Für sexuelle Gefälligkeiten

Fast ein Jahr habe ich ihn aus der Ferne angehimmelt, ihn wort- und tatenlos angeschmachtet und ihn als Masturbationsvorlage missbraucht. Und ich schäme mich nicht einmal das zuzugeben. Er war der Traum meiner schlaflosen Nächte und meiner oft feuchten Tagträume. Ich hätte alles für ihn getan, nur damit er mich einmal als begehrenswerte Frau erkennt und zu guter Letzt als seine Partnerin auswählt.

Gut, meine Gründe waren vielleicht einen Tick eigennützig, wenn ich ehrlich bin. Fakt war, dass eigentlich jedes weibliche Wesen in seinem Dunstkreis innerhalb von Sekunden seinem Charme erlag und ihn als das Objekt der Begierde schlechthin erkor. Der Mann war aber auch sexy. Ich würde sogar soweit gehen und ihn als Sexgott deklarieren, ohne ihn einmal wirklich ausprobiert zu haben.
Die Rede ist von Jan, Mitte dreißig und erfolgreicher Product Manager bei einem Musikverlag. Was Jans Reize ausmachten, ist daher einfach zu erklären.

Punkt eins: er war erfolgreich.
Punkt zwei: er sah verboten gut aus.
Punkt drei: er kannte jeden Star und jeden Sternchen von Flensburg bis Oberstorf.

Und ich hatte ihn auserwählt um meine unscheinbare und minderwertige Persönlichkeit aufzuwerten und mir den Glanz zu verleihen, der mir zustand. An Jans Seite auf einer Release-Party von Coldplay auftauchen, graziös über den roten Teppich schweben und in einem schweineteuren Armani-Kleid, welches Jan mir für diesen Anlass extra geschenkt hatte, alle Blicke auf mich ziehen. Ein flüchtiges Lächeln für die Fotografen, ein leicht arrogantes Winken in die Menge und dann durch die schweren Portaltüren, um Coldplay-Sänger Chris Martin persönlich zur neuen Scheibe zu gratulieren. Das war der Plan.

