Der Miezmeedchen-Geburtsbericht

Es ist Dienstag, der errechnete Entbindungstermin, und ich fahre auf Claudias Geheißen hin zu einem außerplanmäßigen Check durch meine Frauenärztin. Die immer wiederkehrenden Kopfschmerzen bei jeder Wehe findet Claudia beunruhigend und auch meine Ärztin ist wenig später nicht begeistert von dem, was ich ihr berichte.

„Wenn das ihr erstes Kind wäre und ich nicht wüsste, dass sie ein wirklich gutes Körpergefühl haben, ich würde Sie sofort einleiten lassen.“  Das ist natürlich nicht das, was ich hören wollte, aber ehrlich gesagt bin ich inzwischen selber sehr nervös, weil der Schwindel und die Kopfschmerzen in Kombination mit jeder Wehe ja auch darauf hinweisen können, dass sich irgendein Gefäß zugesetzt hat? Meine Ärztin spricht das auch ganz klar aus: „Es könnte ja auch etwas Ernstes sein. Ein Gefäßverschluss im Kopf, zum Beispiel!“

Mir ist bewusst, dass ich mit quängeligem „Aber ich will nicht eingeleitet werden“ nicht in die richtige Richtung arbeite. Aber auf der anderen Seite bin ich tatsächlich nicht für eine Einleitung bereit. Ich frage nach einer Alternative und wir einigen uns darauf, dass die Geburt in den kommenden Stunden mit natürlichen Hilfsmitteln angeschoben werden soll. Sollte sich die Geburt 3 Tage später immer noch in Gang gesetzt und meine Kopfschmerzen sich nicht verbessert haben, würde ich aber eingewiesen und eingeleitet werden. Das war ein Kompromiss, mit dem ich leben konnte.

Meine Ärztin löste also erneut den Eipol und riet mir, ein bisschen spazieren zu gehen, um die Wehen, die das CTG zuvor aufgezeichnet hatte, anzukurbeln. Alles anderen solle ich mit meiner Hebamme besprechen. Ich telefonierte noch im Auto mit Claudia, die mir auftrug, erneut Cimicifuga zu besorgen und mit der Einnahme von 10 Tropfen je Stunde zu beginnen. Beim Löwenmäulchen hatte das nach einem halben Tag die Geburt eingeläutet, allerdings war der kleine Mann auch bereits 9 Tage überfällig. Dann rief ich den Miezmann an und setzte ihn über den Stand der Dinge in Kenntnis. Auch meine Schwester rief ich an und berichtete, was es zu berichten gab. Wir verabredeten später noch einmal zu telefonieren und dann zu entscheiden, ob sie die Jungs heute noch abholen würde, oder ob wir noch warten konnten.

Zuhause angekommen bekam ich die erste schmerzhafte Wehe, in der ich innehalten, die allerdings noch nicht veratmet werden musste. Ich bestellte in der Apotheke die Tropfen und begann das Bettzeug der Jungs zusammenzusuchen. Irgendwie habe ich gewusst, dass es nun voran gehen würde und ich hatte nach wie vor die Sorge, dass die Anwesenheit der Jungs mich bremsen würde. In den folgenden Stunden zeigte sich allerdings immer deutlicher, dass ich mit den Wehen, die immer heftiger und häufiger kamen, ohnehin nicht mehr in der Lage war, auf die Jungs vernünftig einzugehen. Das Löwenmäulchen warf sich mehrfach in einer Wehe auf meinen Bauch. Man kann sich kaum vorstellen, welche Schmerzen das sind.

Ich nahm die Tropfen, wie mir geheißen und verabschiedete am frühen Abend mit tausend heißen Küssen meine Jungs in ihren Tantenurlaub. Der Quietschbeu schaute ein wenig besorgt, als ich ihn feucht küsste und dabei natürlich glasige Augen bekam. „Alles ist gut mein Schatz. Habt viel Spaß bei der Mimi.“ Auch das Löwenmäulchen küsste feucht, winkte und warf Kusshände, als sie davon fuhren. Alles in allem war dieser Abschied unheimlich emotional. Er läutete eine neue Ära ein. Vermutlich war dies das letzte Mal, dass ich meine Söhne sehen würde, bevor ihre kleine Schwester auf die Welt kommen würde. Mich beschlich Vorfreude, Trauer, Panik. Ein buntes Potpourri an Gefühlen.

Die Wehen kamen in 8-Minuten-Abständen. Ich stöhnte und ächzte. In einem erneutet Telefonat mit Claudia beschlossen wir, dass ich erstmal Baden und dann, wenn möglich, schlafen gehen sollte. Energie tanken für das, was uns erwarten würde.

