Der Mann mit den Augen

Als ich heute die Jungs zum Handballtraining fuhr, erklärte mir der Große schon im Auto, dass ich gehen könne und nicht dabei bleiben muss. Wer mein großes Kind kennt, weiß, dass das sowas wie die goldene Vertrauensmedaille am Band für die Trainerin ist. Ich bin mächtig stolz auf ihn!

So konnte ich während des Trainings die kleine Schwester abholen und schnell mit ihr Brot, Obst und Nascherei einkaufen gehen. 30 Minuten Exklusivzeit, die wieder mal damit endete, dass die Kleine dem Mann mit den Augen vor unserem Drogeriemarkt einen Euro schenkte, dafür ein strahlendes „Merci!“ bekam und vor Freude laut lachend und winkend zu mir gelaufen kam.

Der Mann mit den Augen sitzt seit jeher vor unserem Drogeriemarkt. Tag ein, Tag aus. Seine Haut ist vom Wetter gegerbt und er ist deutlich in die Jahre gekommen. Seine Augen strahlen so intensiv blau, dass mir wirklich keine andere Assoziation als der Ozean einfällt. Der Mittlere gab ihm deshalb den Namen der Mann mit den Augen. Er lächelt schon, wenn er uns über den Parkplatz laufen sieht und winkt den Kindern zu. Noch bevor wir den Laden wieder verlassen, fragen die Kinder schon, ob sie dem Mann etwas Geld geben dürfen. Und ja, ich habe genau deshalb immer Klimpergeld in der Tasche, wenn wir einkaufe fahren. Und sei es nur ein Euro für den Einkaufswagen.

Ich werde oft verständnislos angesehen, weil wir diesem Mann, der bei Wind und Wetter dort sitzt und die Querkopf (Straßenzeitung) verkauft, immer mindestens einen Euro geben. Wenn ich mit allen drei Kindern unterwegs bin, ist es auch schon mal mehr.

Der Mann freut sich immer sehr über seine kleinen Freunde und dankt ihnen mit einem strahlenden Lächeln und einem herzlichen „Merci!“ Im Sommer haben wir ihm auch schon mal ein paar Flaschen Wasser vom Einkaufen mitgebracht oder im Winter eine heiße Schokolade vom Bäcker schräg gegenüber geholt. Oft beobachte ich auch, wie ihm andere Menschen Süßigkeiten oder Zigaretten zustecken. Wenn er einen Tag mal nicht da sitzt, sind die Kinder immer direkt sehr besorgt.

Woher er kommt? Wo er lebt? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass die Filialleitung des Drogeriemarkts ihn dort duldet, weil er nie aufdringlich und stets höflich zu den Kunden ist.

Er ist so ein Mensch, der einen mit Blicken berührt, dessen Lächeln immer ehrlich und offen ist und bei dem man das Gefühl hat, man kann ihm direkt ins Herz schauen.

Neben dem strahlenden und dankbaren Lächeln des Mannes freue ich mich aber am meisten darüber, dass meine Kinder lieber dem Mann mit den Augen Geld schenken möchten, als es in so einem Zappelauto vorm Supermarkt zu versenken. Ich hoffe sehr, dass sie sich diese Werte behalten und zu mitfühlenden und hilfsbereiten Jugendlichen bzw. Erwachsenen heranwachsen.

So ein Erwachsener im Zappelauto sieht nämlich ziemlich doof aus.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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13 Gedanken zu „Der Mann mit den Augen

  1. Ich bin gerade sehr, sehr berührt.
    Du hast wunderbare Kinder und vermittelst Ihnen wichtige Werte. Werte, die man sich gar nicht oft genug vor Augen führen kann.
    Danke für deinen Beitrag. Du hast gerade sehr viel in mit bewegt, was ich so hier gar nicht in Worte fassen kann.

    Alles liebe,
    Ms.ninberry

  2. <3 Es ist wunderbar zu wissen, dass es doch überall Menschen gibt, die so fühlen und handeln wie man selbst. Danke. Und es ist so wertvoll seinen Kindern das mitzugeben. Deine Kinder sehen den "Mann mit den Augen", nicht den "armen" oder "runtergekommenen" Mann. Das ist toll!

  3. Ein schöner Text, der zum Nachdenken bewegt. Ich gebe Dir Recht – diese Werte sollten sich Deine Kinder unbedingt bewahren – viel zu viele Menschen unserer Generation haben den Blick dafür leider verloren.

    Dein letzter Satz brachte mich unglaublich zum Lachen! :o)

    Hab einen schönen Tag!

    Michy

  4. Hej Pia,

    bei uns ist es immer eine Frau mit Hund vor unserem Drogeriemarkt, die der Räuber gerne mit einem Leckerli für den Hund und ein oder zwei Euro beschenkt. Ich finde es wichtig Kindern soziale Verantwortung zu lehren. Aber weißt du was? Kinder haben von sich aus ein Gespür für Menschen in Not und helfen gerne. . . viele Erwachsenen verschließen ihr Herz und achten nicht auf Menschen am Straßenrand.

    LiGrü

    Jennifer

  5. Verständnislos sollte man eher diejenige angucken, die nichts geben! ;-)
    Ihnen und Ihren Kindern könnte vielleicht „Ein mittelschönes Leben“ von Kirsten Boie und Jutta Bauer gefallen. Darin wird kindgerecht die exemplarische Geschichte eines Obdachlosen erzählt.

  6. Hallo Pia!
    Manchmal fragt man sich, wie Zufälle passieren, wie man sich wiederfinden kann in den Worten anderer….
    Ich bin hochsensibel, Syneidetikerin, meine Tochter ist hochsensibel.
    Vor unserem Discounter steht auch allwöchentlich ein Mann, den wir sehr mögen und ihn unterstützen.
    Meine Tochter hatte erst sehr großen Respekt, inzwischen bastelt sie zu unseren kleinen Unterstützungen sogar etwas für den Mann, der sich ganz unglaublich freut.
    Manchmal, mir viel zu oft, kauft der Mann unseren Kindern eine Kleinigkeit, während wir einkaufen und ich kann ihn einfach nicht davon abbringen.
    Er fehlt, wenn er nicht da ist und freut uns, wenn wir ihn sehen.
    Manche Paralleln sind schon erstaunlich….
    Vielen Dank für deinen Text über diese besonderen Menschen, die einen im Leben begleiten.
    Liebe Grüße
    Cordula

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