Ich schmachtete ihn also schon länger aus der Ferne an, aber richtig kennen lernte ich Jan an einem Samstagabend in meiner Stammdisko Nightwish, welche ich, wie beinahe jedes Wochenende, mit meinen Freundinnen Ani, Sarah und Miki, die eigentlich Michaela hieß, unsicher machte. Ich wollte gerade, mit vier Gläsern Wodka-Redbull beladen, von der Bar an unseren Tisch zurückkehren. Vorsichtig schlängelte ich mich durch die tanzenden Menschmassen, als er plötzlich gute drei Meter vor mir auftauchte. Er stach aus der Masse hervor, als wäre er eine Erscheinung, gehüllt in gleißendes Licht. Für wenige Augenblicke erstarrte ich, erwiderte dann sein warmes Lächeln und kollabierte beinahe, als er den Arm hob und zu mir rüber winkte. Von dieser Geste überrascht dauerte es einen Moment bis ich reagieren konnte, die rechte Hand hoch riss und beide darin befindlichen Gläser Wodka-Redbull schwungvoll über mich und die Menschen um mich herum entleerte. Ein lautes und wütendes Gebrüll machte sich breit und alle Blicke schienen auf mir und meiner, von der Wodka-Dusche ruinierten Frisur zu ruhen. Mit gesenktem Kopf grummelte ich ein für alle Umstehenden unverständliches „´Tschuldigung“ und versuchte mir den Weg zurück zu unserem Tisch zu bahnen. Die verbleibenden vollen Gläser Wodka-Redbull entleerte ich keine zehn Sekunden später dann auf das Boss-Sakko von Jan, welchen ich auf Grund meiner gebückten Haltung übersah und unsanft mit ihm zusammen stieß. Sein Blick war nicht weniger unfreundlich, als die Blicke, der mir immer noch hinterher schimpfenden Horde Wodka-Geduschter. „Scheiße, Mann! Das ist ein 200 Euro Sakko.“ Panik beschlich mich und um die Situation zu retten stellte ich die leeren Gläser neben mir auf einen Tisch und kramte in meiner Handtasche nach einem Taschentuch. Alles was ich fand war ein benutztes Papiertaschentuch, in welches ich nicht nur reingeschnäuzt hatte, sondern in dem auch bereits ein alter Kaugummi klebe, welchen ihn nun großzügig über Jans in Wodka getränktes Sakko verteilte. „Ey!“ Er packte mich bei den Handgelenken und zerrte an mir, bis ich schließlich das Taschentuch fallen ließ und ihn an sah. Sein Blick bohrte sich in meinen. Mein Gott, waren das warme braune Augen. Sie funkelte im Schein der Diskoscheinwerfer wie Bernstein und ließen mich dahin schmelzen. Ich denke, das war der Moment, in dem ich Jan endgültig und auf Lebzeiten verfiel. „Du hohle Kuh. Ruinier´s nur weiter. Ich hoffe, Du hast ne gute Haftpflicht!“, zischte er und verstärkte den Griff um meine Handgelenke. „Ähm, ja, äh, nein!“ Ich stotterte und versuchte meine Hände zu befreien, doch Jan ließ nicht locker. Eine ganze Weile starrte er mich alles durchdringend an und ich starrte zurück. So sehr fesselte mich sein Blick, sein Duft und – nun ja – wahrscheinlich auch sein Griff. Dann ließ er plötzlich meinen rechten Arm los, drehte sich um und zog mich so unsanft hinter sich her, so dass ich beinahe hin fiel. „Ähm, hallo, Moment. Wo willst du hin?“, unternahm ich einen kläglichen Versuch herauszufinden, was er nun mit mir vorhatte. Natürlich erhielt ich keine Antwort.
Mit einem lauten Krachen stieß er die Tür zum Hinterausgang des Nightwishs auf, zerrte mich durch die Tür und ließ mich endlich los.
„Du hast Glück, dass ich keine Frauen schlage“, brummte er und kam mir gefährlich nahe. Sofort wich ich einen Meter zurück.
„Ich, ich … es tut mir leid. Es war wirklich keine Absicht. Ich war nur so verwirrt, weil Du mir gewunken hast und da …“
„Ich soll was getan haben?“
Verwirrt sah ich ihn an und spürte, wie mir die Röte eines Pavianarsches ins Gesicht stieg. Noch bevor ich ihm antworten konnte brach er in schallendes Gelächter aus.
„Meine Güte, Du bist ja noch dümmer, als Du aussiehst. Ich hab doch nicht dir gewunken, sondern einem Kumpel, der an der Bar stand!“ Wenn es eine Steigerung von Pavianarschrot gibt, dann erreichte meine Gesichtsfarbe soeben genau dieses Stadium. Bevor ich mir einen halbwegs geraden Satz ausdenken konnte, den ich möglichst selbstsicher zum Besten geben konnte, verfinsterte sich Jans Miene auch schon wieder. Bedrohlich hob er den Zeigefinger.
„Das einzige was ich von Dir will, ist Deine Telefonnummer, Deinen Namen und Deine Adresse.“ Verblüfft sah ich ihn an und konnte nicht verhindern, dass ein wahnsinniges Gefühl von Euphorie und Glück in mir aufstieg. Beinahe wäre ich ihm um den Hals gefallen, da ergänzte er seinen Satz lautstark: „Und wenn Du mir das Sakko nicht binnen sieben Tagen ersetzt hast, hörst Du von meinem Anwalt!“

Natürlich gab ich ihm meine korrekten Daten, denn innerlich hoffte ich allen Ernstes, dass Jan sich bei mir melden würde, mich zum Kaffee einlud und feststellte, dass ich ein ganz bezauberndes Wesen war. Doch der Anruf blieb aus. Stattdessen erhielt einen bitterbösen Brief mit einem Kassenbeleg und der Aufforderung, die 198,95 Euro auf nachstehendes Konto zu überweisen. Umgehend! Ich tat, wie mir geheißen war, um nicht auch noch die allerletzte Chance auf ein eventuell harmonischer verlaufendes Treffen aufs Spiel zu setzen. In die Verwendungszweck-Zeile schrieb ich: „Für sexuelle Gefälligkeiten“, weil ich in einem Frauen-Lifestyle-Magazin mal gelesen hatte, dass das ein brauchbarer Spaß sei, um das Eis zu brechen.

