dein Baby!“

So ist es. Nicht anders. 

Print Friendly, PDF & Email
Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
Beitrag erstellt 4659

12 Gedanken zu „schon ein großer Junge.

  1. Schon irgendwie krass, mein Jüngster wird im März 4 … kommt nach Hause stellt sich in den Flur: „Mama, zieh mich aus!“ Ja, klar – er kanns auch alleine, aber er hat halt den Nesthäkchen-Bonus. Nachdem ich nun schon 8 Jahre Mutter bin, stelle ich immer wieder fest: Das älteste Kind bekommt die meisten Sorgen, Gedanken, Zweifel „übergestülpt, sicherlich ist es toll, wenn man soviel Aufmerksamkeit bekommt. Mittlerweile denke ich aber auch, dass das die Kinder ganz sehr belastet. Der Kleinste lebt auch, ist perfekt und wird genauso toll wie der Größte, aber muss nicht die ganze Aufmerksamkeit ertragen. Ach, ich muss ins Bett und eigentlich passt es auch nicht so ganz hierher … Lieben Gruß!

  2. Ich bin so verliebt in deinen kleinen großen Jungen!!! <3

    Herzschmelz*Tränen*Glück*

    Haaaach so kann der Morgen starten.

    Danke für den tollen Bericht über den Quietschbeu!

    GLG von der Ostsee

  3. Oh liebe Frau Miez, Sie schreiben das wieder so perfekt nieder. ???
    Und ich kann das soooo gut nachvollziehen. Zwar ist meine kleine Prinzessin nun schon 8, aber das „Problem“ hatten wir ebenfalls, immer schon.
    Durch den hervorragenden Sprachgebrauch in frühester Kleinkindzeit, wurde sie immer deutlich älter eingeschätzt, als sie eigentlich war und eben auch ständig wie ein „kleiner Erwachsener“ behandelt. Im Kindergarten. Bei Freunde-Besuchen. Und auch ab und an von mir selbst. Wobei ich mir dann immer wieder verbieten musste, sie so zu sehen – absolut schwierig.
    Im Kindergarten oder bei Freunden gab es dann häufig Ärger nach dem Motto „Du hast doch mitbekommen, dass XY das macht, wieso sagst Du nichts? Du bist doch schon so groß.“ Dabei war sie noch nicht einmal 3 *seufz*
    Oder sie bekam (und bekommt) häufig den „Klugscheisser“-Stempel aufgedrückt, nur weil sie viel weiß und stolz war, etwas beitragen/erklären/erzählen zu können. Bei/Von Erwachsenen. (Wie genau handhaben Sie denn sowas? Also wenn der QB einen „kleinen Vortrag“ hält, gibt es Erwachsene die ihn abstempeln? Negative Kommentare abgeben? Wie reagieren Sie auf sowas? Oder haben nur wir das Pech…? :( )

    Jedenfalls „ließt“ sich der QB unheimlich sympatisch, liebenswürdig und bringt ganz schnell den „so-einen-lieben-kleinen-Kerl-will-ich-auch-haben“-Gedanken nahe. ???
    (Ach Gott wie ich es bereue „nur“ ein Einzelkind zu haben. So viele Vorteile, die die Kinder innerhalb einer „größeren“ Familie haben *seufz*)

    Liebe Grüße
    die Alltagsheldin

  4. Wie die Zeit vergeht….

    Er ist nicht nur aufmerksam und wissbegierig, er möchte sicher sein, dass seine Mami für immer für ihn da ist…. immer im Mittelpunkt bleibt.

    Einem Kleinkind kann man natürlich noch nicht klarmachen, dass jeder Mensch irgendwann groß wird (auszieht) und selber eine Familie gründet.

    Mein eigener Bruder wollte mal wissen, ob meine Mutter ihm später (wenn er 21 ist), immer noch so ein super Brot für die Schule schmieren wird…
    Er konnte den Zeitraum einfach nicht begreifen (mit 21 in der Schule?),
    aber meine Mutter hat ihn natürlich beruhigt und ich musste schmunzeln…

  5. Wie schön geschrieben Frau Miez!
    Und da ist sie schon wieder, die Traurigkeit, das mein kleiner großer Dreijähriger leider (immer) noch Einzelkind ist (Schnief…). Geschwister sind doch so sehr wichtig (sag ich auch als kleine Schwester). Die Idee mit dem „Ich hab dich lieb“ find ich gut! Ich antworte meistens: „Ich dich auch“ aber es soll ja nicht automatisch kommen.
    Danke!
    Einfach so*

  6. Du hast ganz wundervolle Kinder! Nein… Ihr!!! Hach!!! Sei stolz auf euch! Ihr seid ein Super Team. Geniesse die guten wie die schlechten Zeiten. Und behalte sie in guter Erinnerung. Ich wünsche euch noch viele solcher tollen Momente! Und ich freue mich sehr das ich daran Teil haben darf!

  7. ich konnte diesen post so nachvollziehen, geschriebenes so nachempfinden! <3

    hendrik wird im märz 4 und sven im august 3 und dann gibt es da ja auch noch eine schwester und ich denke mir über hendrik immer wieder ähnliches wie du über quietschbeu.

    wobei der quietschbeu noch um einen tick sozialer und empathischer wirkt. :)

    ich wünschte mir immer so sehr nur mädchen. heute bin ich so froh, meine jungs zu haben.

Schreibe einen Kommentar zu lajulitschka Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben