Geständnisse #22

Obwohl ich mich bei dem herrlichen Wetter gerne draußen aufhalten würde, tue ich es nicht.

Ich hatte mir fest vorgenommen, dass wenn das Baby auf der Welt ist, ich all meinen Mut aufbringen würde, um gegen diese unsägliche Spheksophobie zu kämpfen. Insbesondere, damit es später nicht ebenfalls daran leidet. Kinder schauen sich Ängste ja gerne bei den Eltern ab.
Doch tatsächlich ist es so, dass allein der Gedanke mich meiner Angst stellen zu müssen so sehr lähmt, dass ich es vermeide mich längere Zeit im Freien aufzuhalten. Spaziergänge fallen nur noch sehr kurz aus oder finden gar nicht erst statt. Mit den lieben Nachbarinnen im Garten sitzen geht genau so lange gut, bis ich die erste Wespe gesehen habe. Bei den Temperaturen dauert das meist nicht lange. Ich hasse den August, denn da ist es immer am Schlimmsten.
Ich weiß, dass ich Freunde, Bekannte und Verwandte haben, die diese Angst nicht so richtig ernst nehmen. Da werde ich aufgezogen, ausgelacht, belehrt … ich weiß, dass man „ganz ruhig bleiben“ soll. Ich dramatisiere meine Angst auch nicht um Aufmerksamkeit zu erlangen. Am liebsten würde ich mich beim puren Anblick einer Wespe in Luft auflösen und von gar niemandem wahrgenommen werden. Weil es mir natürlich peinlich ist. Weil ich natürlich weiß, dass meine Angst unbegründet ist.
Dennoch ist sie da. Unbändige Panik, Schweißausbrücke … man kann das Gefühl nicht beschreiben und man wird in der Wespenzeit auch arg „sozialunverträglich“. Man erschrickt vor jedem Getier, das ein Summgeräusch von sich gibt oder auch nur fliegen kann. Nicht nur für den Bruchteil einer Sekunde, bis das Getier als Fliege o.ä. erkannt wurde, sondern für eine viertel Stunde, in der das Adrenalin durch Deinen Körper schießt, Du keinen klaren Gedanken fassen kannst und Dich nicht konzentrieren kannst. Es gab Situationen in denen sprachen Menschen mit mir und ich habe nicht ein Wort verstanden, weil mein Kopf damit beschäftigt war, mögliche Wespenangriffe abzuwehren.
Ich liebe es zu Grillen, aber der Fleischgeruch lockt Wespen kann. So riss ich bei einem Familiengrillen einmal beinahe den gesamten Tisch um, warf meinen Eisbecher vor Angst von mir und rannte davon. Dass das gesamte Eis auf meinem Mann landete erfuhr ich erst ein paar Minuten später, als er mir sehr wütend ins Haus folgte. Das ist nun schon einige Jahre her. Inzwischen versteht er aber meine Angst und verschlimmert sie nicht, in dem er mir so reizende Sätze wie „Nicht bewegen“ mitgibt, wenn mich eine Wespe von mir unbemerkt umkreist.
Zu meiner Angst kommt echte Aggression, wenn mich jemand mit Sätzen wie „nicht bewegen“ oder einem leisen „jetzt nicht aufregen“ beruhigen will, noch bevor ich die Wespe gesehen habe.

Diesen Sommer hat mich eine Nachbarin ganz besonders beeindruckt. Sie fütterte ihr Krabbelkind im Garten mit Apfelkompott. Es dauerte nicht lange und eine Wespe stürzte sich gierigst auf den Becher Kompott. Während ich die Luft anhielt, Schweißausbrüche bekam und mich in Zeitlupe distanzierte (das war möglich, weil die Wespe kein Interesse an mir zeigte, nur am Kompott), löffelte sie selenruhig weiter den Kompott an der Wespe vorbei aus dem Becher. Ich glaube nicht, dass ich jemals so ruhig und kontrolliert sein könnte, aber dennoch weiß ich, dass ich diese Panik irgendwie in den Griff kriegen muss, bevor unser Baby ein Bewusstsein für Angstreaktionen entwickeln kann.

Mein Geständnis heute: ich leide an einer Angststörung. Ich habe phobische Angst vor Wespen.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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