Doomsday

Heute gibt es in NRW Zeugnisse. Was ja gleichbedeutend damit ist, dass in einigen Familien der Haussegen Schieflage bekommt.
Ich persönlich hatte da immer Glück – zuerst waren meine Zeugnisse nicht so, dass der Familienfrieden in Gefahr gewesen wäre und später war der mir einfach völlig egal. Eine Unterschrift ist schließlich eine Unterschrift, egal, wie der Unterschreibende dabei geguckt hat, oder?

Ich hatte damals tief unten im Bauch die absolute Sicherheit, dass es hauptsächlich darum gehen würde, möglichst gesund die Zeit hinter sich zu bringen. Den Traum meiner Eltern von Jura oder Medizin hatte ich irgendann in der 8en Klasse mal einer kritischen Beobachtung unterzogen und danach verworfen. Und so ging es nur noch darum, nach 13 Jahren den Zettel in die Hand zu bekommen.
Ich habe das dann auch geschafft – mit einem legendär gewordenen knappsten Abi seit Jahren (glatte 100 Punkte, Baby) – aber genau wie ich es vermutet hatte, hat mich seitdem nie wieder ein Mensch danach gefragt.

Ich weiss bin heute nicht, ob ich darauf wirklich stolz bin. Zum einen habe ich das System Schule natürlich bis zum letzten ausgereizt. Ich bin definitiv mit dem geringstmöglichen Aufwand durch die Zeit gegangen. Gut, ein paar Mal hat es ein bisschen an meinen Nerven gezerrt, aber im großen und ganzen war die Zeit recht bequem.

Andererseits ärgere ich mich schon über manches, was ich damals eben nicht oder nur fürs Kurzzeitgedächtnis gelernt habe. Mein Essen im Südfrankreichurlaub hätte ich zum Beispiel gerne selbst bestellt – aber dafür reichte es einfach nicht.

Ich finde es schade, das es offensichtlich niemand geschafft hat, mir damals einen plausiblen Grund fürs Lernen zu vermitteln. Es ging immer nur um Noten und um „Ich sag Ihnen, das wird knapp dieses Halbjahr„.
Aber nie darum, dass es Spaß machen kann, etwas zu lernen. Sich Zusammenhänge zu erschließen, neues zu entdecken und anzuwenden. Nie darum, wofür ich denn bitte einmal Latein brauchen könnte, außer um die Fremdwortfragen bei einer Samstagabendshow mit Günter Jauch besser beantworten zu können. Nie darum, dass es etwas richtig geiles ist, zu lernen.
Und ich fürchte, das hat sich bis heute kaum geändert.

In diesem Sinne:
Liebe Kinder, die Welt geht gar nicht unter, wenn das Zeugnis nicht gut ist. Und Ihr seid keine besseren Menschen, wenn es toll ist.
Liebe Eltern, Kinder haben anderes im Kopf, als ihre Karriere. Und das ist auch gut so.

Diese kleine Systemkritik am frühen Morgen wurde Ihnen präsentiert von
Ihrem Christian aussem jawl.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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21 Gedanken zu „Doomsday

  1. Interessant, dass hinterher irgendwie immer zu der Erkenntnis kommen, sie hätten gerne mehr gelernt in der Schule. Man müsste jetzt nur einen besseren Weg finden, das den Kindern zu vermitteln. Nicht nur „Du wirst Dich später mal ärgern“ oder „Wenn ich die Chance hätte, das nochmal zu machen, so wie Du…“
    Abgesehen davon hast Du natürlich Recht damit, dass es wichtigeres gibt als Noten und dass die Kinder auch das lernen sollten. Gibt ja diverse Leute, die in der Schule mehr so mittelprächtig waren und danach in dem was sie tun einfach nur supergut sind UND sich für diverse andere Bereiche auch noch interessieren, die ihnen vorher keiner schmackhaft machen konnte…
    Also: wie sagen wir’s ihnen? ;)

  2. Sehe ich auch so. In meinem Fachabi war ich immer so eine langweilige 3er-Kandidatin. Bis auf Mathe. Mathe war eher 5 :) Hat mir bis heute nicht geschadet. Wie lautet der Spruch: Wer zu viel lernt, hat zu wenig Talent…

  3. Nee, gelernt habe ich das alles ja mal in mindestens ausreichendem Maße.
    Aber ich habe es nicht behalten. Ich hatte keine Motivation, irgendetwas in den tieferliegenden Gehirnregionen abzuspeichern.

