Warum entscheiden sich junge Frauen zur Bundeswehr zu gehen? Das ist eine gute Frage und ich habe bis heute noch keine eindeutige Antwort bekommen. Eine Kameradin sagte, ihr ginge es um das bezahlte Studium. Eine andere hatte sich beworben, um Pilot zu werden, hatte jedoch den Tauglichkeitstest zum Piloten nicht bestanden und war nun dabei, weil sie nichts anderes fand…In der ganzen Zeit bei der Truppe habe ich geglaubt, ich sei die einzige, welche aus reiner Überzeugung Soldat geworden war, dass es jedoch keine Überzeugung gibt, bei niemandem, verstand ich erst später.
Meine Beweggründe mich als Offizieranwärter zu bewerben waren in vielerlei Hinsicht schwer nachzuvollziehen. Ich wollte etwas außergewöhnliches machen, etwas, was mir auf absehbare Zeit ein gewisses Maß an Autorität versprach und in dem ich mich behaupten musste. Es ging mir darum, mich beweisen zu können, vor der Gesellschaft, vor meiner Familie und vor der Männerwelt, was als weiblicher Soldat in einer Männerdomäne auch nicht ausblieb.
Ich erinnere mich an die Ausführungen meines damaligen Freundes. Er war ein Held, er zog in den Krieg und er kehrte immer als Sieger aus der Schlacht zurück- er war Grundwehrdienstleistender bei der Luftwaffe. Wie wohl bei jedem Grundwehrdienstleistenden erzählte er schillernden Geschichten, verblüffende Story und machte immer deutlicher, wie hart doch dieser Job sei. Eine Frau könne das niemals leisten und überhaupt gehörten Frauen nicht in die Bundeswehr.
Die Tatsache, dass die Truppe nur großartige Helden hervor bringt wird begleitet von der Tatsache, dass nur die eigene Truppengattung die einzig wahre ist. Die eigene Truppengattung ist die wichtigste in der ganzen Bundeswehr, ohne sie läuft nichts und die Ausbildung ist sowieso auch die härteste.
Ja, so in etwa sollte man sich einen Fuchs (Grundwehrdienstleistender) vorstellen, er ist der Retter des Volkes und das nur, weil seine Truppengattung die Beste und Wichtigste ist.
Für mich hatte die Bundeswehr stets einen anderen Reiz. Ich bewunderte die Einsätze die sie fuhr, den Zusammenhalt zwischen den Kameraden und diese maßlose Aufopferung für ihr Land.
Als wäre ich aus einem Traum erwachte, erkannte ich eines Tages, dass die Einsätze bei weitem nicht so spektakulär waren, mit Sicherheit sehr wichtig, aber bei weitem nicht so patriotisch angehaucht, wie man es von einem „Friedens- oder Kriegeinsatz“ erwartet. Viele Soldaten für die es in den Einsatz gehen sollte, wurden plötzlich krank, hatten enorme familiäre Probleme und blieben in letzter Sekunde doch noch zu Hause. Soviel zur bedingungslose Aufopferung.
Der Zusammenhalt zwischen den Kameraden, die so genannte Kameradschaft, empfand ich am Anfang als sehr angenehm, doch immer schneller kristallisierte sich heraus, dass gerade in der Bundeswehr sich jeder selber der Nächste ist. Angefangen bei Leistungsneid, über Versetzungsneid bis zu Beförderungsneid. Jeden Tag bekam jeder Soldat aufs neue eine Möglichkeit, seinen Kameraden missgünstig etwas schlechtes nachzusagen. Der eine würde schneller befördert, als man selber? Dann konnte das nur daran liegen, dass er sich bei Vorgesetzten eingeschleimt hatte und der daraufhin, geblendet von der ganzen „Arschkriecherei“, eine überdurchschnittliche Beurteilung schrieb. Der Kamerad, der genauso lange seine Stelle hatte wie man selber wurde plötzlich Zugführer. Der Grund lag auf der Hand. Er hat nach Dienst mal wieder einem mit dem Chef gehoben und wurde daher abwertend als „Offiziersfreund“ tituliert.
Kameradschaft ist nichts anderes als eine Kollegschaft. Man muss zusammen arbeiten, sich aber nicht mögen.
