Wie das Schwein zu seinem Ringelschwanz kam

Heute Abend führte ich, mit dem Quietschbeu im Bett liegend, ein sehr emotionales Gespräch. Wir sprachen über seine Gefühle, warum er nicht gerne in den Kindergarten geht, wieso er nicht gerne mit den anderen Kindern spielt. Es wurde viel geweint. Auf beiden Seiten. Es sind für mich alles sehr nachvollziehbare Gründe. Das meiste davon habe ich ganz genau so empfunden, als ich selber noch ein Kindergartenkind war. Ängste, dass meiner Mama etwas passiert, während ich im Kindergarten bin und es das letzte Mal ist, dass ich sie sehe, wenn sie mich morgens im Kindergarten verabschiedete. Sorge, dass die anderen Kinder mich nicht mögen, weil sie alle unbeschwert und fröhlich miteinander spielten, feste Freundschaften hatten und ich mich so wahnsinnig schwer tat, ein Kind zum Spiel aufzufordern. Es war gut einmal so offen mit dem Quietschbeu darüber zu reden und ihm versichern zu können, dass trotzdem alles gut ist und gut sein wird. Und dass die meisten Ängste unbegründet, aber eben trotzdem da sind. Und dass wir immer darüber reden und weinen können, wenn er das möchte.

Dann lagen wir eng umschlungen in seinem Bett und starten an die Decke, als der Quietschbeu sein Plüschschwein zu sich heran zog, fest in den Arm nahm und fragte: „Wieso hat das Schwein einen Lockenschwanz?“ Und da kam mir diese Geschichte wieder in den Sinn, die ich selber als Kind einmal gehört habe. Ich weiß nicht in welchem Alter oder wo oder von wem. Aber ich erinnere mich an jede Einzelheit, als wäre es gestern gewesen. Also erzählte ich die Geschichte dem Quietschbeu.

Als der Liebe Gott die Tiere geschaffen hatte, sah er sie an und dachte, dass sie wahrlich nicht hübsch waren. Nackt und rosa. Er überlegte, was er anders machen könnte, um jedem Tier etwas ganz besonderes zu geben und es einzigartig zu machen. Also nahm er eine große Kiste, in der er Farbe, Wolle, Federn, Schuppen, Haare und vieles mehr hatte. Er rief die Tiere zu sich und bat sie, sich hintereinander aufzustellen, damit er ihnen nacheinander ein unverwechselbares Aussehen geben konnte. Als das Schwein ankam, sah es die lange Schlange und seufzte schwer. „Die Schlange ist sooo lang“, dachte es „da lege ich mich lieber noch etwas unter den großen Baum in den Schatten und warte, bis die Schlange kürzer geworden ist.“

Gott verteilte derweil bunte Federn an die Vögel; ein weiches Fell an Hunde, Katzen, Mäuse; schillernde Schuppen an die Fische; eine glänzende Haut an Frösche, Wale, Delfine und färbte Leoparden, Zebras und Tigern Muster in ihr Fell. Als er fertig war sah er zufrieden auf sein Werk und freute sich an der Artenvielfalt, die nun vor ihm stand. Auch die Tiere waren alle glücklich, betrachteten ihr neues Gewand und liefen dann in alle Himmelsrichtungen davon.

Als das Schwein erwachte, war es ganz still geworden. Es sah von seinem Schlafplatz auf und erschrak, als er erkannte, dass kein Tier, außer ihm, mehr da war. Schnell rannte es zu Gott, der vor der großen Kiste stand und es überrascht ansah.

„Schwein, wo kommst Du jetzt erst her? Alle anderen Tiere sind schon hier gewesen.“
„Ich habe geschlafen. Bekomme ich jetzt ein Fell?“

Da sah Gott es mitfühlend an und neigte die Kiste, damit das Schwein hinein gucken konnte. Sie war leer.

Das Schwein begann fürchterlich zu weinen und dicke Tränen kullerten über seine zartrosa Bäckchen. Gott tat das Schweinchen unsagbar leid und so kratzte er die letzten Borstenstoppel zusammen, die noch am Boden der Kiste lagen, und verteilte sie dem Schweinchen auf dem Rücken. Doch auch das konnte das arme Schweinchen nicht beruhigen. Es weinte ganz schrecklich, weil es nun für immer nackt und rosig sein würden und alle anderen Tiere wunderschöne Gewänder bekommen hatten.
Da rief Gott einen Engel zu sich und bat ihn um seinen Lockenstab. Damit ringelte er das Schweineschwänzen zu einer prachtvollen Locke.