    Ich glaube, ich hätte gerne ANDERS gelernt – dann hätte ich auch automatisch mehr gelernt.
    Beispiel:
    Mein Geschichtslehrer setzte darauf, am Anfang jeder Stunde einen willkürlich ausgewählten nach dem Inhalt der letzten Stunde abzufragen. Folglich las man vor der Stunde hektisch die Zusammanfassung am Schluss des Kapitels im Geschichtsbuch. Reines Kurzzeitgedächtnis-Training. Alles dementsprechend seit Jahren wieder weg.

    Den kategorischen Imperativ kann ich nachts um drei im Vollsuff noch fließend erklären – den haben wir in einer angeregten Diskussion erarbeitet, zerpflückt und verstanden.
    Oder Physik – das wurde interessant, als ich in der Oberstufe im mündlichen Pflichtkurs sass, in dem wir thematisch mehr oder weniger machen konnten was wir wollten. Und Hawking diskutiert haben – das weiss ich auch noch alles.
    Aber die mühsam gepaukten Grundsätze der Akkustik aus Klasse 8? Nee…

  4. Sehr kleine Kinder wissen das noch, sie freuen sich über alles, was sie dazu lernen. Wann genau das im Erwartungsdruck zerrieben wird, kann ich nicht sagen. Aber letztlich springt ein gutes Pferd eben nur so hoch, wie es muss.

  5. Irgendwann ist einfach ein gewisses Gefühl an Sättigung vorhanden. Man weiß was man kann und wie man damit am Besten im Fahrwasser der Schuljahre noch zurechtkommt. Teilweise fehlt die Bestättigung, teilweise der Reiz sich selbst etwas zu beweisen. Zumindest war das bei mir dann irgendwann so. Das Schlimme nach der Erkenntnis ist, selbst wenn man nochmals die Chance bekommt sich erneut zu beweisen, macht man es genauso.

  6. : Teilweise fehlt die Bestättigung, teilweise der Reiz sich selbst
    : etwas zu beweisen

    naja, aber da kommen wir doch wieder zurück – wer sollte einem denn die Bestätigung geben?
    Klar, wenn ein kleines Kind erst einmal gelernt hat, dass es nur für den kurzfristigen Erfolg, der sich in roter Schrift unter der Arbeit (oder auch in den unsäglichen Fleiss-Sternchen) manifestiert lernt, dann ist dem Jugendlichen auch kein Reiz mehr beizubringen :(

  7. Die Reize muss man sich wahrscheinlich selber irgendwie geben. Mir ist es irgendwann nicht gelungen. Selbst diese ach so tolle Belohnungssystem, was Herr Bloomberg in NY jetzt versucht zu etablieren, wird da nicht den Lerneffekt erhöhen. Man lernt für die Arbeit, bekommt, wie ich damals ne Mark für ne gute Zeugniszensur, aber gemerkt hat man sich die Sachen noch lange nicht.

  8. ich glaube ja, Lernen hat viel mit Spas zu tun. Und dann kommt man daran zu überlegen, wem seine Arbeit Spass macht – also so richtig Spass – und dann siehts vermutlich schnell finster aus …

  9. „Gut drauf‘ mit guten Noten in der Schule“

    – das ist und bleibt ein Slogan einer Nachhilfeschule, der mir mal ziemlich nahe gegangen ist und den ich auch heute nicht so schnell vergessen werde.

    Ich hatte eine seltsame Schulzeit, trotz der Tatsache, dass ich eigentlich einer der hätte sein können, der mit Noten glänzen könnte, wenn er denn nur wollte. Und somit ließ ich vieles Schleifen und ertränkte mich selbst in Selbstmitleid und moralischem Druck in Anblick des fortwährend schwachsinnigen Konkurrenzkampf zwischen Schülern.

    Und das hat sich leider bis heute nicht verändert. Gelandet unter ziemlich genialen (echt!) Schülern schwebt immernoch der Gedanke, nicht der angesehene Mensch zu sein, wenn ich nicht gute Noten schreiben würde.

    Deswegen habe ich heute bei meiner Personalchefin das 1er Zeugnis abgegeben und wieder Freunde verloren, die ich in Unterrichtssituationen mit fiesen Sprüchen diffamiert habe, weil ich die Erhöhung des Notendrucks nicht ertragen konnte.. und eigentlich nur selbst schuld bin.

