Von emotionalen Umbrüchen.

Ich weiß nicht, ob ich schon mal hier darüber geschrieben habe, aber aus aktuellem Anlass musste ich die Tage wieder an diese allerersten Tage nach der Löwenmäulch-Geburt denken.

Der Quietschbeu war bereits ein paar Tage bei seiner geliebten Tantenfamilie. Als ich den kleinen Jungen das letzte Mal vor der Geburt seines Bruders sah, ihn feste an mich drücke und er das allererste mal begann zu weinen, als wir gingen, da habe ich nicht gewusst – ja, nicht einmal erahnt – was da Gefühltechnisch noch auf mich zukommen würde.

Man kann sich dieses Gefühlswirrwarr, das man nach der Geburt des Geschwisterkindes empfindet, als Einkindmutter gar nicht vorstellen. Der Quietschbeu war bis zu diesem Zeitpunkt mein Ein und Alles. Niemandem auf diesem Planeten habe ich mehr geliebt und ich würde ohne mit der Wimper zu Zucken mein Leben für ihn geben.

Dann besuchte er uns das allererste Mal im Krankenhaus, wenige Stunden nach der Geburt des kleinen Bruders. Er war auf dem Weg im Buggy eingeschlafen und alles was ich zunächst sah waren zwei riesige Füße, die unter einer Stoffwindel – als Sonnensegel vor den Buggy gespannt – hervor lugten. Nach einer Weile wackelte der Wagen, dann tauchte eine sichtlich verschlafenes Quietschbeugesicht hinter der Stoffwindel auf und sah sich irritiert um.

Und das war der Moment, in dem irgendwie alles anders war. Das kleine Löwenmäulchen lag vor mir auf der Bettdecke, so mini-winzig-klein und der Quietschbeu saß einen Meter von mir entfernt, so unglaublich-riesig-groß.

Er war mir fremd, der Quietschbeu. Nicht gänzlich, so wie jemand, den man noch nie gesehen hat, sondern wie jemanden, den man ganz lange nicht gesehen hat und bei dem man nicht so recht weiß, wie man auf ihn zugehen soll. So, als träfe man jemand wieder, dem man mal sehr nah gestanden hat und man im Voraus grübelt, ob man ihn zur Begrüßung umarmt oder nur die Hand reicht.

Natürlich reicht man seinem eigenen Kind nicht nur die Hand! Natürlich nahm ich ihn in den Arm und küsste ihn. Aber das Gefühl – diese unumstößliche Einheit des Zusammengehörens – das war anders.

Alle Versuche das irgendwie verständlich zu erklären sind holprig und ungelenk, aber ich versuche es dennoch.

14 Monate lang war ich zur Mutter gewachsen. 14 Monate lang hatte sich der Quietschbeu jeden Tag mehr Platz und Raum in meinem Herzen erschlichen und musste es mit niemandem auf diese spezielle Art und Weise, wie Mütter eben ihre Kinder lieben, teilen. Und dann war da von heute auf morgen ein weiterer kleiner Mensch, der einfach mit einem lauten Knall ebenfalls in mein Herz plumpste, aber noch recht klein in einer Ecke kauerte. Dennoch war das Gleichgewicht aus der Waage und ich taumelte, von dieser neuen Situation überrumpelt, ein wenig orientierungslos umher.

Der Quietschbeu war binnen Sekunden einen ganzen Meter gewachsen, stand aufrecht, sprach allererste Worte und kommunizierte Bedürfnisse verständlich. Das Löwenmäulchen war ein hilfloses kleines Würmchen, das 100%ig auf mich angewiesen war. Da war nicht ein Funken von Selbstständigkeit und im direkten Vergleich wirkte der Quietschbeu quasi erwachsen.

Da waren Hormone, Schuldgefühle, Ängste. All das stand zwischen dem 14monate alten Quietschbeu, dem frischgeborenen Löwenmäulchen und mir. Und es war an mir, das Gleichgewicht irgendwie wieder herzustellen.