Mit Sicherheit gibt es auch Kameraden, welche sich für den anderen verbürgen, ihm helfen und für einander da sind. Dies ist aber letztendlich eine Freundschaft, welche der Kameradschaft folgte. Ganz klar muss man sehen, dass an einem Ort, wo so viele unterschiedliche Charaktere aufeinander treffen, nicht nur Freundschaft herrscht. Der Dienstherr erwartet aber Loyalität ihm, den Vorgesetzten und den übrigens Kameraden gegenüber und dieses simple Prinzip nennt man traditionell Kameradschaft. Ein positiver Aspekt, den Kameradschaft aber mit sich bringt, ist die Tatsache, dass Soldaten aus ganz Deutschland Kameraden sind. So bilden sich häufig Fahrgemeinschaften, obwohl man nicht einmal der selber Truppengattung angehört.
Nun sollte ich also ein Kamerad werden, mit den selben Rechten und Pflichten, wie meine männlichen Mitstreiter. Ich gebe offen zu, ich habe daran geglaubt, an die Gleichberechtigung zwischen Männer und Frauen in der Truppe, welche wir uns vor dem Europäischen Gerichtshof erkämpft hatten. Die Ernüchterung folge auf den Fuß. Klar und deutlich wurde uns zu verstehen gegeben, dass es keine Gleichberechtigung gab. Frauen durften nun zur Bundeswehr, Männer mussten.
Gerade in der Grundausbildung wird diese Tatsache sehr deutlich. Nun standen wir da, fünf weibliche Offizieranwärter und eine Unteroffizieranwärterin, zwischen lauter Wehrpflichtigen die sich etwas besseres vorstellen konnten, als jeden Morgen um 5 Uhr lautstark geweckt zu werden um sich dann in zehn Minuten der morgendlichen Toilette zu widmen. Gut, die Tatsache, dass wir das alles freiwillig über uns ergehen ließen konnte uns keiner vorwerfen, jedoch aber die Tatsache, dass die sportlichen Anforderungen an die weiblichen Rekruten weitaus geringer waren, als die der männlichen.
Unsere Jungs mussten ihre 3000 Meter mindestens in 13 Minuten bewältigen, während wir ganze 18 Minuten und 30 Sekunden zur Verfügung hatten. Spätestens hier wurden die ersten Stimmen laut. „Das kann doch nicht wahr sein. Das ist nicht fair. Im Krieg fliegen die Kugeln auch nicht langsamer, wenn sie auf eine Frau gerichtet sind!“
Sie hatten Recht und hier erkannte ich, dass im Zuge der Gleichberechtigung vergessen wurde, gleichgerecht zu sein.
Auch wenn man sich dessen bewusst wird und offen zugibt, dass da wohl etwas falsch gelaufen sei, so wird es einem doch immer wieder vorgeworfen. Wie oft haben wir versucht unseren Kameraden klarzumachen, dass wir diese Voraussetzungen nicht erstellt hatten, oder gar darum gebeten hatten, alles etwas langsamer und weniger anstrengend anzugehen. Der einzige Weg die Kameraden zu beruhigen war der, dass wir die 3000 Meter in ihrer Zeit liefen, aber ganz ehrlich muss ich zugeben, ich habe es nicht einmal geschafft. Von allen weiblichen Kameraden mir denen ich in meiner Zeit bei der Bundeswehr zusammen war schaffte es gerade eine, die 3000 Meter in unter 13 Minuten zu laufen.
So lernte ich bei der Bundeswehr jedoch nicht nur Hasenohren und Großmäuler kennen. Der Trick lag darin, seinen Vorgesetzten nicht nur als Autoritätsperson zu betrachten, sondern ganz klar zu erkennen, dass auch er nur ein Mensch mit einem Privatleben, Sorgen und Freuden war.
Dies erkannte ich nach etwa drei Wochen durch einen jungen Stabsunteroffizier, welcher uns regelrecht in Grund und Boden brüllte, uns immer wieder antrieb und verlangte, dass wir nie aufgaben. Er hatte die ehrenvolle Aufgabe uns in das System des Gehorsam einzuführen, was er liebevoll „einnorden“ nannte. Sprich in eine Richtung zu formen, so dass wir nicht mehr anecken konnten.