Als das Schwein das sah, strahlte es über das ganze Gesicht, sprang vor Freude in die Höhe und rief: „Schaut nur, was ich für einen wunderschönen Ringelschwanz habe!“ Auch die anderen Tiere staunten bewundernd auf den Ringelschwanz des Schweines, dem es plötzlich gar nicht mehr wichtig war, dass es das einzige Tier ohne Fell oder Gefieder war.

Und weil das Schweinchen so stolz auf sein Ringelschwänzchen war, lief es fortan nur noch auf Zehenspitzen.

Und als ich mit der Geschichte endete, sah mich der Quietschbeu mir großen glasigen Augen an, bevor er ganz schrecklich zu Weinen begann. Auf die Frage, warum er weinen müsse, schluchzte er: „Die anderen Tiere! Wieso haben die das Schweinchen nicht geweckt? Wieso haben die es einfach schlafen lassen? Das ist doch gemein!“ Ich entgegnete, dass das doch gar nicht schlimm sein, immerhin habe das Schweinchen jetzt als einziges Tier einen Ringelschwanz und das sei doch wirklich wunderbar! „Ja, aber was hätte Gott gemacht, wenn der Engel keinen Lockenstab gehabt hätte? Dann hätte das Schweinchen immer weiter weinen müssen und alle anderen Tiere hätten gelacht!

Nun, so ist es nicht gekommen. Gott hatte einen Lockenstab. Das Schwein hat ein Ringelschwänzchen. Und alle Tiere sind glücklich.

Hab ich schon mal erwähnt, wie sehr mich die Empathie des Quietschbeus berührt? So ein großes Herz. Selbst für das arme Schwein. ?

Ich habe die Geschichte versucht zu googeln, bin aber nicht fündig geworden. Wenn mir jemand sagen kann, von wem sie ist und wo ist sie möglicherweise in Buchform bekommen kann, wäre ich sehr dankbar.
Die Geschichte ist im Original von  Trudi Gerster und z.B. im Buch Säuli-Geschichten zu finden!

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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30 Gedanken zu „Wie das Schwein zu seinem Ringelschwanz kam

    1. Danke, aber Version 1 ist definitiv nicht die, die ich kenne. Die war deutlich „weicher“ erzählt. Und bei dem zweiten Link hört das PDF leider auf Seite 20 auf. Schade!

  1. Wie schön du immer über so emotionale Momente mit deinen Kindern schreibst! Ich habe immer das Gefühl direkt dabei zu sein. Es zeigt, was für eine enge Bindung du zu deinen Kindern hast. Ich finde es toll und hoffe, dass ich solche Momente auch mit meinen Kindern eines Tages haben werde.
    Deine Geschichte finde ich toll. Sicherlich ein ganz tolles Kinderbuch, das den Kindern gut zeigen kann, dass es toll ist, einmalig und etwas besonderes zu sein.

    Alles Liebe,

    Sarah

  2. Liebe Mama Miez,
    ich weiß nicht, ob es diese Geschichte ist, die du gesucht hast, aber sie klingt eigentlich wirklich sehr ähnlich:
    http://www.durchblick-siegen.de/themes/ds/pdf/04_09/seite40.pdf
    Dort steht zwar nur, dass es nacherzählt ist, aber vielleicht kannst du dich an die nacherzählende Person selbst wenden?
    Zum Beispiel durch eine Mail an die Redaktion mit der Bitte um eine Email-Adresse oder Weiterleitung deiner Nachricht – ich bin so schon einmal auf ein Gedicht gekommen, nach welchem ich mehrere Jahre verzweifelt gesucht habe (auch eine Kindheitserinnerung).
    Viele liebe Grüße. :)

  3. Frau Miez, Sie hauen aber in den letzten Tagen die Beiträge ganz ordentlich gemäß Ihrer Blogüberschrift/Headers (oder wie nennt man das?) raus.

    Ich trau mich bald nicht mehr, Sie unterwegs zu lesen. :-)

    Dankeschön fürs Teilen der Augenblicke in Ihrem Leben.

