Vom Neusein

Sie ist schrill, sie ist laut, sie ist unangenehm.

Jedenfalls mir und meiner kleinen Welt, in welcher ich gelernt habe, höflich und besonnen auf Fremde zuzugehen. Man trampelt nicht über bestehende Konstellationen hinweg, sondern beobachtet erst einmal wer, wie, was zusammen gehört und miteinander umgeht. Man gibt dem einen nicht das Gefühl fehl am Platz zu sein, weil er in dieser Runde neu ist und man den anderen schon ewig kennt. Von früher. Also viel länger, als der eine, der mit ihm gemeinsam gekommen ist, der Neue.

Man reißt dem Neuen nicht die Wurzeln ab, die vielleicht der einzige Grund waren, überhaupt mitgekommen zu sein. Die Wurzeln, beziehungsweise das Gefühl, nicht allein zu sein. Das Gefühl, das hier auch ein Stückweit für den anderen zu tun, mit dem und für den man hier ist. Und an diesem andere, an dem wird dann gezerrt.

Kein schmunzelndes „Weißt du noch, damals?“ Nein, ein lautes und affektiertes Lachen, ein ständiges Anfassen und dazu wirklich intime Details aus dem Leben Dritter, die nicht zugegen sind, die man aber kennt. Zumindest alle bis auf den einen, der daneben steht und neu ist. Alte Geschichten, die man als neuer Partner vielleicht gar nicht wissen will, die einen unruhig und nervös machen, die den Fluchtreflex reizen. Die Wurzeln sind gekappt. Man ist alleine. Man kaut auf der Unterlippe, lächelt und schaut einen anderen Weg.

Der Alterunterschied ist unbedeutend, zehn Jahre, so ungefähr. Und dennoch hat man das Gefühl, die Person gegenüber, die ist etliches jünger als man selber. Obwohl man der Jüngste in der Runde ist. Mehr als einmal, wenn mal wieder das Alter in einem Nebensatz zur Sprache kommt, liegt einem ein „Alter schützt vor Dummheit nicht“ oder „geistige Reife ist keine Frage des Alters“ auf der Zunge. Nein, Lächeln, sich den netten Personen zuwenden, die ebenfalls neu in der Runde sind, aber nicht so neu, wie man selber.

„Die Frau ist nicht so dein Fall?“ Man lächelt nur, gibt keine Antwort, kein Nicken oder Kopfschütteln. Nur Lächeln. Und hoffen, dass man schnell wieder gehen kann. Man hat nicht gewollt, dass andere merken und spüren, wie hilflos man sich fühlt, wie viel Wut man gegen eine einzige Person in wenigen Minuten aufbauen kann. Das Gefühl ist mehr als unangenehm, beängstigend und schmerzhaft.

Ja, es tut weh. Man kämpft sogar ein, zweimal die Tränen runter, die den Schmerz befreien wollen, für den einen, für den man hier ist. Natürlich schafft man das auch, fühlt, wie die Anspannung mit jedem Schritt von diesem Ort weg, weiter von einem abfällt. Man blickt nicht zurück, man fragt sich nicht, ob es richtig war herzukommen, denn man weiß, dass man es für den Einen, für den man es getan hat, jederzeit wieder tun würde.

Das nächste Mal ist man vorbereitet. Das nächste Mal kann einen diese beklemmende Wut und Angst nicht überraschen. Das nächste Mal … aber so richtig los lässt einen dieses Gefühl auch Tage später nicht. Der Wunsch, dass es kein nächstes Mal gibt, ist größer.

Jemanden ausgrenzen und klein machen, der sich für jemand anderen in diese neue Situation begibt, den das Mut und Überwindung kostet, ist eine schäbige Art und Weise die eigenen Defizite und Unzulänglichkeiten zu überspielen. Vielleicht aber auch nur ein Zeichen dafür, dass man kein Benehmen hat.

[Aus der Kategorie: beobachtet und mitgelitten.]

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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9 Gedanken zu „Vom Neusein

  1. Ich hab eigentlich kaum ne Ahnung, was ich hierzu wirklich schreiben soll – aber ich will jetzt loswerden, dass das ein grandisoser Artikel ist. Ich kanns nachfühlen – und wünsche einerseits weniger Gründe, andererseits aber mehr solcher Texte. Danke, dass Du hinschaust, wachbleibst und noch Wut im Bauch hast.