Beschaffen Sie sich seine Kontonummer und überweisen Sie einen kleinen Betrag (1 Cent reicht schon aus) mit dem Verwendungszweck: Für sexuelle Gefälligkeiten! Die Lacher werden auf ihrer Seite sein, sofern sie diese anzügliche Überweisung nicht auf sein Geschäftskonto ausführen.

Ich ging nicht davon aus, dass Jan sein Sakko von seinem Geschäftskonto aus bezahlt hatte, sofern er als Angestellter überhaupt eins hatte. Folglich wiegte ich mich auf der sicheren Seite.

Drei Tage später erhielt ich eine SMS von einer mir unbekannten Nummer:
Sexuelle Gefälligkeiten? Du musst es echt nötig haben. Lauf Du mir noch mal über den Weg!

Er brauchte keinen Namen drunter zu schreiben, damit ich wusste, dass die Nachricht von Jan kam. Enttäuscht und völlig verwirrt, warum Jan den kleinen Spaß nicht als solchen verstanden hatte, rief ich Miki an, um mich bei ihr auszuheulen.
„Oh Mietze, bitte. Wie konntest Du so was Dummes tun? In welchem Heft steht denn so ein Schwachsinn? Damit angelst Du Dir keinen Typ, damit vertreibst sie eher auf Lebzeiten.“ Ich brach in Tränen aus, noch bevor Miki ihren Satz wirklich beendet hatte. „Aber ich wollte doch nur, dass er erkennt, dass ich eigentlich ganz witzig bin. Und nett. Na ja, jedenfalls nicht so tölpelhaft und ungeschickt, wie letztens im Nightwish.“, erwiderte ich schluchzend.
„Mietze, sei mir nicht böse, aber Du bist ungeschickt. Wie oft fällst Du über Deine eigenen Füße, holst Dir in neuen Strumpfhosen Laufmaschen oder verlierst Deine Schlüssel? Ständig! Wenn jemand irgendwo gut versteckt ein Fettnäpfen aufstellt: Du wirst es in Rekordzeit finden und voll rein latschen!“
„Eh, ich dachte wir sind Freundinnen!“
„Ja, sind wir. Genau deshalb sage ich Dir das so gerade heraus!“ Das stimmte mich nicht wirklich versöhnlich und knapp verabschiedete ich mich von Miki, um mich in Selbstmitleid suhlend vor den Fernseher zu werfen. Dort grübelte ich dann stundenlang darüber nach, ob ich auf Jans SMS antworten sollte. Vielleicht eine Entschuldigung, dass der Witz wohl doch nicht so gelungen sei. Oder vielleicht eine Nachricht, dass ich aus Versehen den falschen Verwendungszweck angegeben hätte, weil ich parallel noch drei andere … aber dann würde er denken, dass ich für Sex bezahlen musste, was wiederum nicht unbedingt für mich sprach. Andererseits: mit meinen achtundzwanzig Jahren, einer 38er Konfektionsgröße und den langen blonden Haaren fiel es mir nicht wirklich schwer, sexuelle Abenteuer zu finden, für die ich nicht bezahlen musste. Und – soviel Selbstbewusstsein habe ich dann doch – das musste sogar Jan erkennen.
Schließlich richtete ich mich träge auf meinem Sofa auf, griff nach dem Handy vor mir und tippte den von mir als Rettung erkorenen und für lustig befundenen Antwortsatz ein.

Oh, sorry, ging das an Dich? Keine Absicht! War für wen anders bestimmt.