  4. Ich bin dem Zufall oder Twitter gefolgt. Eine wunderschöne Geschichte und genauso schön wie die Rahmengeschichte mit dem Quietschbeu. Das hat mir sehr gut gefallen – ich liebe Geschichten. Danke dafür! Und viele schöne und ganz berührende Momente mit dem Quietschbeu. Jetzt blätter ich noch ein wenig in deinem Blog auf der Suche nach weiteren Geschichten.

  5. Jetzt versteh ich auch, warum unser Sohn manchmal früh weint und sagt dass er nicht in den Kindergarten möchte und sagt „Mama kommt wieder“ …

  6. Es ist so unglaublich. Bei uns spielen sich ganz ähnliche Dinge ab. Mein Sohn ist sehr sicher hochsensibel, darauf bin ich allerdings erst über Sie gestoßen, liebe Mama Miez. Bisher hatte ich ihn,und auch mich, immer nur als sehr sensibel bezeichnet, wusste aber auch nichts von der Existenz einer Hochsensibilität.
    Ihre Artikel sind unglaublich herzlich und voller Liebe geschrieben und so hilfreich noch dazu.
    Wir haben ebenfalls so unsere Probleme mit dem Kindergarten. Auch nach eineinhalb Jahren gibt es morgens regelmäßig Tränen beim Abgeben, die Gründe sind im Grunde ganz ähnlich wie offensichtlich bei ihrem Sohn. Auch mein Sohn tut sich ebenfalls schwer mit anderen Kindern, ich fühle ebenfalls genau wie es ihm geht, weil es mir auch so erging, nur durfte ich es mir nicht immer anmerken lassen und musste mich oft zusammenreißen. Letztes Wochenende hatten wir Kigafest. Alle Kinder der Einrichtung haben gemeinsam vor allen Eltern ein Lied gesungen. Mein Sohn war es, der es kaum schaffte, mit allen anderen auf die Bühne zu gehen und er war es, der mitten im Lied in Tränen ausgebrochen ist, weil ihn die Situation furchtbar überfordert und überreizt hat. Mir hat es fast das Herz gebrochen. Haben Sie auch solche Erfahrungen? Ich frage mich, wie man damit umgeht beim nächsten Mal.

    Sie sind einfach eine ganz tolle Mama, das liest man aus jedem einzelnen Artikel heraus. Danke für alles was Sie schreiben und mit uns teilen.
    Liebe Grüße

  7. Ich musste fast weinen, weil ich die Gedanken des Qietschbeus so gut nachvollziehen kann und ich auch für alles und jeden solch eine Empathie aufbringe. So erging es mir auch schon als Kind und ich hatte es oft viel schwieriger als andere Kinder. Ich weiß noch in der Grundschule, meine Mutter fragte mich, was wir heute in der Schule gelernt haben und ich erzählte stattdessen von den anderen Kindern. Was sie gegessen, gesagt und getan hatten, dass eine von ihnen im „Container“ wohnt (was mich nachhaltig schockiert hat, weil ich mir das bildlich vorgestellt habe)… Es fiel mir schwer, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, während anderen Kindern das so leicht gefallen ist! Heute weiß ich, dass es für mich einfach ein bisschen zu früh war mit der Schule.. Gut ist, ich habe dennoch Abi gemacht und versuche, irgendwie meinen Weg zu gehen, gradlinig ist mein Lebenslauf jedoch nicht. Aber aufgehört hat das nie und gerade in der Pubertät bin ich bedingungslos dem Weltschmerz verfallen. Gerade als Junge stelle ich es mir noch schwerer vor, so sensibel und nah am Wasser gebaut zu sein. Sicherlich wird sich der QB einiges von Mitschülern anhören müssen, denn Kinder können grausam sein! Ich hoffe er entwickelt sich zu einem starken Jungen, der seine Meinung fest vertritt, zu sich selbst steht und nichts auf die Meinung anderer gibt. Zum Glück hat er eine mitfühlende Familie, die ihm Halt vermittelt. Ist das Löwenmaul auch so empathisch und mitfühlend bzw nah am Wasser gebaut? Vielleicht würde dem QB mehr exklusive Zeit mit seinem Papa helfen. Männertage, wo man Fußball spielt, sich rauft, mal auf Bäume klettert, einen Schuppen baut etc. pp. Ich habe das Gefühl, Jungs haben es heutzutage irgendwie schwerer als Mädchen, ihren Platz zu finden. Eventuell würde es ja auch helfen, wenn er einem Verein beitritt, wo man andere Jungen außerhalb des Kindergartens kennen lernt, es klare Regeln und feste, männliche (!) Bezugspersonen gibt. Das ist für Jungs unheimlich wichtig, finde ich. Gerade, weil in den meisten Kindergärten keine männlichen Erzieher arbeiten. Männliche Vorbilder sind wichtig. Wie ist es für den Miezmann, dass seine beiden Söhne nicht so dem typischen Durchschnittsjungen entsprechen?