  2. Es ist immer leicht, sich in einer Gruppe wohl und stark zu fühlen – noch besser geht das, wenn man jemanden hat, der nicht in der Gruppe ist.
    Ein verhängnisvoller Mechanismus, der leider auch bei „einfachen gesellschaftlichen Gelegenheiten“ greift.
    Man muss schon einigermassen aufmerksam sein, um das dann zu bemerken, und sich nicht dem Flow des Wohlfühlens hinzugeben. Und dann noch die Energie haben, sich gegen das gute Gefühl zustellen.
    Glücklicherweise kommt hinterher dann doch meist das bessere Gefühl dabei raus, wenn mans tut…

  3. Ich glaube zu wissen um welche Situation es sich bei Deinem Beitrag handelt, der wie ich finde sehr gut die Emotionen dieser Begegnung beschreibt. Für Deinen Mut ein großes Lob. Ich wünsche Dir, dass Deine Bemühungen sich lohnen.

  4. Bin zum ersten Mal hier. Das ist der erste Artikel, den ich hier lese. Hat mir schwer imponiert, ganz großes Lob, dass du das so ausgehalten hast. Ich selbst kenne diese Situation, hab sie selber schon so erlebt. Ganz schreckliches Gefühl. Und immer im Hinterkopf der Gedanke: „Geh! Dein Leben ist zu kurz, deine Zeit zu wertvoll, dass du dir das hier antust!“ Egal. Man versucht, den Kloß im Hals herunterzuwürgen, mehr oder weniger freundlich interessiert dreinzuschauen, die Abneigung wird immer größer, man kann es nicht ändern. Man ist froh, wenn es vorbei ist. Man ist froh, es überstanden zu haben. Fraglich ist aber, ob es beim nächsten Mal besser wird… und ob man beim nächsten Mal selbst etwas tun kann, dass es besser wird.

  5. Gelesen und mitgelitten trifft es. Jeder unterdrückte (Flucht-)Refelex baut Wut auf. In einer solchen Situation dem anderen „für den und mit dem man hier ist“ näher zu sein als seinen eigenen (schmerzhaften) Gefühlen. Sich ein Stück weit vergessen (müssen). Nicht die eigene Verletzheit als Maßstab des Handelns nehmen (zu können) – vielleicht weil man gute Erziehung genossen hat. Vielleicht weil man reflektiert und sich seines Tuns bewusst ist. Die Konsequenzen abschätzen kann. Vielleicht weil man die Verletzbarkeit der anderen sehen kann. Vielleicht weil man nicht so sein will wie die, die einen klein gemacht haben. Wegen derer man sich schlecht fühlt.

    Ohne die Situation richtig einschätzen zu können in der Du Dich befunden hast-, Alles richtig gemacht PIA. Du hast Dich klein gefühlt, aber Größe bewiesen. Du warst Dir nicht selbst der Nächste -, sonst hättest Du den Ort verlassen. Du hast Liebe bewiesen. Du hast gutes Benehmen gezeigt und (verletzte Gefühle) verborgen und Du hast das Wissen das Menschen die nur sich sehen die Pupillen und den Kopf verengt haben für kleine feine MenschenPIAkinder.

    „Manche Menschen bleiben arm, weil sie alles daran setzten als reich zu gelten.“
    Woody Allen

  6. Grandioser Text der genau die Gefühlswelt und wie sie in einem in diesem Moment rumort, wiedergibt.
    Zeigt so ziemlich, wie ich mich bei dem vielleicht dritten Date mit meinem Freund fühlte, wir in einer Bar waren und plötzlich auf seine Ex und ihre beste Freundin trafen, die ich davor noch nie gesehen hatte und kannte.
    Ich saß da, plötzlich völlig fehl am Platz, wußte nicht mehr, worauf ich meine Augen richten sollte und fand nicht eine Möglichkeit ins Gespräch einzusteigen. Mir wurde immer unbehaglicher und wäre ich nicht 30 km von zu hause weg gewesen, wäre ich warscheinlich aufgestanden und gegangen.
    Stand die knappen 10 Minuten durch, auch wenn nervlich ziemlich gereizt und innerlich aufgewühlt. Aber da muss man wohl durch…
    Also nochmal dickes Lob für den erstklassigen Text, den ich zu einem deiner besten seit langem zähle!!!

  7. Ich möchte allen Kommentatoren diese kleinen Textes danken. Eure Kommentare haben mir gezeigt, dass man mich und meine Texte durchaus verstehen kann …

    Besonders Aexels Beitrag. Du hast die Situtation nahezu identisch beschrieben … auf Grund eines Textes. Danke.

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