Tatsächlich kam das nur wenige Tage nach meiner Heimkehr mit dem Löwenmäulchen und dem sich wieder neu einspielenden Alltag von ganz alleine. Dennoch waren besonders der erste Momente und die zwei Tage danach, die ich alleine mit dem Löwenmäulchen im Krankenhaus war, sehr verwirrend und zumindest für mich auch emotional schmerzhaft. Der Miezmann formulierte im Umkehrschluss ganz treffend, dass es ein seltsames Gefühl sei, das Löwenmäulchen nun als Teil der Familie zu wissen. Immerhin habe man den Quietschbeu ja nun seit 14 Monaten wachsen und sich entwickeln gesehen. Das Löwenmäulchen hingegen war uns – und natürlich besonders ihm, der es nicht 41. Wochen lang in sich hatte wachsen gespürt – fremd.

Und heute? Ein Leben ohne den Quietschbeu oder ohne das Löwenmäulchen ist für uns gar nicht denkbar. Sie gehören zu uns Eltern, wie sie auch zu einander gehören. Eltern und Geschwister kann man sich eben nicht aussuchen, die werden einem vom Leben einfach so mitgegebene. Und ich bin froh und glücklich, dass wir uns haben.

Natürlich bin ich neugierig und aufgeregt, wie das wohl nun beim dritten Kind sein wird. Ob da wieder dieser emotionale Umbruch stattfinden wird und die Miezbeus mir erst mal fremd sein werden, bevor wir eine neue, fünfköpfige Familie werden. Es hilft mir jedenfalls heute schon sehr zu wissen, dass diese Situation eintreten könnte.

Aber bis dahin ist ja noch etwas Zeit.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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11 Gedanken zu „Von emotionalen Umbrüchen.

  1. Oh ja, dieses Gefühl kenne ich auch sehr gut! Es stellt sich bei mir übrigens auch dann immer mal wieder ein, wenn z.B mein Großer eine Woche mit seinem Pa unterwegs war. Dann ist er mir plötzlich ein Stückchen ferner als vorher und es dauert eine Weile, bis wir unsere gewohnte Nähe wiedergefunden haben.
    Ich kann mich erinnern, dass es mir beim dritten Kind nicht so stark so erging wie beim zweiten. Irgendwie ist eine auf zwei Kinder verteilte Liebe leichter weiterzuteilen, als eine, die sich bis dato auf ein einziges Wesen konzentriert hat… das kann natürlich auch alles subjektiv sein. Vielleicht ist es bei dir ganz anders. Aber wie es auch sein mag, sicher ist es nicht so überraschend wie beim ersten Mal. Und das hilft schon ungemein viel!
    Schön, wie du darüber geschrieben hast und wie gut du es beschreiben konntest! Danke!

  2. Oh ich kann dich gut verstehen, bei mir liegen 15 Jahre zwischen dem großen blonden Mädchen und dem milchmädchen… Ich habe das große blonde Mädchen auch plötzlich nicht mehr als mein Kind gesehen und nun nach 6 Woche liebe ich sie beide heiß und innig, besonders, wenn das große blonde Mädchen das milchmädchen kuschelt <3

  3. Du hast sehr schön in Worte gefasst, was ich empfunden habe, als meine Große nach der Geburt des Babys in mein Zimmer im Krankenhaus trat. Dieses große Kind soll MEINES sein??? Mit einem Schlag war aus meiner kleinen, zarten Maus ein großes, selbständiges Kindergartenkind geworden … Ich hab bis heute das Gefühl, dass mir mein „erstes Baby“ ein bisschen fehlt, ich hätte es mehr genießen müssen …

    Vielleicht kannst du, da du das ja nun schon einmal erlebt hast, ganz anders reagieren, wenn die Jungs dich und das Maimiez dann das erste Mal besuchen. Du bist ja nun innerlich gewappnet auf die Empfindungen.

    Ich bin gespannt, wie es laufen wird!