    Und manchmal glaubte ich sogar an Aufgabe, einfach alles stehen und liegen lassen, mal früher ins Bett zu gehen und mit ruhigem Bauch zu wissen: Hey, ist ok wenns schlecht als bei den anderen wird. Man kümmert sich doch eh nur um die eigenen Noten, so geht das auch in den Köpfen der anderen.

    Aber zufrieden war man doch immer nur mit guten Noten. Dann war das Wochenende umso besser.

    Noten sind in unserer Gesellschaft schon wichtig. Leider. Und Abstellen kann man den Gedanken nicht. Wer so tut, als ob, der verkennt die Realität. Oder hat nicht vor, stolz auf seinen tollen Job zu sein.

    Sonst toller Beitrag, stimmt schon. Ahoi (PS: Mia, SMS bekommen? Leider kein Feedback – hast Du wohl nicht ernst genommen. Schade.)

  10. @Maexchen:
    Tja. Klingt gut, und wenn man Pisa als Maßstab nimmt ist es auch gut. (Meiner Meinung nach eh-)
    Meiner (ich hab immerhin zwei Drittel eines Lehramtsstudiums durchgehalten und meine Frau ist Lehrerin) Erfahrung nach gibt es in deutschen Schulen viele Ansätze, ähnlich zu arbeiten und sich in eine solche Richtung zu bewegen.
    Neben den ewig-gestrigen Kollegen (die es natürlich wie überall gibt) sind das größte Hindernis die Eltern. Die wollen schon in der Grundschule nicht „pädagogischen PillePalle-Kram“, sondern „ordentlich was zu lernen“. Mit Noten, damit man klar erkennen kann, dass Jaqueline in 10 Jahren bessere Chancen auf dem Berufsmarkt haben wird als Dennis von nebenan.
    Unterhalt Dich mal mit irgendwem über neue Methoden zum Lesen- und Schreiben-Lernen – da gibt es eine prima Methode, da dürfen Kinder erst einmal schreiben wie sie es hören (aber eben „falsch“) – da wirst Du schnell einen guten Eindruck bekommen, was man in Deutschland so allgemein von Lernformen hält, die neuer oder freier sind. Oder vielleicht sogar Spass machen …

  11. @ Christian 20. Juni 2007 um 22:58 Uhr
    Mein kleiner ist gerade 4 geworden, und mir stehen die Nackenhaare immer sofort hoch wenn ich nur daran denke.
    Es gibt viele neue Ansätze die eingebracht werden.
    Viele diese Ansätze taugen aber rein gar nichts.
    Mal zwei (drei) als Beispiel.
    Hier in NRW gibt es ja seit kurzem diesen Sprachtest. Die wirklich in einem Sprachtest müssten, haben diesen bestanden. Aber die Kinder die zurückhalten sind, haben bei dem Spiel nichts gesagt, und mussten in die Stufe zwei. Die Stufe eins wurde im Kiga abgehalten. Die Stufe zwei wird aber im Klassenraum abgehalten, meinst Du die sagen da mehr? Die vierjährigen die nicht im Kiga sind, mussten automatisch zur Stufe zwei.
    Selbst wenn die Kinder es wirklich nötig haben, und zur Sprachschulung gehen, was nützt denen das denn?
    Die gehen 1 mal in der Woche hin, aber zu Hause wird trotzdem anders gesprochen.

    Das schreiben wie die Kinder hören finde ich gar nicht gut. In meinem engeren bekannten Kreis gibt es sechs Kinder die immer noch falsch schreiben. Zwei von denen sind deswegen auf der Hauptschule gelandet. Durch den Kiga haben wir viele Eltern kennengelernt, die das gleiche Problem haben. Einem Kind, das gerade erst anfängt zu schreiben, es erlernt, sollte es sofort richtig beigebracht werden. Es darf doch hinterher nicht bestraft werden, nur weil das Kind mal was aus den ersten Stunden/Jahren behalten hat.
    Auch ich habe heute noch bestimmte Macken aus den ersten Schuljahren, die ich garantiert nicht heraus bekomme.