Zufrieden ließ ich mich dann wieder in die Sofakissen sinken und seufzte laut. Da hatte ich mich gerade noch mal aus einer peinlichen Situation gerettet. Jetzt konnte meinem nächsten „zufälligen“ Aufeinandertreffen mit Jan, welches ich für kommenden Samstag im Nightwish plante, nichts mehr im Wege stehen.

Voller Vorfreude goss ich den letzten tropfen Prosecco in mein Glas und schlüpfte dann in meine knallroten Pumps. Ani betrachtete mich skeptisch von der Seite. „Sag mal, Mietze, was hast Du heute vor? So aufgedonnert hab ich Dich schon ewig nicht mehr gesehen?“ Ich lachte ein nichtssagendes Lachen und angelte nach meiner schwarzen Strickjacke, um an diesem kalten Dezemberabend auf dem Weg ins Nightwish in meinen knapp bemessenen Top nicht zu erfrieren. Dafür übernahm Miki eine Erklärung: „Mietze ist auf diesen Musikfutzi Jan scharf und glaubt, dass sie ihn in dem Fummel betören kann.“
„Jan? Jan Wegner?“, rief Ani aufgebracht und starrte mich verdattert an. Ich nickte zögerlich, weil ich mir ihre heftige Reaktion nicht erklären konnte.
„Mietze, sei mir nicht böse. Wir sind Freundinnen und so … aber bei dem hast Du keine Schnitte!“
„Woher willst Du das wissen?“, keifte ich unfreundlich zurück und stemmte die Hände in die Taille.
„Jan ist berühmt für seinen Frauenverschleiß. Einmal durchs Bett und das war´s. Keine Frau hat den länger als einen Tag an sich binden können!“
„Wer sagt, dass ich mehr will?“ Nun zog Ani eine Augenbraue hoch und ihr Blick verriet mir, dass sie mir nicht mal ansatzweise glaubte, dass ich nur das Eine wollte.
„Ach bitte, wie lange kennen wir uns? Fünfzehn Jahre? Du bist und warst immer eine hoffnungslose Romantikerin und ich denke kaum, dass sich das von heute auf morgen geändert hat.“ Ich antwortete ihr nicht, griff stattdessen nach meiner Handtasche, rauschte aus der Wohnung und wartete geschlagene zehn Minuten in eisiger Kälte auf meine Freundinnen. Oder zumindest auf die, die ich mal dafür gehalten hatte. Alleine wollte ich jedenfalls nicht im Nightwish aufkreuzen und so noch den Endruck vermitteln, ich wäre einsam.
Die Fahrt zur Disko verlief schweigend, nicht aber ohne bedeutungsschwere Blicke, die Ani und Miki sich zuwarfen. Ich saß auf der Rückbank, tat so, als würde ich nichts davon merken und fasste den Entschluss, meinen angeblichen Freundinnen zu beweisen, dass ich Jan haben konnte. So richtig haben konnte.

Doch Jan tauchte an diesem Abend nicht im Nightwish auf. Wie auch die folgenden Wochenende nicht und so vergingen gute acht Monate, ohne dass ich etwas von ihm sah oder hörte. An meinem Plan, Jan zu meinem Freund zu machen, änderte das aber nichts. Eher verstärkte es mein Vorhaben in einer, sagen wir mal, überdimensionierten Art und Weise. Ich begann nach ihm zu googeln, fand seine Adresse, seine Hobbies und sogar ein paar seiner Freunde heraus. Leider brauchte uns keins dieser unzähligen Onlineportale, in denen jeder seinen Bekanntenkreis mit dem tausend Anderer abgleichen konnte, auch nur annähern einander näher. Vielleicht hätte mir zu diesem Zeitpunkt ein Licht aufgehen sollen, dass wir nicht in derselben Liga spielten. Ich irgendwo in der Kreisklasse und Jan in der Bundesliga. Ach, was sage ich, Champions League.
Ich zog mir jedes noch so kleine Foto von ihm aus halbherzig angelegten Benutzerprofilen bei Friend24 und wie diese Seiten alle hießen. Meist überstiegen sie nicht mal die Größe einer Briefmarke, aber sie waren immer noch groß genug, um sich in einem abgedunkelten Raum und bei intensiver Betrachtung dieser Kleinstportraits ausgiebig selber zu befriedigen. Es gab Tage, da tat ich beinahe nichts anderes. Ich war ihm so sehr verfallen, obwohl wir uns bisher nur ein einziges Mal begegnet waren und jeweils genau eine SMS geschrieben hatten, dass ich keine anderen Männer mehr wahr nahm. Jedenfalls nicht in erotisch, sexueller Hinsicht.