Tatsächlich waren die Wehen in der Wanne viel erträglicher. Die Abstände wurden länger, aber die Wehen auch intensiver. Ich hätte nicht mit Sicherheit sagen könne, dass sie weniger oder mehr wurden. Nur anders. Also ging ich schlafen.

Am Morgen erwachte ich mit einer enormen Enttäuschung im Bauch. Keine Wehen mehr. Das durfte nicht wahr sein. Da waren einfach keine Wehen mehr! Ich schickte den Mann arbeiten, rief dann erst meine Jungs und anschließend Claudia an. Ich jammerte ein bisschen rum und erhielt den guten Ratschlag die Ruhe zu nutzen, mich auszuruhen und Kraft zu tanken.

Ich putzte daraufhin mieslaunig das Badezimmer. Gründlichst. Inklusive Fugen, Wände und Dichtungsgummis der Dusche. Danach erst das Schlafzimmer der Jungs, dann das Spielzimmer, das ich zuvor aufräumte, entrümpelte und ein bisschen umräumte. Zum Schluss pellte ich noch unser Schlafzimmer aus dem Ei und war schließlich gegen Mittag fix und fertig. Völlig verschwitzt stelle ich mich unter meine nahezu sterile Dusche und duschte erst mal kalt. Im Anschluss lackierte ich mir unter höchster körperlicher Anstrengung die Zehnnägel pink (was später im Kreißsaal noch für Lacher sorgen würde).

Fertig geduscht und angezogen bekam ich die erste sehr fiese Wehe an diesem Tag. Sie überraschte mich dermaßen, dass ich mich am Türrahmen zum Wohnzimmer festhalten musste. Ich überlegte, was ich jetzt noch tun könnten, um möglichst gar keine Langeweile aufkommen zu lassen, denn Langeweile ist in den Tagen nach dem ET Seelengift. Aber ich hatte tatsächlich jede Socke in diesem Haushalt gewaschen, jedes Zimmer aufgeräumt und geputzt und sogar sämtlichen Papierkram erledigt. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten.

Ich vertrieb mir die Zeit mit Lesen von Blogs, Nachrichten und Twitter. Und dem Messen von Wehenabständen. Relativ schnell war ich bei Wehenabständen von 5 bis 8 Minuten. Und relativ schnell wurden die Wehen so schmerzhaft, dass ich zum Veratmen aufstehen und mich mit dem Oberkörper auf dem Esstisch abstützen musste. Das Becken ließ ich langsam hin und her schwingen oder kreisen. Mit geschlossenen Augen stellte ich mir vor, wie mein Baby dabei langsam tiefer rutschen würde. Claudia hatte mir mal gesagt, dass würde vielen Frauen bei der Geburt helfen, die Wehen besser zu ertragen und tatsächlich musste ich ganz oft grinsen oder sogar lachen, wenn mir in einer Wehe bewusst wurde, dass sich da gerade mein Kind auf die Welt wehte. Eine tolle Vorstellung.

Ich telefonierte mit Claudia und wir vereinbarten, dass der Miezmann und ich zu ihr kommen sollten, sobald er von der Arbeit wieder da sein. Claudia wollte noch mal ein CTG schreiben und schauen, wie es dem Baby unter den Wehen ging.

Gegen 16 Uhr schrieb ich dem Mann eine Nachricht. Er dürfe dann jetzt langsam nach Hause kommen, solle sich aber nicht wagen, ohne etwas zu Essen hier aufzutauchen. Ich hatte zwar keinen großen Hunger, aber weiß auch von den letzten Geburten ganz genau, dass mir der Kreislauf bei leerem Magen ratz fatz wegsacken würde und ich im schlimmsten Fall Magensäure erbrechen würde. Also doch lieber was essen. Und weil sich gerade mein Fast-Food-Argument („Ich bin schwanger, ich will das jetzt!“) verabschiedete, bestellte ich eine ordinäre Currywurst mit Pommes und Mayo.

Wir aßen und zwischen zwei Gabeln Pommes und einem Stück Wurst musste ich immer wieder aufstehen und Wehen veratmen. Inzwischen tönte ich sogar leise, so stark waren die Wehen mittlerweile. Ich sagte dem Miezmann nach der Hälfte meiner Portion, er müsse Claudia anrufen und ihr sagen, dass ich kein Auto mehr fahren würde und sie doch bitte herkommen solle. Wir warteten und ich saß derweil mit Durchfall auf der Toilette und zitterte vor Aufregung. Die Wehenabstände lagen bei 5 bis 3 Minuten.

