Das Internetz hat keinen Penis

Liebes Internet,

wir kennen uns nun bereits seit vielen Jahren. Inzwischen sind es 11 Jahre, in denen ich Dir in meiner Nähe ein zu Hause gab. Früher, in der Zeit, als wir beide noch bei Mutti wohnten, haben wir uns oft heimlich miteinander vergnügt. Ich erinnere mich, dass unser kleines Geheimnis immer am Monatsende durch eine dicke Rechnung von mehreren hundert DM aufflog. Wir waren nicht gut in solche Dingen.

Du hast mir Dinge wie GMX gezeigt und so war ich 1997 der erste Mensch in meinem Umfeld, der eine pia.nachname@gmx.de Adresse besaß und keine 025685321-001@t-online.de oder gar kleinepiakoelnw@aol.com.
Überhaupt haben wir beide nie nie niemals mit AOL gesurft, worauf wir beide sehr stolz sein können.

Im Jahr darauf gingen wir beide das Experiment ICQ an, wobei ich heute ehrlich zugebe, dass ich erst seit circa 2004 weiß, dass ICQ für „I seek you“ steht – so was hat einem damals nämlich niemand erklärt.

Von gleich auf jetzt war eine so schnelle Kommunikation möglich, wie es sonst nur Telefongespräche zuließen. Der Vorteil jedoch war, dass ich auch mal jemanden anquatschen konnte, den ich vielleicht nicht extra angerufen hätten. Nach 2 Minuten unbedeutsamen Geplänkel hätten wir uns dann beide erst auf away und dann auf invisible gesetzt und gut wär´s gewesen. Zu Beginn war lediglich das Problem, dass ich zwar supercooles ICQ besaß und meine ICQ# nur um die 5 Zahlen betrug, aber ich kannte keine Sau mit Internet, ICQ oder gar Email.

Ich hatte alles, immer schrecklich up-today, aber alleine … alleine mit Dir, dem Internet.

Es dauerte noch ein paar Jährchen und etwa im Jahr 2000 hatten die meisten meines Bekanntenkreises zumindest schon mal von Dir gehört. Ein großartiger Fortschritt.

2001 habe ich mit Dir zusammen mein ABI bestanden. Nein, nicht was andere jetzt denken mögen, denn geschummelt haben wir nicht, gelle? Ich habe mir nur alle verfügbaren Infos zu allen möglichen Themen aus Dir raus gesaugt. Das fand ich wirklich prima.

Es folgte ein Jahr im Exil, mit ständig wechselndem Aufenthaltsort und ohne Dich. Seit ich zurück gekehrt bin, weiche ich nicht mehr von Deiner Seite und Du nicht von meiner. Wir gehören zusammen und zusammen sind wir eine verdammt produktive und coole Sau!

Der Herr H. ist mir übrigen 2000 das erste mal in einer Deiner Newsgroups über den Weg gelaufen, wo ich ihn und er mich erst einmal ziemlich doof fand … nur gut, dass wir uns zufällig später auch im realen Leben über den Weg liefen.

Ich wollt Dir jedenfalls heute mal Danke sagen. Danke für meinen Job, den ich nur dank Dir habe und auch dank Dir so wahnsinnig gerne ausübe. Danke für die Leidenschaft für Dich, die ich z.B. mit meinem Mann teile. Danke für ICQ, MSN & JABBER, die ich inzwischen mit hunderten Kontakten gefüllt habe und dadurch auch richtige, echte Menschen kennen gelernt habe, an denen man sonst wohl vorbei gegangen wäre. Danke für Fotos, Filme, Geschichten, Nachrichten und Blogs. Ganz besonders für die Blogs!

Du kannst nahezu alles und das auch noch gleichzeitig. Ich habe vom ersten Tag an gewußt, dass wir beide uns verstehen … unter Schwestern des Fortschritts!

Deine Pia

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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21 Gedanken zu „Das Internetz hat keinen Penis

  1. heiliger bimbam. icq steht für „i seek you“!? wenn sie mir jetzt auch noch sagen können, wofür miranda steht, dann … ja, dann kann ich eigentlich sterben. ^^

  2. Jetzt muss ich mich auch schämen, weil ich nämlich seit ungefähr einer Minute kapiert habe, dass ICQ für ‚I seek you‘ steht. Dabei bin ich doch sonst nicht so schwer von Begriff.

  3. Das ist aber wirklich schön geschrieben… da kommt man ja richtig in’s träumen… :) Und ich Looser mußte hatta mal ein Jahr AOL, weil ich dort eine „Schmalbandflatrate“ gewonnen hatte… Eine dunkle Zeit in meiner „Internetgeschichte“, und das nur um die monatliche Telefonrechnung so gering wie möglich zu halten. Schande über MICH(A)!

  4. Ich muss zugeben ich habe auch erst sehr spät von den wahren Vorzügen des Internets zur Recherche und Meinungsbildung erfahren. Auch als eigentlich Internetbewanderter junger Mensch (dachte ich bis letztes Jahr) habe ich erst sehr spät von den unzähligen Blogs erfahren. Als ich dann noch von Podcasting erfuhr dachte ich eine Welt bricht zusammen. Da ist doch die komplette Entwicklung des Open Mind an mir vorbeigegangen :sad:.
    Aber seit ich davon weiß und auch selbst schon ein bisschen Erfahrung mit Podcasten gemacht habe will ich es nicht mehr missen. Nur die Zeit ist natürlich zur Zeit ein Problem aber das gibt sich nach den Prüfungen. :roll:

    btw: Ich bin auch so ein kategorischer AOL und T-online Nichtbenutzer :grin:

  5. frau pia hat recht, (das) internet ist eindeutig mulitaskingfähig und kann deshalb logischerweise besser mit frauen ;-)
    ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, seit wann ich mit dem internet befreundet bin. ich gehöre aber auf jeden fall zu den „frühstartern“. und selbst ein überschaubarer zeitraum von einer woche in einer internetfreien zone – sagen sie nicht unvorstellbar, so etwas gibt es tatsächlich – ist für mich die reinste qual.

  6. Das ist eine wirklich nette Geste gegenüber dem Internet.
    Schön zu lesen, dass es anderen personen auch so ähnlich erging und sich da zum Teil parallelen auftun.
    Ist doch egal, ob das Internet weiblich ist. Hauptsache es ist überhaupt. :luv:
    Hehe – gegen AOL habe ich auch schon immer etwas gehabt. Ich weiss gar nicht wozu und warum aber das ist wohl eine Image Frage.

  7. Ich hab kein Bock mehr auf Internet. Ich lösch das jetzt :lol:
    Im Ernst, wer sich für die Anfänge des Netzes interessiert, dem sei das Buch „ARPA Kadabra“ von Katie Hafner und Matthew Lyon ans Herz gelegt. Kann ich nur empfehlen.

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