    Alles Liebe
    Luci

  4. Mein „Großer“ war bei der Geburt des „Kleinen“ 16 Monate alt und wurde binnen weniger Stunden, quasi über Nacht, vom Baby zum „Schulkind“. Er kam wir wirklich so groß vor, als ich ihn am nächsten Tag im Krankenhaus das erste Mal nach der Geburt von Nr. 2 sah.
    Seine Beine hingen schon vom Wickeltisch runter… das ist mir vorher nie aufgefallen.
    Heute habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, dass er mit nur 1 Jahr in die Rolle des Großen, Vernünftigen, Verständigen und Vorbildhaften gedrängt wurde. Ihm ging sicherlich eine Menge Unbeschwertheit dadurch verloren. Mit ihm war und bin ich viel kritischer, strenger und besorgter als mit dem Kleinen. Das merkt man seinem Verhalten auch an. Das muss nichts Negatives sein. Aber mir als Einzelkind war früher nie so bewusst, wie stark die Position innerhalb einer Geschwisterfolge sich auf Verhalten und Empfinden auswirkt.
    Für viele Außenstehende sind meine Jungs quasi wie Zwillinge, 5 und 6 Jahre alt eben. Für mich sind und bleiben sie immer der Große und der Kleine, vermutlich auch, wenn sie 60 und 61 sind und ich 96. Und vermutlich werde ich auch dann noch beim Erstgeborenen denken: Der müsste das doch schon gelernt und verstanden haben – und beim Zweitgeborenen: Na ja, das wird schon noch werden, er ist ja noch klein…

    Viele Grüße und eine schöne Restschwangerschaft!

  5. Das ist ganz, ganz interessant, denn bei mir war es genau umgekehrt. Ich konnte erstmal ein paar Tage gar keine Bindung zum neuen Baby aufbauen, war mit meinen Gedanken und Sorgen ganz beim Erstgeborenen (wie verarbeitet er das etc). Er kam mir auch nicht groß vor, obwohl alle mir das vorher prophezeit hatten. Ich fühlte mich wie eine Rabenmutter meinem Baby gegenüber, habe aber inzwischen meinen Frieden mit dieser meiner Reaktion gemacht. Hormongeschüttelt sah das natürlich ganz anders aus….Ich habe mich noch nie „getraut“, darüber zu schreiben, werde das aber bald einmal tun. Danke für den Impuls,
    RALV

  6. Du hast meine Ängste sehr treffend in Worte gefasst und bin sehr, sehr froh, dass es ein Happy End gegeben hat :). Noch fünf Wochen, dann werde ich wohl auch wissen wie es sich anfühlt, seine Liebe plötzlich auf zwei Kinder zu verteilen.

  7. Das wird schon hinhauen: Ich finde Geschwister haben es eigentlich leichter. Sie lernen früher zu teilen. Ich will auch zwei Kinder. Solokinder machen mir immer Angst. Vor allem wenn ich sie später als Erwachsene erlebe.

  8. Zwei Dinge möchte ich noch ergänzen:

    1. Ich hatte ursprünglich auch die Sorge, ob es mir wohl gelingt, meine Liebe gerecht auf die Kinder zu verteilen. Aber es ist ganz anders: So wie ein neues Kind entsteht, entsteht auch einfach noch mehr Liebe. So erkläre ich es auch meinen Kindern.

    2. Und natürlich gibt es Phasen, in denen man mal mehr mit dem einen und mal mehr mit dem anderen Kind „hadert“. Aber das gleicht sich in der Regel aus und „Liebe“ ist ja sowieso etwas anderes als „Nicht-Schimpfen“…

  9. Das ist genau das, was ich vor ziemlich 2 Monaten empfunden habe beim Anblick des Großen. Er war mir plötzlich irgendwie fremd. Das hat sich mit der Zeit gegeben aber es war schon eine merkwürdige Zeit. Nun gehören sie beide untrennbar zu uns – wir 4 als Einheit. Wenn auch nur einer fehlte wäre das nicht auszuhalten.

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