Das Blogmilieu – vom ersten Schuss zum Dealer

Folgenden Text schrieb ich vor einiger Zeit für ein anderes Medium, als das Daily Me. Auf Grund des gestrigen Blog-Geburtstags finde ich den Text im Moment sehr passend und habe mir daher überlegt, ihn auch hier zu veröffentlichen.

*****

Es war im September, regnerisch, dunkel und kalt. Es war der Abend, an dem ich beschloss ein Onlinetagebuch zu eröffnen.

Mein Kollege Matthias nannte das ganze Weblog, was mir aber doch zu futuristisch klang, um es wirklich in meinem Sprachgebrauch aufzunehmen. So dachte ich damals. Die halbe Nacht saßen wir vor meinen Rechner, installierten irgend eine ganz tolle Software, um ins Internet zu schreiben und die ganze Welt, oder zumindest die Menschen, die sich hierher verirren würden, über mich und mein Leben zu informieren.

Ein kleinwenig mulmig war mir bei dem Gedanken schon, mit völlig fremde Menschen meinen Gedanken und Träumen zu teilen, sie daran teilhaben zu lassen und sie so zwangsläufig zu Begleitern meines Alltags zu machen. Aber zunächst einmal musste ich überhaupt irgendetwas in diese kleine Stück Internet schreiben, in mein kleines Stück Internet.

Natürlich gestaltete sich dies schwieriger, als zuerst angenommen. Was sind die Dinge, über die man sich mit völlig Fremden durch ein totes Stück Elektronik und ein weltweites Datennetz austauscht? Meine ersten Gehversuche waren somit holprig, in manchen Punkten zu intim, in andern zu belanglos und ganz sicher das ein oder andere Mal sogar peinlich. Das sehe ich heute so, mit einem Abstand von vier Jahren. Und dennoch hat dieses winzige Stück Internet mein Leben verändert.

Der erste Kontakt zur Außenwelt ließ nicht lange auf sich warten und so hatte ich eines Tages meinen ersten eigenen Kommentar. Jemand hielt das, was ich schrieb, tatsächlich für kommentierwürdig. Der erste kleine Erfolg und der erste Schuss im Weblogmilieu. Ich war angefixt.

Die kommenden Wochen und Monate brachten mehr Leser, Interessierte, Voyeuristen, Klugscheißer und Pedanten mit sich und so stellte sich in meinem kleinen Stück Internet so etwas wie Kommunikation, ja zumindest Leben ein. Jemand verlinkte mich, ich verlinkte jemanden anderen. Ich wurde Teil im Datennetz, eingeflochten, verknüpft und mitgezogen. Und dann tauchte irgendwann das Wort Blogger auf, welches die klägliche Aussage „Ich habe ein Weblog“ durch ein charismatisch betontet „Ich bin Blogger.“ ersetzte. Natürlich hatte ich das Wort Weblog aller Ankündigungen zum Trotz doch schneller in meinen Wortschatz aufgenommen und tauschte es nun durch das prägnantere Wort „Blog“ aus. Das war wohl der Punkt, an dem ich erkannte und zugab, süchtig zu sein. Angefixt sein reichte schon lange nicht mehr aus.

Ich schrieb nicht mehr von meinem Tagesablauf, meinen kleinen Belanglosigkeiten und meinem Alltag. Ich schrieb meine Meinung, meine Gedanken, meine Geschichten mit meinem Worten. Und die Leute kamen, um sie zu lesen. Die Meinungen. Die Gedanken. Die Geschichten. Die Worte.

Inzwischen waren Jahre vergangen, ein langer Zeitraum, wenn er auf das schnelllebige Internet bezogen wird. Meine Texte und ich hatten etwas überdauert. Etwas, was nicht greifbar oder wirklich definiert worden war, aber etwas, was es gab – the Point of no Return. An diesem Punkt angelangt kann man ein Blog nicht einfach wieder schließen, zumachen, die Domain kündigen oder untertauchen. Man ist so etwas, wie die Seite 23 in einer täglich erscheinenden Zeitung. Eine Seite, der wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, die aber dennoch in keiner Ausgabe zu fehlen hat. Denn wenn ich morgen Lust habe, eben diese Seite 23 zu lesen, dann muss sie da sein, lesbar.