  8. ich kenne genauo diese Herzensmomente…Wow- Sekunden…
    Ich bin dankbar, dass unsere Kinder gern in den Kiga gingen, da meine / unsere Freundin dort ihre Gruppenleitung war- eine sehr Vertraute also!

    Danke, fürs Herz teilen mit dem Sohn.Mit uns…

    1. Das kann ich auch so unterschreiben. Mein Sohn ist auch sensibel (wenn ich den Test mit Ihm machen würde wäre er 100%tig auch „hochsensibel“ und trotzdem spielt er gerne mit anderen Kindern. Er ist beliebt, emphatisch unglaublich mitfühlend. Seine Erzieher setzen in oft als den Vermittler bei Streitigkeiten ein. Er geht trotzdem nicht gerne in den Kindergarten. Welches Kind tut das schon. Das ist jetzt kein Querschuss gegen Sie Mamamiez. Ich finde es so unglaublich toll mit was für wachen Augen und offenen Herzen Sie ihre Kinder sehen und wahrnehmen. Sie sind mein Vorbild. Ich lese diese Herzensmomente so gerne bei Ihnen und musste ein paar Tränchen verdrücken. LG Lise

  9. Soooo eine schöne Geschichte, die ich heute Abend gleich weitergeben werde! Ich meine das kleine Schweinchen sogar beim Namen zu kennen…hihihi! Mein Sohn ist genau wie dein Sohn etwas feinfühliger und er mag eigentlich gar keine Kuscheltiere, bis auf das kleine Schwein K. mit dem Lockenschwanz. Es musste damals unbedingt mit…eine der besten Entscheidungen meines Lebens! ;)

  10. Och was ist die Geschichte vom Schweinchen süß :) Soo schön.
    Danke erstmal dafür.
    Und es immer wieder berührend, wie liebevoll du von deinen Kindern schreibst.

    Herzmomente, ganz genau.

    Ich wünsch euch ein wunderschönes Wochenende mit dem Miezmann,
    LG
    Tanja

  11. Klingt ganz nach Asperger. Mein Sohn ist genauso wie Dein Quietschbeu – wir haben jetzt die Diagnose Asperger bekommen – nachdem wir erst von Hochsensibilität ausgingen. Alles Liebe für euch. Und schön, dass ihr zusammen weinen könnt.

  12. ich hatte gar nicht mitbekommen das es so wilde Diskussionen über HSP gibt. Ich hab ja keine kleinen Kinder mehr und bin deswegen nicht in Elternforen oder Zeitschriften unterwegs.
    Puhhh… da weiß man ja gar nicht wo man anfangen soll.
    Na ja, ich hoffe das sich das bald wieder entspannt und es dann über kurz oder lang einen vernünftigen Umgang dazu geben wird.
    Und das Gründen einer Verbindungsplattform finde ich eine sehr gute Idee.

    LG und auch von mir ein „quietsch freu“ für die beste Nachricht des
    Jahres :-)

    …. als Selbst betroffene und auch Mutter von HSP Kindern hatte ich mich eigentlich darüber gefreut das es dieses Thema in der Öffentlichkeit nun überhaupt gibt und jetzt duckt man sich ja besser doch wieder ab und behälts für sich… auf Dauer undankbar.

  13. Die Geschichte vom kleinen Schweinchen und wie es zu seinem Ringelschwänzchen kam war meine Lieblingsgeschichte in meiner Kindheit und ich kann mich heute noch lebhaft daran erinnern. Einfach nur wunderbar, dass mir der Beitrag weitergeholfen hat, an nähere Infos zu kommen.
    Soweit ich recherchieren konnte, ist die Schallplatte von Trudi Gerster käuflich nicht mehr zu erwerben, was ich sehr schade finde. Man kann sie sich in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig im Lesesaal ansehen (-hören?), aber ich hätte die Tonaufnahme so gerne für meine Enkel, die gerade im richtigen Alter dafür sind. Vielleicht hat ja jemand einen Tipp für mich außer Audible für 9,99 € monatlich.
    Danke also und LG Charly

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