Und dann war da dieser unsagbar heiße Augusttag, welchen ich am See verbrachte, während ich meinen Chef mit einem gelben Schein auf ein baldiges Wiedersehen vertröstet hatte. Ich lag mit einem knappen Bikini bekleidet auf meinem Badetuch und las einen furchtbar schnulzigen Roman über Mr. Und Mrs. Right. Da es noch früh am Tag war, war es um mich herum herrlich still und ich konnte auf eine, von Kinderlärm ablenkende Beschallung durch meinen iPod verzichten.
„He, ist hier noch frei?“ Überrascht sah ich auf und erkannte am oberen Ende von zwei sehr muskulösen Beinen und einer noch muskolöseren Brust einen blondgelockten Kopf, aus dem mich ein breites Grinsen traf. Irritiert sah ich mich um.
„Nee, ich brauch den Hektar Rasen für mich alleine“, gab ich schnippisch zurück und schüttelte abfällig den Kopf, während ich den Blick wieder auf mein Buch richtete. Eine Weile blieb es still, dann raschelt es neben mir und ohne aufzusehen wusste ich, dass dieser Kerl die Frechheit besessen hatte, sich neben mich zu setzen. Erbost drehte ich mich zur Seite, riss mir die Sonnenbrille von der Nase und blitze ihn böse an: „Hallo? Musst Du Dich hier ausbreiten? Die Wiese ist groß genug.“
„Ja, schon richtig, aber ich wollte gern ein wenig in Gesellschaft sein. Und als ich dich hier liegen sah …“ Völlig perplex starrte ich den blonden Wuschelkopf an. „Bitte was?“
„Na, Du bist doch Mietze, oder?“ Nun bekam ich den Mund gar nicht mehr zu.
„Ich deute das mal als ein Ja. Hab ich dich doch wieder erkannt. Weißt Du, ich hab Dich letzte Woche im Nightwish gesehen, als Du mit Deinen Freundinnen da warst. Und da hab ich einen Kumpel gefragt, ob er Dich kennt. Na ja, jedenfalls kenne ich daher Deinen Namen und als ich Dich hier eben liegen sah …“ Erst jetzt bemerkte ich, dass er Jogginghosen und ein T-Shir trug, sich also ganz sicher nicht zum Sonnen hier her verirrt hatte. Dennoch konnte ich mit seinem Gesicht gar nichts anfangen.
„Äh, aha. Und was soll das für ein Freund gewesen sein, der mich kennt?“ Das interessierte mich dann jetzt doch.
„Jan. Jan Wegner.“
Ich fuhr hoch, als hätte mich eine Tarantel gestochen, starrte diesen Typen an, den ich noch nicht mal nach seinem Namen gefragt hatte und wurde von einem Moment auf den anderen zuckersüß. Wenn er ein Freund von Jan war, war er wohlmöglich mein Schlüssel zum Erfolg.
„Ach, das ist ja nett. Wie geht´s ihm so? Hab ihn lange nicht mehr gesehen.“ Mein unbekannter neuer Freund zuckte mit den Schultern. „Gut. Er ist immer ziemlich busy.“
„Und Du sagst, er war letzte Woche im Nightwish? Hab ihn gar nicht gesehen.“
„Ja, wir hocken immer oben im VIP-Bereich. Da kann man zwar die ganze Tanzfläche sehen, aber wegen der verspiegelten Fenster kann man von unten nicht sehen, wer oben sitzt.“ Das erklärte einiges und ich wurde ganz unruhig bei dem Gedanken, dass ich wahrscheinlich die letzten acht Monate jedes Wochenende mit Jan in einem Saal gewesen war, davon aber nichts bemerkt hatte. Wie sollte ich Normalbürger auch in diesen VIP-Bereich gelangen? Die Antwort saß vor mir.
„Wie heißt Du eigentlich? Ich meine, meinen Namen kennst Du ja schon.“
„Matthias, ich heiße Matthias“, erklärte er ein wenig peinlich berührt, dass er die Vorstellung bis jetzt vergessen hatte und reichte mir eine Hand, die ich kräftig schüttelte.
„Nett Dich kennen zu lernen, Matthias.“ Ich schenke ihm mein wärmstes Lächeln. Neugierig fragte ich ihn ein wenig über ihn aus. Wo er her kam, was er beruflich machte und woher er Jan kannte. Bereitwillig gab er Auskunft.
„Jan und ich sind früher zusammen zur Schule gegangen“, kam er nach ellenlangen Ausführungen zu seiner eigenen Person endlich bei den interessanten Sachen an. Dass er Architekt war und ursprünglich aus Berlin kam, nahm ich nur am Rand wahr.
„Und bist Du jetzt bei ihm zu Besuch?“
„Ja, ich wohne für zwei Woche bei ihm. Dann fahre ich wieder nach Hause.“ Diese Nachricht ließ mich still frohlocken und ich rutschte ein paar Zentimeter näher zu Matthias.
„Was machst Du denn heute Abend? Soll ich Dir Berlin zeigen? Ich könnte Dich bei Jan abholen?“ Gut, vielleicht war dieser Vorstoß ein wenig aufdringlich und auch gewagt, aber nach acht erfolglosen Monaten konnte man schon mal in die Vollen gehen. Doch Matthias hatte andere Pläne.
„Eigentlich sind wir heute Abend wieder im Nightwish. After Work Party.“ Ich konnte meine Enttäuschung über die Abfuhr wohl nicht verbergen, denn Matthias legte schnell ein „Du kannst ja mitkommen“ nach.