Das Bloggen ließ mich so viele interessante und unterschiedliche Menschen kennen lerne, wie man sie wohl im realen, greifbaren, spürbaren Leben nicht kennen gelernt hätte. Und mit jeder weiteren Person, der man die Hand gab, der man in die Augen sah und sie als echt erkannte, wurde das kleine Stück Internet immer realer, greifbarer und spürbarer. Es verformte sich zu einem Bestandteil meines Lebens. Ich war nicht mehr nur süchtig, inzwischen war ich auch der Dealer, der andere anfixte.

Es kamen Kontakte zu Stande, die mir beruflich zur Gute kamen, es gab Pressevertreter, die aufmerksam wurden und nicht zuletzt Kooperationen, die mir Erfahrungen und Erlebnisse ermöglichten, von denen ich nie zu Träumen gewagt hätte.

Rückblickend war es eine gute, egoistische und durchaus auch narzisstische Entscheidung Texte ins Internet zu schreiben. Der Sucht des Schreibens einen Raum zu bieten, der ebenfalls zur Sucht wurde – und der jeden Tag neue Überraschungen, Möglichkeiten, Kontakte und Projekte zulässt, mit denen man nicht gerechnet hätte.

Und auch im nächsten September, wenn es wieder regnerisch, dunkel und kalt ist, werde ich immer noch nicht glauben können, dass ich viele der großartigen Dinge der vergangenen Jahre nur erleben konnte und durfte, weil ich eines Tages beschlossen habe ins Internet zu schreiben.

Ein Weblog zu eröffnen.

Ein Blogger zu sein.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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16 Gedanken zu „Das Blogmilieu – vom ersten Schuss zum Dealer

  1. Es kamen Kontakte zu Stande, die mir beruflich zur Gute kamen, es gab Pressevertreter, die aufmerksam wurden und nicht zuletzt Kooperationen, die mir Erfahrungen und Erlebnisse ermöglichten, von denen ich nie zu Träumen gewagt hätte.

    Das liegt aber nicht am bloggen, sondern an daran, dass Du bloggst, was Du bloggst.

  2. sehr schön, du beschreibst, was viele blogger fühlen und was einige schon hinter sich haben. der text gefällt mir echt. ich muss sagen, dass ich auch süchtig nach bloggen bin, auf der anderen seite aber auch nach daily-me. so ist das halt. ein hoch auf meinen dealer. mfg Xe54

  3. Herzlichen Glückwunsch daily me!!!

    Bin selbst noch frischgebackene „Onlinetagebuchschreiberin“ (Achtung: noch nicht „Boggerin“ ;o) und wünsche mir, dass ich irgendwann auch mal mit den Geschichten aus meinem Leben andere Leute „fesseln“ kann…

    Alles Gute und auf weitere viele Jahre!!

  4. Frau Pia,

    Sie überraschen mich immer wieder, und das ist wohl auch der Grund, weshalb ich immer wieder gerne bei Ihnen vorbei schaue.

    Es ist schon faszinierend, wie diese Art von elektronischer Kommunikation persönlicher sein kann, als vorher gedacht. So stellte auch ich mir, wie vermutlich dutzende anderer Leser, bei Ihrer längeren Blogabstinenz die Frage, was ist da los? Damit meine ich nicht den Blog/ die Bloggerin, sondern die Person, die dahinter steht.

    Vielen Dank, dass wir an Ihren Gedanken, Texten teilhaben dürfen, und dass wir so gut unterhalten werden. Und natürlich wünsche ich Ihnen viel Spass und Kreativität für die nächsten Jahre.

  5. angefixt bin ich auch schon *g* … dank Pia

    @Xenon:
    Ich war noch nicht mal 30 min nach meinem Urlaub zu Hause, da musste ich erstmal bei Daily-Me nachsehen … und natürlich auch nach neuen Podcastfolgen gucken *fg*

  6. Auch von meiner Seite einen herzlichen Glückwunsch. Zwar bin ich nicht durch dich angefixt worden, aber dein Blog war eines der ersten, die die ich aufgerufen habe. Und das hat die Neugier geweckt.

    Danke dafür, dir noch viel Spaß und Erfolg mit deinem Blog :)

  7. Hallo!

    Zum ersten Mal hier – man landet ja über den Blogroll eines Blogrolls eines Freundes auf den unterschiedlichsten Seiten – bin ich schwer beeindruckt von deinem Text.
    Gerade mal über ein knappes Jahr eine „ins Internet hinein“ – Schreiberin, würde ich die „Seite 23“ doch sehr vermissen.

    Gucke bestimmt öfter mal vorbei!

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