Versucht nicht, mir das Leben zu erklären

Ich bin neugierig. Das ist eine Eigenschaften, die mich schon sehr viel hat erleben lassen. Ich musste schon immer alles wissen, alles probieren und alles anfassen, nur um nachher zu wissen, was und wie genau es ist. Das hatte zur Folge, dass ich zu vielen Dingen eine eigene Meinung hatte, wo andere Leute noch nicht einmal ahnten, dass es solche Dinge überhaupt gab. Und natürlich hatte es auch zur Folge, dass ich die verschiedensten Stile der unterschiedlichsten Lebensbereiche zusammen warf und mir immer genau das raus pickte, was mir gefiel.

Zum Beispiel verabscheue ich die Frage nach meiner ‚Lieblingsmusik‘ abgrundtief.

Um es mal knapp zu halten: ich hörte Punk, lauten, bösen und am liebsten deutschen Punk. Ich steh ziemlich auf Independent, das macht mir richtig Spaß. Metall, natürlich mag ich Metall, aber hier am liebsten die ruhigeren Stücke. Für den aggressives Musikgeschmack und das alltägliches Musikhören, greife ich auf EBM und das so genannten Weiber-Elektro zurück. Letzteres wäre somit Standard und folglich wohl dann auch meine ‚Lieblingsmusik‘. Aber wer will sich schon festlegen.

Wenn ich morgen ein gutes Lied höre, das mir gefällt, dann lad ich mir den Song bei iTunes und fertig. Selbst wenn die Band T*kio H*tel heißt.

Denn wissen sie was? Dieses dämliche „Ihh, guck dir die gehypte Scheiße an.“-Gequatsche konnte ich noch nie leiden. Das hatten wir alle schon hunderte Male. Kellys, Take That, NKOTB und wie sie nicht alle hießen. Sogar ECHT war ein mega Hype, aber die durfte man gut finden. Das war ja eine Schülerband, die sich von allein nach oben gespielt hat.
Ähhh, ja. Jetzt mal im Ernst. Sie lassen sich doch wohl nicht von anderen erzählen, was man gut finden darf und was man schlecht finde muss.

Mit 12 Jahren trug ich unterschiedlich farbige Convers. Meist einen blauen und einen weinroten. Ich trug Tücher um den Kopf geknotet, die mir den Spitznamen ‚Ramboline‘ einbrachten, etwa in der selber Zeit. Jeden meiner Spleens hielt ich so lange bei, bis jemand begann mich zu kopieren.

Im Laufe der Jahre waren das grüne Haare, gebatikte Jeans und T-Shirts mit DocMartens.
Lange naturbraune Haare, Mittelscheitel, Lammfelljacke und Army-Rucksack.

Ich habe auf der Demonstrantenseite gestanden und für mein Land gedient. Ich weiß, wie die Luft in welchem Lager riecht und was geht.

Mir brauch keiner erzählen, wie was funktioniert. Ich würde es eh nicht glauben, bis ich es nicht selber ausprobiert habe. Und T*kio H*tel gehört definitiv nicht zu den schlechtesten Dingen, die unsere Zeit hervor gebracht hat.

„Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin.“ ist ein völlig unrealistischer, aber äußerst romantischer Satz, den ich als 15jährige auch auf eine Schulmappe gekritzelt habe. Heute denke ich anders.

Als mir jeder erzählen wollte, dass sich nur Idioten und Assis Piercen lassen, bin ich los gerannt und hab mich Piercen lassen. Gleich dreimal.

Ich habe wirklich starke Nerven und lasse mich selten aus der Ruhe bringen. Wenn ich aber etwas nicht ertragen kann, sind das die Menschen, die mir erzählen wollen, was ich zu tun und zu denken habe. Die mich auf Grund meines Handelns und Denkens bewerten und wahrscheinlich nur halb so viele Dinge wissen wollten, probieren wollten und anfassen wollten, wie ich es getan habe.

Weil andere ihnen ja vorher schon gesagt haben, was das ist, was das kann und wie sich das anfühlt.

Kennen Sie den Spruch „Du kannst alles essen, aber Du musst nicht alles wissen.“, welcher gerne verwendet wird, wenn kleine Kinder „Warum?“ fragen. Tun Sie mir einen gefallen, falls sie diesen Satz jemals hören sollten. Gehen Sie, denn das ist definitiv der falsche Umgang für jeden von uns.

Den Grund für diesen kleinen Exkurs hat mir Herr H. geliefert. Er warf mir ein Stöckchen zu, in welchem es um den BRAVO-Titel des eignen Geburtstags geht. Das Cover der entsprechenden Bravo ließ mich dann in der Vergangenheit schwelgen, insbesondere in der Zeit, in der ich die Bravo las, weil meine Eltern und Freunde das doof fanden.

Bravo - 27. November 1980

Meine Eltern finden die Bravo heute noch doof, möchte ich meinen. Von meinen Freunden weiß ich, dass sie sich die Bravo immer heimlich am Kiosk geholt und im Ranzen versteckt haben, während ich im Musikunterricht ‚Liebe, Sex und Zärtlichkeit‘ lesen konnte und die andere die x-te Mozart-Oper mitlesen mussten.

