Der Herr Polizist

Der Curser zappelt auf dem weißen, aber nicht realen Papier herum. Irgendwie macht er mich nervös, so als würde er personifiziert um mich herum springen und immer rufen: „Schreib, los, schreib schon.“

Ich starre ihn eine Weile teilnahmslos an, so als würde ich ihn nicht hören oder nicht verstehen. Mein Kopf ist so voll, das es schwer fällt nur einem Gedanken zu folgen, nur eine Geschichte zu bloggen, nur eine Emotion zu umschreiben. Kurz vor dem Nervenknotenpunkt, an dem der Gedanke sich auf den Weg zu meinen Fingern macht, scheint irgendein kleiner Polizist zu wachen. Ob es ein Moral-, ein Harmonie- oder vielleicht sogar ein Angstpolizist ist, kann ich nicht wirklich sagen. Er hat sich bei mir ja nicht vorgestellt. Jedenfalls steht er da, an dem Nervenknotenpunkt, reckt die rechte Hand in die Luft und schüttelt mit bestimmendem Gesichtausdruck den Kopf. „Nein, mein lieber Herr Gedanke, Du kommst hier nicht raus. Zieh ruhig noch ein paar Bahnen und stell dich wieder hinten an. – Ah, Frau Gedanke, sie aber auch nicht. Sie stellen sich bitte da drüben an, beim Weg zum Mund, und mein Kollege lässt sie dann zur richtigen Zeit durch.“

So steht er da und versorgt einen Gedanken nach dem anderen mit einer Abfuhr. Manchmal geben die Gedanken dann auf und er steht mit verschränkten Armen vor seinem Nervenknotenpunkt, schaut zufrieden drein und grinst wissend. In unbeobachteten Momenten blättert er versteckt vor den Augen der anstehenden, wartenden oder gelangweilten Gedanken in einer Liste mit aktuellen Abfuhrgründen.

Am liebsten würde ich ihm diese dämliche Liste aus der Hand reißen, in tausend Fetzen zerpflücken und ihm diese dann höhnisch lachend vor die Füße werfen. Doch allein bei dem Gedanken daran sieht er zu mir auf, beziehungsweise zu genau diesem Gedanken, der gerade vor ihm steht. Er schüttelt mahnend den Kopf und wackelt mit dem Zeigefinger. Dann grinst er frech: „Sie sind aber ein unartiger Gedanke.“ Dann deutete er dem Gedanken mit einem Kopfnicken, dass er passieren darf. Leise, schnell und unauffällig. Er sieht ihm noch eine Weile schmunzelnd hinterher, klopft dann an die Großhirnrinde und flüstert: „Wenn Du nicht soviel denken und dafür mehr handeln würdest, könnt ich auch mal Pause machen.“

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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7 Gedanken zu „Der Herr Polizist

  1. Liebe Pia, dann schick doch mal eine Armada junger wilder Blitzidee-Demonstranten hinter die Großhirnblockade. Anarchie im geregelten Synapsenverkehr wird sicher Deine Gedanken aufmischen! Funktioniert bei mir auch hervorragend…

  2. Wie süß. Ich denke dabei gerade an „Es war einmal… das Leben“ diese lustigen Zeichentrickfilme mit den Blutkörperchen usw.

    Aber, was will uns der Autor damit sagen? Vielleicht, dass es was interessantes zu erzählen gibt, was aber vielleicht nicht für „die breite Masse“ bestimmt ist?

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