Kleiner Müllmann. Kleiner Weltverbesserer.

Wie ich ja schon mal erzählte, geht Alex von Zeit zu Zeit alleine von der OGS nach Hause. Anders als erwartet hat er sich dabei als echter Trödler herausgestellt und braucht für einen eigentlich 10-minütigen Weg gut und gerne schon mal 25 Minuten.

„Was machst Du unterwegs denn noch?“ habe ich ihn letztens gefragt.
„Ich gucke mir die Häuser an und lese die Schilder.“
„Aber weißt Du inzwischen nicht was auf den Schildern draufsteht?“
„Ja, aber da sind jeden Tag andere Sachen, die man entdecken kann. Die Buchstaben auf den Schildern vor der Tankstelle sehen ganz anders aus, als die dahinter. Da bin ich noch mal zurück gelaufen, weil ich mir nicht ganz sicher war. Aber das ist wirklich so! Und die Hecke am Haus ganz vorne, die war letzte Woche noch grün. Jetzt ist sie rot!“
„Ich find‘ es ja schön, dass Du jeden Tag so viele Dinge entdeckst, aber ich mach mir schon Sorgen, wenn Du erst so spät heim kommst.“

Ich glaube, er verstand was ich meinte, denn am folgenden Tag kam er nur 10 Minuten später, als erwartet nach Hause.

„Mama, schau mal, was ich gefunden habe. Ist das Müll?“ fragte er und hielt eine zersplitterte Jägermeister-Flasche hoch. Ich schaute schockiert und nickte wild.
„Ja, das ist sehr eklig. Wo hast Du das her?“
„Das lag auf dem Fußweg. Ich wollte das in einen Mülleimer werfen, aber da war keiner. Kann ich es in unsere Tonne tun?“

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Ich erlaubte es natürlich und ließ ihn sich anschließend gründlich die Hände waschen. Auch bat ich ihn, solche Dinge nicht mehr anzufassen. „Du weißt doch gar nicht, wer das schon alles im Mund hatte. Vielleicht hat ein Hund darauf gepinkelt?“

Am folgenden Tag kam er wieder 10 Minuten später als erwartet.

„Guck mal, Mama. Darf ich das auch in unsere Mülltonne tun?“

Er hob eine alte Bäckereitüte hoch, in der er Zigarettenschachteln, Kronkorken und Kaugummipapierchen gesammelt hatte. Gemeinsam trennten wir die Dinge nach Müllsorte und stopften alles in die dazugehörige Mülltonne. Beim Händewaschen bat ich ihn erneut, nicht jeden Müll aufzuheben.

„Ich hab extra nur die Sachen aufgehoben, die noch keiner im Mund hatte. Also so Zigarettendinger, Flaschen und so.“

Ich seufzte leise in mich rein. Vermutlich kann ich gar nicht alle Individualitäten ausschließen, die meinen Sohn nicht doch noch eine Lücke finden lassen, um weiter Müll zusammeln. Und tatsächlich kam er am folgenden Tag wieder mit einer kleinen Müllsammlung nach Hause, trennte die Sachen in der Einfahrt und warf sie in die passenden Tonnen.

Heute habe ich ihm eine kleine 5 Liter Mülltüte in den Ranzen getan. Und Handschuhe. Damit er für’s nächste Mal, wenn er alleine heimgeht, gerüstet ist und nicht alles in der Hand halten muss.

Ja, ich schwanke zwischen Ekel und Entzücken. Noch sieht er diese Dinge: Hecken, die sich verfärben; Straßenschilder mit unterschiedlichen Schrifttypen; achtlos weggeworfener Müll in allen Ecken. Jetzt hat er ein Bewusstsein dafür. Jetzt bückt er sich freiwillig und hebt den Müll anderer Leute auf. Wie soll ein verantwortungsbewusster junger Mensch aus ihm werden, wenn ich ihm dies nun verbieten würde? Wenn ich sagen würde: Lass liegen!

Also Mülltüte, Handschuhe und gründliches Händewaschen. Jeden Tag überrascht er mich ein bisschen mehr, zeigt mir Dinge, die ich lange vergessen habe oder lehrt mich Neues, für das ich den Blick verloren habe. Kinder erweitern den eigenen Horizont auf eine ganz wundersame Weise. Wir sollten uns dieses Geschenks viel öfter bewusst sein.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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7 Gedanken zu „Kleiner Müllmann. Kleiner Weltverbesserer.

  1. So ein toller großer Junge! Ich Dove du hast eine super Lösung gefunden. Schade dass es mehr Leute gibt die Müll einfach auf den Boden werfen und wenige die was dagegen tun!

  2. Was für ein toller Junge! Eigentlich sollte man ihm wirklich nicht ausreden, aber etwas eklig und besorgt wäre ich auch. Schwierig! Die Lösung mit den Handschuhen ist da lustig einfach.

  3. Find ich total rührend!
    Verbieten wäre wirklich nicht gut. Ich habe übrigens gleich an so eine Müllzange (Grillzange?) gedacht. Dann muss er sich nicht mal unbedingt bücken.

  4. Die Handschuhe sind ein guter Kompromiss. Vielleicht hilft eine Liste mit Bildern, was er besser nicht aufheben sollte. Ansonsten scheint doch alles gut zu sein. Klasse Junge!

  5. Ach, er ist schon ein toller kleiner Kerl. Da kannst du wirklich Stolz sein!

    Ich kann mich übrigens selber noch daran erinnern das ich auch ewig für meinen Heimweg gebraucht habe. Es gab soooo viel zu sehen. Jeden Tag was anderes. Und dann hab ich mich noch mit jeder Oma und jedem Opa unterhalten die ich getroffen hab. War auf dem Land, da gabs viele alte Leute. Ich fands toll. Ich nehme an meine Mutter hats gehasst.

    Da waren Wolken am Himmel! Regen lief am Straßenrand! Ein Schmetterling… ach, alles war ein Abendteuer….

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