Scheiß aufs Kollektiv! Ich glaub, ich kauf mir heut ne Bravo.

Die verehrte Frau Serotonic und der werte Herr Fischer sollen doch mal bitte ihren Bravo-Titel offenbaren. Bitte.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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30 Gedanken zu „Versucht nicht, mir das Leben zu erklären

  1. Das beliebte Brecht-Zitat ist ja damals von der Feidensbewegung kastriert und damit mißbraucht worden worden. Denn vollständig heißt es:

    „Stell Dir vor, es kommt Krieg und keiner geht hin
    – dann kommt der Krieg zu Euch!
    Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt,
    und lässt andere kämpfen für seine Sache,
    der muss sich vorsehen:
    denn wer den Kampf nicht geteilt hat,
    der wird teilen die Niederlage.
    Nicht einmal Kampf vermeidet,
    wer den Kampf vermeiden will:
    denn es wird kämpfen für die Sache des Feinds,
    wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“

    Und B. Brecht war wahrlich kein Kriegshetzer.:nein:

  2. Ein gutes Selbstvertrauen ist wichtiger als man glaubt. Und viele von uns könnten etwas mehr davon gebrauchen. Denn dann würden man nicht jedem Hype hinterherlaufen, sich nicht von vermeindlichen Anführern zu was drängen lassen, nicht immer versuchen bei unangenehmen Dingen andere vorzuschicken und weil man es an- und ausspricht viele Missverständnisse vermeiden.

    Irgendwann hatte ich das für mich vor ein paar Jahren erst erkannt. Aber man kommt nicht so einfach von seinen eingefahrenen Wegen ab wie man möchte.

  3. Ein schöner Text!
    Versetzt mich irgendwie 10 Jahre zurück und lässt mich grinsen :grin:
    Was hab ich nur für Klamotten getragen? :roll:
    Meine Mutter hat sich sogar irgendwann geweigert mir Geld für neue Jeans zu geben, weil ich sie ja sowieso immer kaputt geschnitten hab :grin:
    Naja, was soll´s! Ich hab mich so sehr wohl gefühlt!!! :ja:

  4. Ein wunderbarer Text. Du weißt wahrscheinlich, was ich daran am meisten schätze. – Dass Du von Deinen Freunden erfahren mußtest, dass sich Deine Eltern die Bravo immer heimlich am Schulkiosk geholt haben, muß ein schwerer Schlag für Dich gewesen sein.
    @fozi Danke. Das will ich jedesmal zitieren, wenn ich den Spruch irgendwo höre… Übrigens ist die erste Zeile wohl selber ein Zitat, das Rilke wieder wo anders her hatte…

  5. Wenn ich mir den Text da oben so durchlese, dann entdecke ich viel Wahres und viel, dem ich ohne Vorbehalte zustimmen kann. Nur ein Satz stört mich irgendwie:

    „Jeden meiner Spleens hielt ich so lange bei, bis jemand begann mich zu kopieren.“

    Lässt man sich so nicht auch von der Mode vorschreiben, wie man sich verhält? Sollte man nicht einfach man selbst sein, ungeachtet wie sich die Menschen um einen herum geben? Ich erinnere mich an einen Song vom zweiten „Fettes Brot“-Album – „Aussen Top Hits, innen Geschmack“ war der Titel des Albums, „In ist“ der des Songs. Lohnt sich textlich in diesem Fall, vielleicht mal angehört zu werden, weil er genau dieses „Anti-Gehabe“ aufgreift – das ich hier allerdings keinem vorwerfen will, nicht dass ihr mich falsch versteht.

  6. @La-Z: Uppss…Wenn das so ist, dann werde ich mal meinen Grundkurs Deutschlehrer von damals damit konfronieren! :mad:Kein Wunder das wir im PISA-Vergleich hinterherhinken :pfeif:

  7. Ich denke, so ähnlich wie Pia ging es vielen von uns. Wer so nicht war, der hat als Teenie was verpasst. Ach was habe ich meine Chucks und Docs geliebt… Musikmäßig stand ich auf Rock, Punk und habe außerdem die alte Musik meiner Eltern wie Roddy, Billy Joel, Al Stewart und Konsorten geliebt. Wenn man das mal geäußert hat, dann erntete man auch nur Lacher. Ich steh immer noch drauf, mich hats nie gekümmert was die anderen dachten. Ich bleib mir wenigstens immer treu.

  8. @ Blaustro: ich war jungs und nicht fehlerfrei. Sobald meine Spleens keine mehr waren, sondern irgendwie zur Mode wurden, haben sie mich gelangweilt. Das war aber mein eigenen Gefühl, nicht von jemandem vorgegeben.

    Die Piercings habe ich mir im Übrigen auch nicht nur aus Trotz stechen lassen. Das wäre ja verrück gewesen. Aber Trotz gehörte durchaus auch zu dieser Entscheidung. ;)

  9. Als ich meinen Führerschein gemacht habe, wollte ich einen Manta haben. Nicht weil ich den so toll fand, sondern einfach weil er ein so katastrophales Image hatte. War mir dann aber im Unterhalt einfach zu teuer. Ansonsten mach ich inzwischen auch nur das, was mir gefällt, nicht was „zum guten Ton“ gehört.