Der Miezmann wusch sich die Füße, was einem offiziellen Startschuss der Geburt gleichkam. Bei Twitter wurde ich mehrfach gefragt, ob das ein Codewort sei oder irgendein religiöses Ritual. Ich will das nun gerne hier mal aufklären: bei der ersten Geburt lag der Miezmann irgendwann mit auf dem Kreißsaalbett, weil die Geburt ewig dauerte und er von der Hebamme dazu genötigt wurde, noch ein bisschen zu schlafen. Und weil man natürlich nicht mit Schuhen aufs Kreißsaalbett darf, musste er diese vorher ausziehen. Und sobald der Miezmann auch nur den leisesten Verdacht hat, er könnte irgendwo die Schuhe ausziehen müssen, wäscht er sich eben vorher noch mal die Füße. Das ist auch schon das ganze Geheimnis.

Als Claudia kam vertönte ich gerade wieder eine Wehe am Esstisch. Sie sah mich mit hochgezogener Augenbraue an: „So intensiv schon?“ Ich nickte, obgleich ich wusste, dass das noch viel viel schlimmer kommen würde und ich in den nächsten Stunden den Punkt erreichen würde, an dem ich glauben würde, ich müsse sterben (was mir in den kommenden Stunden noch unheimlich im Weg stehen sollte).

Claudia untersuchte mich und verkündete, dass der Muttermund 3-Finger-breit geöffnet sei. Das ist nicht viel, aber immerhin etwas, sagte aber auch ganz klar aus, dass ich noch einiges an Wehenarbeit zu leisten hatte. Kurzfristig demoralisierte mich das richtig. Aber auf der anderen Seite war auch klar, dass ich mich offiziell unter der Geburt befand und diese Schwangerschaft in den kommenden Stunden irgendwann zu Ende gehen würde. Wir schrieben ein halbstündiges CTG, das sowohl meine Wehen wie auch wunderschöne Babyherztöne aufzeichnete. Alles bestens.

Ich bekam ein paar Akupunkturnadeln gesetzt. In den Kopf, gegen die Anspannung, in die Hände, um den Schmerz besser ertragen zu können und in die Beine, um den Muttermund weicher zu machen. Auf die Nadeln im kleinen Zeh, die die Eröffnungsphase vorantreiben sollen, verzichtete ich, weil ich damit eine sehr unschöne Erfahrung in meiner ersten Schwangerschaft gemacht habe, die noch nachhallt.

Dann gab Claudia mir erneut Cimicifuga-Tropfen, von denen ich nun halbstündlich 15 Tropfen nehmen sollte. Zudem bekamen wir noch ein paar Tipps, wie wir die Wehen und die Geburt nun in Gang bringen konnten. Spazierengehen stand natürlich ganz oben auf der Liste, allerdings bin ich schon einmal mit solchen Wehen in der Öffentlichkeit spazieren gewesen und ich habe das als sehr unangenehm empfunden. Die Leute gucken nicht nur neugierig, sie bleiben stehen,  glotzen und sprechen einen im besten Fall auch noch an, während man an einem Laternenpfahl oder dem Mann geklammert eine Wehe veratmet. Also nein, Spazierengehen wollte ich nicht mehr!

„Dann müsst ihr eben noch ein bisschen Kuscheln.“ Ein bisschen Kuscheln ist das Hebammen-Codewort für Sex haben, falls das jemand jetzt nicht versteht. Das sagte Claudia zu mir, während der Miezmann draußen war und ich lachte so ein bisschen bitter, weil ich mir im besten Willen nicht vorstellen konnte, wie ich zwischen zwei 5-Minuten-Hammerwehen noch lustvollen Sex haben sollte. Weil das lustvoll, das sei dabei ganz wichtig. Entspannen und so. Nicht nur über sich ergehen lassen. Ich lachte erneut.

Diesen Ratschlag wiederholte Claudia später noch einmal, als der Miezmann wieder bei uns war. Ich übersetzte sehr unverblümt und ich grinste über die ersten irritierten Blicke vom Mann und von Claudia, die mit solch offenen Worten jetzt wohl nicht gerechnet hatte. *chichichi*

Ich bekam von Claudia noch ein Fläschchen mit einem Badezusatz aus Ingwer, Eisenkraut und Nelken, womit ich noch einmal Baden sollte. Dann fuhr Claudia nach Hause und ich ließ mir direkt Badewasser ein. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten badete ich recht kalt, weil mein Kreislauf ja ohnehin schon nicht der Beste war. Gute 45 Minuten lag ich im Wasser und veratmete Wehen, die nun deutlich intensiver, dafür aber wieder in größeren Abständen kamen.