Ich fiel mal wieder durch meine bekannt kesse Art auf und er brachte mich mit Sprüchen wie „Wenn sie noch mal so frech sind, dann reiß ich ihnen den Kopf ab und spiele damit Bowling!“ zum Schweigen. Das hatte gesessen! Ich muss zugeben, ich hatte Angst, aber ich glaube, in den ersten Wochen, gerade aus dem beschützenden Kreise der Familie entlassen, hatte fast jeder Angst vor irgend einem Vorgesetzten. Und genauso wie jeder Angst hat, ist jeder irgendwann an dem Punkt, wo er nur noch an sich selber zweifelt und am liebsten alles hinschmeißen möchte. Genau an diesem Punkt angelangt erkannte ich, dass Vorgesetzte auch nur Menschen sind.
Ziemlich hysterisch heulend saß ich auf meiner Bude. Irgendetwas hatte mal wieder nicht geklappt und ich hielt mich für die ärmste Wurst, die es unter der Sonne gab. Irgendjemand musste das dem Herrn Stabsunteroffizier mitgeteilt haben und so stand dieser plötzlich in der Tür, groß und böse, wie immer. Ich folgte seiner Aufforderung ihm zu folgen und unterdrückte so gut es ging meine Heulerei. Gemeinsam betraten wir den Nassbereich der Damen und er ließ die Tür geräuschvoll hinter mir zufallen. Ich erwartete das schlimmste und genauso kam es auch, zuerst.
Es folgte eine lautstarke Predigt ich solle mich zusammen reißen, ich sei nun bei der Bundeswehr und als Frau hätte ich mich doppelt zu beweisen. Ich nickte nur, denn ich wusste, dass er recht hatte, jedoch ließ meine momentane Gefühlslage keine abgeklärte Haltung zu. Er sah mich eine Weile schweigend an. „Sie wollen doch Soldat sein?“ In den letzten Tagen hatten zwei meiner Kameradinnen immer wieder mit dem Gedanken gespielt aufzuhören. Sie wollten von ihrem Widerrufsrecht gebrauch machen, aber durch mehrere Gespräche mit zahlreichen Vorgesetzten waren sie immer wieder von diesem Schritt zurück gewichen. Ich sah ihn mit großen Augen an. „Natürlich möchte ich Soldat sein, sonst wäre ich doch nicht hier!“ Er erzählte von seinem Ausbilder in der Grundausbildung, dass dieser ihn noch viel härter angepackt hätte und dass auch er gerne alles hingeschmissen hätte. Das er nicht glaube, meine Kameradinnen würden wirklich überzeugt von der Sache sein und dass er hoffte, dass das bei mir anders sei. Ich nickte, irgendwie waren das höchst aufbauende Worte, denn zum ersten mal hatte ich nicht das Gefühl, ich wäre vollkommen unerwünscht. Außer einem Nicken und einem „Jawohl!“ brachte ich nicht viel zu Stande. Plötzlich sah er mich ganz ernst an. „Sie sind Offizieranwärter und ich möchte, dass aus ihnen ein sehr guter Offizier wird. Eines Tages möchte ich unter ihnen arbeiten und sage können, dass ich sie ausgebildet habe.“ Ich war wie vom Donner gerührt. Es schien doch wirklich so, als würde er an mich glauben, glauben, dass ich eines Tages ein guter Offizier würde. Das Gespräch endete mit einer verdutzten Miene meinerseits und einem Lächeln seinerseits.
Von dem Tag an konnte ich seine Sprüche und sein Gebrüll ertragen. Er war genauso liebenswert wie eh und je, jedoch hatte ich im Nassbereich der Damen gelernt, dass dieser harte Ton für alles, was später kommen sollte, dienlich war und nicht nur aus Willkür so mit uns umgegangen wurde. Ich lernte in mich rein zu grinsen, wenn eine unangenehme Situation zwischen mir und einem Vorgesetzten entstand, denn ich hatte begriffen, dass sie auch nur Menschen sind.
Zwischen diesem Stabsunteroffizier und mir entwickelte sich im laufe der Zeit und an einem anderen Standort sogar noch eine sehr nette Freundschaft. Ich bewundere ihn heute noch.