Punkt einundzwanzig Uhr betrat ich das Nightwish durch den Seiteneingang, der sonst VIPs vorbehalten war und den ich heute nutzen konnte, weil Matthias dafür gesorgt hatte, dass mein Name auf der Gästeliste stand. Jawohl, mein Name auf der VIP-Liste! Ich sah mich ein wenig unsicher um, da ich nicht wirklich wusste, wo denn nun dieser ominöse VIP-Bereich war, von dem Matthias gesprochen hatte, als ich meinen Namen hörte. Erschrocken drehte ich mich zweimal um die eigene Achse, um zu erkennen, woher der Ruf gekommen war.
„Mietze, hier oben!“ Ich sah nach oben und erkannte die blonden Locken, die mich am Vormittag überfallen hatten. Ich winkte überschwänglich zurück und steuerte schnellen Schrittes auf die Treppe zu meiner Linken zu, nur um im nächsten Moment die erste Stufe zu verfehlen und mich in allerletzter Sekunde noch mit einem Griff zum Geländer zu retten. Von oben drang Gelächter zu mir herab. So würdevoll, wie es einer beinahe Gefallenen möglich war, stieg ich dann die Stufen hinauf und lächelte Matthias verlegen an, als ich oben angelangte. „Na, das sah ja sportlich aus“, lachte er und zog mich dann an der Hand hinter sich her. Von hier oben hatte man wirklich einen perfekten Blick über die gesamte Tanzfläche. Erstaunlich, dass mir die verspiegelten Scheiben nie früher als eben solche aufgefallen waren. Ich hatte immer gedacht, dass seien Spiegel, um den Raum größer wirken zu lassen.
„Was willst Du trinken?“, riss Matthias mich aus meinen Studien über Fensterscheiben und Spiegelgläser, doch bevor ich ihm antworten konnte, vernahm ich eine vertraute Stimme. „Ach, sieh an. Wen haben wir denn da? Egal was sie will, gibt ihr was, was keine Flecken hinterlässt!“ Da war sie wieder, die Gesichtfärbung die einem Pavianarsch glich und die offensichtlich nur Jan bei mir hervorrufen konnte. „Hi“, brachte ich dünnstimmig hervor und sah auf meine Schuhspitzen. Jan lachte. „Oder Du gibst ihr irgendwas mit vielen Umdrehungen, damit die mal locker wird.“ Dann rauschte er ab und ließ mich wie en kleines Mädchen, das in aller Öffentlichkeit unter sich gemacht hatte, zurück. Matthias schien diese Anspielungen jedoch nicht verstanden zu haben, sah mich auffordernd an und fragte: „Was ist nun? Bier? Sekt? Wodka mit irgendwas?“
„Prosecco“, gab ich leise zurück und versuchte mich an einem selbstbewussten Lächeln, an dem ich kläglich scheiterte.

