Problemzone: Menschen

Irgendwann schreibe ich mal darüber, dass man mich stets für extrovertiert hält – nur weil ich ins Internet schreibe – und sich dann immer alle fürchterlich wundern, wenn ich auf größeren Veranstaltungen alleine in einer Ecke sitze und nur beobachte, obwohl ich fast 90% aller Leute kenne.

Nein, ich bin weder arrogant noch übermäßig unbeliebt. Ich bin überfordert. Mit Lautstärke, Gerüchen, Bewegungen an allen Ecken und Enden. Früher konnte ich mich da voll hinter der Unselbstständigkeit meiner Kinder verstecken und war ständig mit betüdeln und versorgen abgelenkt. Inzwischen weiß ich um meine Problemzone Menschen. Inzwischen sind meine Kinder größer und selbstständiger. Ich kann mich in eine Ecke zurück ziehen, der Große besorgt mir Kaffee, die Kleine holt mir noch einen Croissant und ich sitze einfach da. Beobachte.

Manchmal kommen andere Leute, sprechen mich an, ob alles okay sei. Ich lächle: „Ja, alles gut. Ich sitze freiwillig hier hinten.“ Ob sie mir das dann glauben weiß ich nicht. Aber es ist die Wahrheit.

Oft suche ich mir in Menschenmengen auch einfach eine Aufgabe. Geschirr wegräumen, irgendwas nachfüllen, Kaffee kochen. Hauptsache nicht in Smalltalk verwickelt werden. Ich kann keinen Smalltalk. Echt nicht. Ich kann nahezu Fremden binnen einer halben Stunde meine detailliertesten Gedanken UND Gefühle vor die Schuhe kotzen. Aber ein Gespräch über das Wetter? Im Winter ist es kalt. Heute habe ich eine Wolke gesehen. ICH. KANN. DAS. NICHT.

Nun sitze ich also das letzte Mal beim Neujahrsfrühstück unserer Kita. Allein. Hinten rechts. Und es ist genauso perfekt. Ich bin wehmütig. Ich bin vollkommen gelassen. Ich bin traurig und froh.

Ich beobachte die lachenden 2-Jährigen, die herum rennen, grell quieken und gackern. Als wir das erste Mal selber hier saßen, da war der Große auch gerade zwei und der Mittlere ein Jahr alt. Ich war in der 12. Woche schwanger. Die Kleine wird nun bald 6 und ich sitze somit zum letzten Mal hier.

Time flies!

Irgendwie fühlt es sich auch manchmal so an, als verließe man einen Lebensbereich. Ich habe das letzte Kita-Jahr – das Vorschuljahr – jetzt schon zweimal mitgemacht. Ich hab gelernt, dass die Sorgen, Probleme und Lösungswege, was die Kinder betreffen, anders, teilweise auch komplizierter und schwieriger, werden. In Kita ist alles so einfach. Darum kann ich hier sitzen und einfach beobachten, genießen und die Atmosphäre noch ein wenig aufsaugen. Das hier ist die gute alte Zeit, von der wir später gerne reden werden.

Ganz zum Schluss, als ich in der Kita-Küche stehe und noch ein paar übrig gebliebene Brötchen eingepackt bekomme, stellt die ehemalige Erzieherin vom Großen fest: „Das ist ja ihr letztes Neujahrsfrühstück.“ Mir schießen die Tränen in die Augen, ich nicke und muss gleichzeitig lachen. 5 besorgte Erzieher erkundigen sich sofort was los sei und ich muss schnief-heulend lachen: „Jetzt hab ich mich 2 Stunden zusammen gerissen, um doch noch loszuheulen.

Ja, ich bin wehmütig. Und vielleicht auch gar nicht mehr ganz so gelassen.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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24 Gedanken zu „Problemzone: Menschen

  1. Ja! Auch hier ist der letzte Kiga-Jahr angebrochen.

    Und den Absatz mit dem „eine Aufgabe suchen und bloß keinen Smalltalk“ kann ich zu 100% so unterschreiben! Schön, dass es auch anderen so geht. ?

