Der Strohballen … und ich.

Hey Mama, sieh her. Da bin ich, strecke die Arme von mir weg, stehe etwas breitbeinig vor dir und grinse. Das bin ich, ein Meter dreiundsechzig groß. Nicht wirklich groß und – Gott weiß – nicht wirklich weise. Zu viele Fragen, die ich mir stellte und auf die ich bisher keine Antwort fand. Zu viele Probleme, denen ich mich annahm und für die ich keine Lösung fand. Zu viele Entscheidungen, die ich traf und denen ich die ehrliche Konsequenz schuldig blieb. Viel getan, gesagt, gedacht, was nicht ehrlich war.

Hey Papa, guck mal. Ich dreh mich um die eigene Achse, lache dann leise. Fehlerfrei? Ich? Beim besten Willen nicht. Ich hab viele Dinge getan, die du nicht verstanden hast und manchmal denke ich, dass ich sie genau deshalb tat. An manchen Dingen habe ich festgehalten, mit aller Kraft und meinem ganzen Herzen, weil du genau das nicht sehen und verstehen wolltest.

Hey Schwester, hallo. Ich wackle mit meinem Hintern und zieh eine Fratze. Geraucht, Gesoffen, Gefressen. Ich hab mich und meinen Körper verarscht, ihn voll gestopft und dann ausgehungert. Weil ich der Meinung war, dass ich Herr über mich bin und jedem zeigen kann, dass ich mich und meinen Körper im Griff habe. Wahr war davon nur das mit dem Körper. Das Herz hatte andere Pläne.

Hey Bruder, los, dreh dich um. Versuch dich nur fünf Minuten auf mich zu konzentrieren, auf das kleine Mädchen, für das du Chaot und Egoist jahrelang das Vorbild warst. Du warst die Messlatte, an der sie sich messen mussten. Doch irgendwann, natürlich zu spät, habe ich erkannt, dass du keine gute Messlatte bist. Dass ich diese Messlatte selber sein sollte.

Und so hab ich jahrelang Dinge getan, von denen ich fest überzeugt war, ich tue sie, weil ich sie tun will. In Wahrheit hab ich viele Dinge davon getan, weil ihr nicht wolltet, dass ich sie tue.

Ich füttere doch nicht jahrelang einen Strohballen, der trotzdem nur piekst. Ein Strohballen ist ein Strohballen und bleibt ein Strohballen. Auch wenn ich lieber einen Wattebausch hätte.

Print Friendly, PDF & Email
Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
Beitrag erstellt 4659

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben