Manchmal überwältigt mich die Vorstellung, dass jeder Mensch, dem man auf der Straße begegnet, eine eigene Geschichte zu erzählen hat. Eigene Erlebnisse, eigene Erinnerungen, eigene Familie.
Zum Beispiel die muffige Kassiererin an der Kasse beim Plus, wo ich morgens, auf dem Weg zur Arbeit, öfters mal eine Pampelmuse kaufe.
Oder der alleinstehende Herr Mitte 40 von schräg gegenüber, der an sonnigen Tagen auf seinem Balkon zur Straße raus sitzt und liest. Am Samstag fand ich heraus, dass er beim örtlichen Knauber arbeitet.
Oder die Brötchenfrau, die Ihren Sohn allen Ernstes German nennt und lachend erzählt, dass sie immer „Wie Germany, nur ohne Y“, sagt, obwohl ich ja finde, dass „Wie Germane, nur ohne e“ doch irgendwie viel näher läge.
Oder das brünette Mädchen in der Bäckerei, von der ich jüngst erführ, dass sie erst 19 Jahre alt ist, als ich auf das Bedientwerden warten musste, weil ein paar 18jährige damit beschäftigt waren, sie wild anzuflirten. Sie geht aufs Gymnasium. Macht bald Abi und so.
Und wenn ich dann manchmal in einer vollen Konzerthalle stehe, zum Beispiel, dann packt mich die Vorstellung wie viele Geschichten und Erlebnisse um mich herum sind, ich beginne zu zittern und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Allein die Vorstellung überwältigt mich. Und ich kann nicht aufhören mir vorzustellen, wie viele bunte, graue und schwarze Geschichten um mich herum stehen.
Wie wenig man doch sieht. Wie viel da aber doch ist. A- und B-Seite, wenn Sie verstehen …
erinnert durch: jawl:Everybody´s got a story
Um so erschreckender dann immer die Meldungen über Terroranschläge, Unfälle, Morde, etc… Alles Lebensgeschichten, die nicht mehr weiter gehen, aber dann doch wieder Teil anderer Lebensgeschichten sind, die sich dadurch drastisch verändern werden.
Jeder einzelne von denen könnte ein eigenes Weblog führen und seine Geschichten erzählen. Und wir kämen zu nichts anderem mehr, als nur noch zu lesen.
Ja, das stimmt Pia, den Gedanken hatte ich auch schon mehrfach. Ich hatte beruflich öfter mal in einem Pflegeheim zu tun. Wieviel Jahre an Erlebnisse und Erinerungen in diesen Wänden waren, lässt sich kaum in Worte fassen.
Ich dachte ja auch einmal, dass so mancher Lehrer den man nicht leiden konnte oder Kollegen, die man für A… hielt, Eltern oder zuhause Kinder haben, die ihn lieben. Und ob über die dann so urteilen dürfte.
Aber eine Frage habe ich noch:
„als ich auf das Bedientwerden warten musste, weil ein paar 18jährige damit beschäftigt waren, sie wild anzuflirten.“
Hätten Sie Dich anflirten sollen? ;-D
irgendwie wirkt der eintrag traurig. Ich finde das sehr cool und spannend! Jeder da draussen hat sein eigenes leben und ein tolles (jeder wie er es mag halt) :-)
Mich hat der Eintrags spontan an eine Szene aus Amélie erinnert. :)
traurig.
darüber denke ich jeden tag nach. und ich wüsste so gerne mehr über die menschen. deswegen sauge ich alle gespräche von den (fremden) leuten rund um mich auf. weil ich das gefühl habe, so ein bisschen was von jedem individuum zu erfahren
Traurig? Nein, für mich nicht. Sondern wunderschön – so viele Geschichten, so viel Leben.
Wir neigen doch dazu, immer nur die Ausschnitte zu sehen, die uns begegenen. Die Brötchenfrau eben nur als Brötchenfrau, aber vielleicht macht die gerade ein Abendstudium oder tanzt Donnerstags Tango :)
Ich liebe das…
Mir geht das bei alten/älteren Menschen oft so, dass ich mir vorstelle, wie sie als junge Menschen waren.
Ob sie da auch miesepetrig waren, oder ganz zufrieden und glücklich/lustig … das sie auch mal verliebt waren, eigene Kinder, Krankheit, Sorgen, Kummer, Gram etc. pp. … Geschichten, die das Leben schreibt eben.
Meine kluge Fr. Mama sagt immer, über Häuschen ein Kreuzchen. Und es stimmt :-) !
Den Gedankengang geh ich oft in der U-Bahn oder im Bus, wenn ich mir denke, das jeder darin irgendein Ziel hat. Ich würde dann am liebsten immer fragen:“Und? Wo fahren Sie so hin?“
Unter den vielen Menschen denen ich täglich in der Bahn begegne, sind einige mit denen ich schon seit Jahren von oder zur Arbeit fahre, doch mit keinem habe ich jemals ein Wort gewechselt. Man erkennt die Leute wieder und sie erkennen mich. Vom Sehen her sind wir Bekannte, doch wir reden nicht miteinander. Die Großstadt ist zu unpersönlich und wir Menschen sind teils zu feige, die Mauern zu durchbrechen und einfach mal ein freundliches „Hallo“ an all die bekannten Gesichter um uns herum zu richten. Letztendlich denken wir wahrscheinlich alle ähnlich, doch wir hüllen uns in unpersönliches Schweigen und erfahren nichts voneinander.