Danach saßen der Miezmann und ich am Esstisch und versuchten irgendwie die Zeit rumzubringen. Wir lasen Nachrichten, Blogs und Twitter und ich bloggte einen kleinen Statusbericht zwischen den Wehen. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Sich von einer Wehe zur nächsten zu hangeln kann unheimlich Nervenzehrend sein und jedes Mittel der Ablenkung war willkommen. Tatsächlich war ich zwischen den Wehen teilweise stark euphorisch, lachte und alberte herum. In einer Wehe verfluchte ich diesen ganzen Geburtskram und wünschte mir, es sei schon alles überstanden.

Um 23 Uhr ging ich schließlich ins Schlafzimmer und legte mich auf unser Bett. Die Wehen waren weiterhin sehr stark und kamen im 5-Minuten-Rhythmus. Ich wusste nicht, wie ich damit schlafen sollte und brauchte schon ewig, um nur eine Liegeposition zu finden, in der die Wehen einigermaßen erträglich zu veratmen waren. Tatsächlich tun Wehen im Liegen nämlich deutlich mehr weh, als im Stehen.

Irgendwann dämmerte ich zwischen 2 Wehen immer wieder ein. Mein Körper war so müde und erschöpft, dass er das irgendwie hinbekam, auch wenn ich sonst nie der Typ war, der mal kurz weg nickt.

Um 3 Uhr musste ich sehr dringend auf die Toilette und saß dort die kommende halbe Stunde und vertönte Wehe um Wehe, die in deutlichen 3-Minuten-Abständen kamen und von Wehe zu Wehe intensiver und länger wurden.

Um 3:30 Uhr weckte ich dann den Miezmann und rief Claudia an. Während der Mann sich anzog, einen Kaffee machte und die Krankenhaustasche nach unten trug, veratmete ich weiterhin Wehen. Mal auf der Toilette sitzend, mal am Waschbecken stehend. Irgendwann wurde der Druck nach unten immer größer und ich rief dem Miezmann zu, dass ich nicht glauben würde, dass wir es noch ins Krankenhaus schaffen würden.

„Ich glaube, jetzt werde ich doch nervös!“ Ich glaube, das war das erste Mal, dass der Miezmann das so offen und direkt aussprach. Normalerweise bringt ihn nämlich gar nichts aus der Ruhe. Ich grinste schmerzverzehrt und sagte, er solle wieder runter gehen und auf Claudia warten. Er könne hier gerade eh nichts tun und wenn ich ihn brauchen würde, würde ich rufen. Ich wollte einfach in diesem Moment in meinem klinisch saubergeputzten Badezimmer alleine sein.

Als Claudia kam, musste ich mich auf mein Bett legen, damit sie mich untersuchen konnte. Es war die Hölle. Ich hatte das Stadium erreicht, in dem ich nicht mehr Liegen wollte, was nichts daran änderte, dass ich zur Untersuchung liegen musste.

„Also wenn wir ins Krankenhaus wollen, dass müssen wir jetzt fahren!“

Allein die Vorstellung, dass ich mit diesen Wehen in ein Auto steigen, geschweige denn noch 20 Minuten darin fahren sollte, löste Panik in mir aus.

„Hab ich eine Wahl?“
„Natürlich.“
„Dann möchte ich hier bleiben.“

Was ich mir niemals habe vorstellen können, nämlich eine Hausgeburt, war plötzlich die einzig logische Entscheidung. Claudia schickte den Miezmann ans Auto, um weitere Taschen zu holen. Planen, Decken und über ein halbes Dutzend Handtücher wurden bereit gelegt. Ich bekam halb mit, wie Nabelklemmen gesucht wurden und der Mann mit meiner Bastelschere durchs Haus lief (ich muss unbedingt noch mal fragen, was sie damit eigentlich anstellen wollten).

Das Schlafzimmer erwies sich schnell als zu eng und eigentlich wollte ich ja auch gar nicht Liegen, also zogen wir mit Sack und Pack ins Wohnzimmer um. Ich lief gestützt von Claudia und meinem Mann ein paar Runden durch den Garten, was ich ganz furchtbar fand, weil mir ein starrer Gegenstand zum Festhalten fehlte. Durch die stundenlangen Wehen und den fehlenden Schlaf war ich inzwischen mehr als erschöpft und müde. Ich konnte kaum noch Stehen und so setzte mich Claudia an den Esstisch, legte ein Kissen auf den Tisch und sagte, ich solle zwischen den Wehen schlafen.