In der folgenden Zeit und nach meiner ersten Versetzung an einen anderen Standort lernte ich weitere interessante Menschen kennen. So begegnete ich zum Beispiel einem Oberfeldwebel, welcher sich nicht sehnlicher wünschte, als ein weiteres Mal in den Einsatz zu dürfen. Er symbolisierte für mich den patriotischen Soldaten, welcher für sein Land einstehen wollte. Mit der Zeit merkte ich, dass es sich doch weniger um eine patriotische Haltung handelte, als um die Tatsache, dass ihm sein Beruf einfach Spaß machte. Er war mit Leib und Seele dabei und liebe seine Aufgaben über alles. Dieser Mensch zeigte mir, dass es noch etwas anderes gab, als sich nur etwas darauf einzubilden, dass man eines Tages Offizier sein würde und dann mit Autorität um sich werfen konnte. So wurde mir immer mehr bewusst, dass ich eigentlich gar kein Offizier sein wollte. Ich wollte raus, etwas erleben und nicht mit 30 Jahren zum Schreibtischtäter mutieren. Ich wollte Unteroffizieranwärter werden. Doch leichter gesagt, als getan. Es galt eine Frauenquote zu erfüllen und die besagte, dass eine bestimmte Anzahl von Frauen in meiner Truppengattung als Offizier geplant waren. Natürlich war diese Frauenquote eine ganz inoffizielle Sache und bis zu diesem Zeitpunkt habe ich auch stets gegen die Behauptung, es gäbe eine Quote, gehalten. Es war für mich nicht möglich die Laufbahn zu wechseln und so blieb ich Offizieranwärter, denn Soldat wollte ich ja sein. Zum ersten mal wurde mir klar, dass meine Entscheidungsfreiheit gar nicht so frei war, wie ich dachte. Einmal dabei ist es schwer sich anders zu orientieren. Ich steigerte mich in die Ungerechtigkeit der Selbstaufgabe rein und erkannte, dass ich eigentlich überhaupt keine frei Entscheidung mehr hatte. Mir wurde vorgeschrieben wo ich zu leben hatte, mit wem und wie lange. Wann ich wo auf einen Lehrgang ging und wann ich meinen Urlaub zu nehmen hatte. Bis zum Ende meines Studiums, nach etwa 7 Jahren, war jeder Tag meines Lebens verplant.
An diesem Punk begann ich zum ersten mal zu zweifeln, ob ich wirklich bedingungslos Soldat sein konnte. Ich wollte, dass stand gar nicht zur Debatte… ich wollte nichts mehr, aber meine Persönlichkeit stand dieser Bedingungslosigkeit entgegen. Ich fühle mich eingeschränkt und da ich schon immer ein sehr freiheitsliebender Mensch war begann ich langsam Vorwürfe gegen das System zu äußern. Ich stelle mir die Frage, was wohl sein würde, wenn ich in den nächsten sieben Jahren eine Familie gründen wollte, beziehungsweise den Mann fürs Leben kennen lernen würde. Wie sollte ich, als Frau, einen Mann treffen, welcher mir hinterher zog, ohne Kompromisse einzufordern, denn dazu wäre ich gar nicht in der Lage, auch wenn ich es wollte.
Wie es kommen musste, so kam es auch. Wenige Wochen später traf ich genau diesen Mann und als zusätzliches Problem offenbarte sich, dass er auch Soldat war, noch dazu Berufssoldat. Ich sah mich schon an der Uni der Bundeswehr in München und ihn auf dem Dienstkommando. Das schien eine berauschende Zukunft zu werden. Ganz realistisch gesprochen würde es für uns beide keine gemeinsame Zukunft geben. Doch da ich noch nicht vor den Traualtar treten wolle, verdrängte ich diesen Gedanken vorerst. Irgendwie würde das schon klappen…
… 8 Monate später mußte ich die Bundeswehr aus gesundheitlichen Gründen verlassen. Heut bin ich froh darüber, denn nun habe ich ein Privatleben und meine Freiheit. Ich bereue aber ebenso wenig die Zeit, die ich bei der Bundeswehr erleben durfte!
[Der Text gibt die freie Meinung des Autoren wieder und ist nicht zu verallgemeinern!]