    Auch finde ich es unmöglich, das die Lehrer bestimmen sollen auf welche weiterführenden Schule es geht. Dazu wurde hier in Steinfurt ein Prognoseunterricht eingeführt.
    http://www.westline.de/nachrichten/archiv/

    Anschließend wurde eine Pressemitteilung herausgegeben, steht auch in dem Link,
    Empfehlung meistens bestätigt
    In den WDR Lokalnachrichten nannten die eine Zahl von fast 50% der Schüler, die auf einer Falschen Schule gehen sollten. In einem Nano/WDR/genauerhabeichsvergessen Bericht sagte unverblümt ein Grundschullehrer, das er nach persönlichen Gründen vorgeht, in welcher Schule er ein Kind steckt.
    Wenn ich bedenke wie viele Eltern das glauben was die Lehrer sagen, tja dann.

    Ich finde DAS kann es nicht sein.

    Nur zur Info, ich habe nichts gegen Pauker, Trauzeugen und Paten sind Lehrer :-) Wobei die Patin gerade ihr erstes Examen gemacht hat, Sie kennt also das neue

  12. Tja, das ist das Dilemma.
    Einerseits vetraut man den Lehrern nicht obwohl es dringend nötig wäre damit nicht ständig vor- und wieder zurückgerudert wird, andererseits kann man ihnen nicht vertrauen.
    Lies mal diesen Artikel im SZ-Magazin – das ist nämlich auch Alltag, dem sich Lehrer beugen müssen.
    Wenn man erlebt, was für einen Unsinn Eltern machen, um ihr Kind auf die vermeintlich bessere Schule zu kriegen versteht man, dass die Entscheidunghoheit da an die Lehrer soll.
    Die Sprachtests sind hingegen mindestens in der Ausführung der letzte Mist, keine Frage.
    Schreiben lernen nach Gehör finde ich und kenne ich als sehr gut.

    Und so haben schon wir beide hier in den Comments verschiedene Meinungen, obwohl wir garantiert das gleiche wollen.

    Das Dumme ist: Man kann es ja nicht einfach mal ausprobieren – so quasi am lebenden Kind. Und dann eine Generation später sagen „Ups, tut uns leid, der Weg war falsch“

  13. Genau das ist das Dumme

    Das ist ein Problem in Deutschland.
    Einfach mal zugeben das es Falsch war, und wenn man es macht, ist man ein Versager.
    In anderen Ländern heißt es, den will ich haben, der hat Erfahrung, diesen Fehler macht er nie wieder.

    Und was den Artikel angeht, das lässt sich sehr leicht ändern, alle bleiben bis zur 10 in einer Klasse, und danach wird entschieden wie es weitergeht. Am besten nach dem Durchschnitt der 10 Jahre, denn jeder hat mal ein schlechtes Jahr dabei. Das klappt in vielen anderen Ländern.
    Dann gibt es auch kein Druck mehr. Ich glaube aber nicht das dieses in 6 Jahren umgesetzt wird, und schon sind wieder meine Haare oben :-)

  14. „Reformunwillig“ oder wie hiess das Wort noch? Ach ja, und dann gabs ja noch die „German Angst“.
    Ich fürchte, da muss noch ne Menge passieren, bis sich mal was bewegt. Und vor allem der Mut, mal was auszuprobieren. Nicht perfekt zu sein. Fehler zuzulassen. Der fehlt der Mut…

  15. @Christian: Sie haben ja mein Leben gelebt, nur muss ich mein Essen in Spanien per „auf der Karte zeigen“ bestellen.

    Eine befangene Meinung da mein Vater Lehrer ist. Seit es ein Zentralabitur gibt, wird auch die Literatur vorgegeben. Laut meinem Vater ist darunter relativ viel Nonsens, den er sonst nicht behandeln würde. Und alles nur der Vergleichbarkeit des Abiturs wegen? Der gleiche scheiß wie beim Bachelor, der hätte lieber bei RTL bleiben sollen…

    Was will ich damit sagen: Nicht immer die Lehrer, öfter auch Mal das Kultusministerium.

  16. Der Grund zum Lernen? Einfach: Wenn ich den ganzen Morgen in der Klasse sitzen muss, dann kann ich auch dem Typen vorne zuhören.
    Effizienter lässt sich die Zeit in der Schule nämlich nicht nutzen. Mit ein bissel Multitasking macht man parallel noch die Hausaufgaben und hat dann nach dem letzten Gong den ganzen Tag frei. Ganz simpel, ganz wirkungsvoll.

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