  10. Ramboline – das klingt wirklich witzig. Mein Vorliebe für ein gewisses, grünes Basecap brachte mir in der Schule mal den Spitznamen „Stüessy“ ein.

    T-Shirts mit Docs? Den Satz könnte man auch so lesen, da auf das Beinkleid dazwischen verzichtet wurde. :grin:

  11. N´Abend!

    eine Frage bleibt mir noch: Aufgrund von was möchtest Du bewertet werden, wenn nicht aufgrund Deines Denkens und Handelns, wenn ich den Text richtig verstanden habe?

    Schönen Tag noch

    christian

  12. Ich glaube, der ein oder andere hat hier nicht ganz verstanden worum es mir ging. Ist aber auch nicht schlimm.

    Bewertet werden möchte ich grundsätzlich gar nicht, außer vielleicht in meinen Job und da zählen Leistungen und Ergebnisse. Das wie und warum ist dort zweitrangig.

  13. Naja, Pia hört ja auch nicht auf zu atmen, sich anzuziehen oder zu arbeiten, weil es alle oder die meisten tun… Aber wir Menschen – ich schließe da mal von mir auf andere – sind nunmal inkonsequent und ungerecht.

  14. mir sind und waren diese ultraindividualisten meistens etwas suspekt, sorry.
    immer das tun was andere nicht tun und wenn andere was tun was
    alle tun dann ist das doof…. wir sind nicht zufaellig alle human beings?
    was ist bitteschoen dauernd so uncool an gemeinsamkeiten ?
    Ich meine nicht das ich es schoen fand das wir in der DDR alle die gleichen
    Anoraks anziehen mussten… im Gegenteil… aber…
    i dont like all that hyperindividualistic gesuelze…..wir sind als Menschen
    schliesslich immer aehnlichen psychosozialen Verhaeltnissen ausgesetzt.
    „Ich bin immer ich selbst geblieben bla bla bla….“,
    ….wieviel bleibt davon uebrig ohne die Menschen um dich herum?
    Scheiss aufs Kollektiv war auch mal mein Satz damals.
    Ich wundere mich warum es mir damit nun aehnlich geht wie Dir mit
    dem „Stell Dir vor es ist Krieg….“:?:
    salut M.

  15. Die einzigen Leute, die hier verallgemeiner sind die werten Leser, die mir eben Verallgemeinerungen unterstellen.
    Hier und in diesem Beitrag ging es um mich, mich, mich (ego!) und manche meiner Macken in der Jugend. Ich habe nicht grundsätzlich alles getan, was andere scheiße fanden und ich habe nicht grundsätzlich alles nicht getan, was andere gut fanden. Eben das steht da … manche Fragen kann ich daher nicht nachvollziehen.

    Es ging nicht darum ein Rebell zu sein oder anders als andere. Es ging nur darum, man selber zu sein. Das zu tun, was einem gefällt. Manchmal waren solche Dinge gerade voll im Trend, ein anderes Mal nicht.

    Ist das so schwer zu verstehen? Ist die Welt wirklich schwarz/weiß? Grausam!

  16. Nun gehts aber mal los. Ich habe gar nichts gelöscht. Kommentare, die in der Moderation landen, schalte ich einmal am Tag frei, da nahezu jedes zweite Spam ist und ich keine Zeit habe, den ganzen Tag Kommentare zu verwalten.

    Sollte ein Kommentar tatsächlich verschwunden sein, ist es möglichweise in den Spam-Ordner gerutscht. Passiert bei 200 zu moderierenden Kommentaren am Tag schon mal. Da kann man dann freundlich drauf hinweisen, wenn eins verloren geht.

  17. „[…]Mit 12 Jahren trug ich unterschiedlich farbige Convers. Meist einen blauen und einen weinroten. Ich trug Tücher um den Kopf geknotet, die mir den Spitznamen ‘Ramboline’ einbrachten, etwa in der selber Zeit. Jeden meiner Spleens hielt ich so lange bei, bis jemand begann mich zu kopieren.
    Im Laufe der Jahre waren das grüne Haare, gebatikte Jeans und T-Shirts mit DocMartens. Lange naturbraune Haare, Mittelscheitel, Lammfelljacke und Army-Rucksack.[…]“

    Ich will FOTOS sehen! :grin:

    Ich find deine Einstellung echt klasse, meine ist eigentlich ähnlich, nur hat es mir meistens Schmerzen (Ja, ich wollte z.B. nicht glauben das ich nicht allein vom Baum wieder runter komme und hab mich dann einfach fallen lassen), Ärger und eine eher Außenseiterposition beschert! Aber ich glaube, auch wenn mir mein geliebte Mutter mich dafür enterben würde, alles wieder so machen denn es hat ein Individium und einen mündigen Bürger der immer und überall seine Meinung unverblümt von sich geben kann und dies auch in 99% der Fälle auch tut aus mir gemacht was in der heutigen Zeit unter den jugendlichen eher selten ist!

    Gruß

    Dieb

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