  2. Bei ‚Problemzone: Menschen‘ in meinem Feedreader hatte ich eher was misanthropisches erwartet. Aber ja, ich finde mich da genau wieder. Besonders dieses ’nahezu Fremden binnen einer halben Stunde meine detailliertesten Gedanken UND Gefühle vor die Schuhe kotzen‘ :-D Und dann die irritiert-stumme Reaktion darauf. Jaaaa. Smalltalk kann ich auch nicht.

  3. Kenn ich nur zu gut…tu mir sehr schwer „Anschluss “ in Gruppen ( Kita, Schule) zu finden. ….und bei Small Talk drifte ich immer ab ….oft sitze ich bei Vetanstaltungen wie das 5.Rad am Wagen…..höre nur zu….stört mich aber nicht. Ob man daran arbeiten kann/ soll? ……..

  4. Dieser Text hat mich sehr berührt. Ich kann mich total in dich reinversetzen, sowohl in die Wehmütigkeit bezüglich Kita-Abschied, als auch in dein Party-Verhalten. Bin wie du das Gegenteil von extrovertiert, was Au?enstehende oft überrascht. Und oft habe ich das Gefühl, damit zur Minderheit zu gehören.

  5. Das kann ich so gut nachvollziehen. Ich bin immer froh wenn mein Mann dabei ist oder die Kinder mich vor dem Zwang mit jemandem ins Gespräch kommen zu müssen bewahren. Der pure Stress. Für arrogant wurde ich auch schon öfter gehalten.
    Schön zu hören, dass ich damit nicht alleine bin.

  6. Hallo Pia,

    ich finde so erstaunlich, wie reflektiert und klar du so oft bist. Auch wenn es sicher ein Weg war es zu erkennen, hast du erkannt was für dich schwierig ist. Und kannst damit umgehen. Es muss nicht jeder alles können. Und es scheint sehr befreiend zu sein, darum zu wissen und nicht „so zu tun also ob“, sondern konkret zu sagen „du, ich tue mich mit Smalltalk schwer und bin glücklich in meiner Ecke“. Was glaubst du wie viele das selbe fühlen aber nicht aussprechen und dich feiern dafür. Warum muss man so oft der Gesellschaft genügen?
    Das schwierige ist dann nur, den anderen nicht in echt seine Probleme vorzukotzen, weil es häufig vielleicht unüberlegt die falschen Personen sind denen man zu viel erzählt was man im Nachhinein bereut. Einfach nur um gesprochen zu haben.

    Liebe Grüße,
    Katharina

  7. Das kommt mir so bekannt vor. Größere Menschengruppen sind mir auch ein Graus. Da verfalle ich gerne in komplettes Schweigen und bin froh, dass mein Sohn noch so klein ist, dass er betüddelt werden kann. Die Große kommt dieses Jahr auch in die Schule. Im Dezember war ihre letzte Weihnachtsfeier im Kindergarten, ihren letzten Geburtstag dort hat sie schon vor einer gefühlten Ewigkeit gefeiert. Es bleiben uns auf jeden Fall noch 3 Jahre dort mit dem Kleinen. Aber es ist so groß, dass meine Tochter ab April kein Kindergartenkind mehr ist… Das eine oder andere Tränchen habe ich schon vergossen. Es kommen bestimmt noch mehr dazu.

  8. Ich fühle mich auch wehmütig, wenn ich diese Zeilen lese. Wann sind Ihre Kinder nur so groß geworden? Ich lese nun schon seit Jahren hier und habe das Gefühl, als sei es erst gestern, dass Mimi als Baby auf dem Sofa lag und die beiden Jungs Faxen gemacht haben.

  9. Hier, ich auch! Leider hat ein wichtiger Teil meiner Schwiegerfamilie bis heute nicht kapiert, warum ich nicht Fan großer Events bin und glaubt ich wolle mit der Familie nichts zu tun haben. :-(

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