Als wir zehn Minuten später mit unseren Getränken auf den Rest der kleinen VIP-Gruppe stießen, lümmelte Jan sich auf einem großen roten Ledersofa. In der Hand einen Wodka-O. Matthias drückte mich zwischen Jan und sich selber auf das Sofa und begann über meinen Kopf hinweg eine Unterhaltung mit dem Mann meiner Träume. Ich weiß nicht wirklich, worum es bei diesem Gespräch ging, viel zu sehr war ich damit beschäftigt nicht zu Hyperventilieren, da mir Jans betörender Duft in die Nase stieg und mir bewusst wurde, dass uns nicht mal fünf Zentimeter von einander trennten. Vorsichtig hob ich den Kopf und riskierte einen kurzen Blick auf das Objekt meiner Begierde. Überrascht stellte ich fest, dass direkt neben ihm, über der Armlehne des Sofas, dasselbe hellgraue Sakko lag, welches ich ihm angeblich vor acht Monaten ruiniert hatte. Und das mich 200 Euro gekostet hat! Dass es definitiv dasselbe Sakko war, erkannte ich an dem kleinen blauen Punkt unterhalb der Brusttasche, der auch schon bei unserem ersten und letzten Treffen an eben dieser Stelle gesessen hatte. Fieberhaft überlegte ich nach einem möglichst coolen Spruch, um Jan die soeben gewonnene Erkenntnis aufs Brot zu schmieren. Ich wollte nicht, dass er mich für bettelarm oder geizig hielt, aber die 200 Euro haben mir schon weh getan. Ganz davon abgesehen, dass er die Kohle wohl eher zum Feiern, statt zur Anschaffung eines neuen Sakkos verwendet hatte.
Doch immer wenn mir ein einigermaßen passabler Spruch einfiel, verließ mich der Mut. Oder umgekehrt. Urplötzlich hatte ich genug Mut ihm irgendwas an den Kopf zu werfen, doch dann fiel mir kein passender Spruch ein. Zwischen dem Umschwung von einer Phase in die andere setzte ich mich plötzlich ruckartig auf und blaffte Jan an: „Du schuldest mir noch 200 Euro!“
Überrascht über meinen unerwarteten Ausbruch starrte mich nun nicht nur Jan, sondern auch Matthias an. „Wie bitte?“ Seine Stimme klang gereizt und ich musste meinen ganzen Mut zusammen nehmen, um meinen Arm zu heben und mit zitterndem Finger auf sein Sakko zu deuten.
„Das … das ist nicht neu. Das ist dasselbe …“, stotterte ich drauf los und wurde im nächsten Moment auch schon von einem lauten Lachen unterbrochen. „Mädchen, komm mal runter. Du hast das Sakko versaut und hast es entsprechend bezahlen müssen. Dass meine Mutter es doch noch retten konnte ist reiner Zufall. Glaubst Du ehrlich, dass ich Dir darum Deine Kohle wiedergebe? Oder nagst Du am Hungertuch? Dann ist das natürlich was anderes. Ich hab ja ein wohltätiges Herz.“ Er griff nach seinem Sakko, zog eine Brieftasche hervor und begann zwanzig Euroscheine abzuzählen. Erwähnte ich schon den Pavianarsch?
„Ich, nein, ich … ich brauch das Geld nicht. Aber ich finde es unfair, dass …“
„Was geht hier eigentlich vor?“, mischte sich nun Matthias ein und ich war ihm dafür sogar von Herzen dankbar. Doch bevor ich auch nur Luft holen konnte, um zu einer Erklärung anzusetzen, klärte Jan ihn auch schon auf:
„Die Gute hat mir ne ganze Ladung Wodka-Redbull übers neue Boss-Sakko geschüttet und wollte den Schaden dann nicht zahlen! Ich musste erst mit meinem Anwalt drohen.“ Das wäre die richtige Stelle gewesen, um Einspruch zu erheben, doch ich bekam den Mund nicht auf. „Dann hat sie die Kohle endlich abgedrückt und dabei schön als Verwendungszweck ‚für sexuelle Gefälligkeiten´ geschrieben. Auf mein Konto bei unserer Hausbank, wo meine Eltern seit Jahrzehnten all ihre Firmenkonten haben! Und zu guter Letzt kam nur ne Entschuldigung per SMS, dass der Verwendungszweck eigentlich für ne andere Überweisung gedacht war und sie da wohl was verwechselt hat.“ Jan schrie so laut, dass alle Leute um uns herum zu uns sahen und mich angafften. Sogar der Türsteher des VIP-Bereichs starrte zu uns herüber.
„Sexuelle Gefälligkeiten?“, wiederholte Matthias leise und sah mich schockiert an.
Ich starrte erst Matthias, dann Jan an. Schließlich sprang ich ohne eine Antwort oder den Versuch einer Erklärung vom Sofa auf und stürzte Hals über Kopf aus dem VIP-Bereich.

Die Nachricht, dass ich Geld dafür zahle, dass Männer mit mir ins Bett gehen, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Ich traue mich kaum noch aus dem Haus und schon gar nicht mehr ins Nightwish. Ab und an erhalte ich anonyme SMS´ oder auch E-Mails, in denen ich Angebote von sogenannten Callboys unterbreitet bekomme. Eine ganze Nacht mit oral, vaginal und Kuschel für 150 Euro. Das war bisher so ziemlich das beste Preis- Leistungsverhältnis.

Und das alles nur, weil ich einmal Coldplay-Sänger Chris Martin die Hand schütteln wollte.

[fiktiv!Muss man ja leider immer dazu schreiben.]

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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13 Gedanken zu „Für sexuelle Gefälligkeiten

  1. Gehe ich richtig in der Annahme, dass der „Verwendungszwecktipp“ wirklich mal in einer dieser bescheuerten Frauenzeitschriften stand?

  2. *lol* hui.. Pia, das ist so toll endlich mal wieder was von dir zu lesen. Ehrlich, dass hat mir richtig gefehlt.
    Und du kannst es immernoch genauso hervorragend, wie das letzte Mal. Schön erfrischend und spritzig, ordentlich zum lachen und nicht zu vergessen auch zum mitfühlen.. arme mietze :)

  3. Hupps, da bin ich echt dran kleben geblieben. Danke für diese unterhaltsame „Fingerübung“.

    Ich sollte mich langsam mal um Ihr Buch bemühen, nun da der andere reichlich vorhandene Lesestoff zur Neige geht.

    :-)

  4. Ist die Geschichte schon älter?
    „Erfolgreich“ + „Product Manager im Musikgeschäft“ ist dieser Tage doch ein Oxymoron im klassischen Sinne? Naja, vielleicht ticken in der Reichshauptstadt die Uhren auch noch anders.

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