Und das tat ich. Zwischen den Wehen schlief ich mit dem Kopf auf dem Tisch. Kam eine Wehe stand ich auf, veratmete und vertönte und setzt mich anschließend wieder auf den Stuhl, nur um Sekunden später wieder zu schlafen. Irgendwann wurde mir in einer Wehe fürchterlich übel und ich verlange nach einer Schüssel. Tatsächlich habe ich die die ganze Geburt über nicht gebraucht, aber das Gefühl sich erbrechen zu müssen blieb beinahe bis zum Schluss.

Mein Zeitgefühl war mir bereits abhandengekommen. Claudia ermahnte den Miezmann sich auch ein bisschen am Esstisch schlafen zu legen. Sie selber legte sich aufs Sofa. Wir konnten alle nichts tun, außer abwarten.

Nach einiger Zeit sollte ich mich erneut auf das Sofa legen, damit Claudia prüfen konnte, ob und wie weit wir inzwischen vorangekommen waren. Mein Gefühl war kein Gutes, denn durch die Erschöpfung und die Übelkeit hatte ich die Sorge, die Wehen würden weniger werden oder verschwinden. Der Körper ist ja nicht doof und weiß genau, wann die Energiereserven aufgebraucht sind und leider fühlte ich mich bereits ziemlich an der Grenze zu körperlich am Ende.

Claudia nickte. „Fast vollständig! Wir haben genau jetzt die letzte Möglichkeit ins Krankenhaus zu fahren.“

Auf der einen Seite hatte ich weiterhin höllische Angst vor der Autofahrt mit diesen Wehen. Auf der anderen Seite fühlte ich mich aber auch seit den letzten 5 Wehen nicht mehr so sicher, wie die Zeit zuvor. Ich denke, Claudia hat das gespürt. Meine Erschöpfung war deutlich sichtbar und irgendetwas schien das Vorankommen der Geburt gerade zu behindern. Ob das mein Kopf oder mein Körper war kann ich nicht sagen. Ich stimmte also der Autofahrt zu.

Dann ging alles sehr schnell. Claudia und der Miezmann legten Decken im Auto aus, packten die Handtücher ein und Claudia sagte an, dass sie mit uns fahren würde. Das zeigte mir, dass es wirklich eilig war, denn unter normalen Umständen fährt sie hinter dem Paar, das sie betreut, her.

Ich kniete auf der Rückbank unseres Autos und umklammerte mit den Armen die mittlere Kopfstütze. Claudia saß neben mir und hielt den Miezmann an, zügig, aber vorsichtig zu fahren, da ich jede Bodenwelle und jedes Steinchen um ein zehnfaches stärker spürte, als das normalerweise der Fall ist. Mein ganzer Körper war verkrampft und angespannt. Ich kniff die Augen zusammen und betete, dass wir schnell da sein würden. Das war so ziemlich das schlimmste Geburtserlebnis, von dem ich berichten kann: Die 15-Minütige Autofahrt zum Krankenhaus mit derart starken Wehen.

Am Krankenhaus angekommen holte Claudia einen Rollstuhl, weil ich nicht mehr laufen wollte. Ich wollte nur noch in den Kreißsaal, weg von den Blicken der Leute um uns herum und zurück in den kleinen Kreis meiner Vertrauten. Dort angekommen musste ich mich für ein weiteres CTG aufs Kreißsaalbett legen. Ich rollte mich auf die Seite und schloss die Augen. Und schlief ein. Bei jeder Wehe erwachte ich, drückte die Hand des Mannes oder von Claudia, wimmerte, veratmete, aber tönte nicht mehr. Ich war wirklich am Ende.

Ich weiß nicht wie lang das ging. Eine Stunde? Zwei? Irgendwann sagte Claudia genau das, was ich nicht hören wollte: „Wir brauchen wieder stärkere Wehen!“ Ich wusste genau was sie meinte, sperrte mich aber innerlich noch total gegen die Gabe von Oxytocin, was die Wehen wieder deutlich intensivieren würde. „Wehenversager!“ schoss es mir in den Kopf. Schon wieder!

Beim Quietschbeu hatte ich es auch nicht selber hinbekommen, ausreichend starke Wehen zu produzieren. Jetzt demoralisierte mich nur noch mehr, dass die Wehen durchaus stark genug waren, aber einfach wieder abebbten. Jetzt! Fast vollständig eröffnet! Das war doch ein schlechter Scherz!

Ich raffte mich also vom Kreißsaalbett auf und begann mit dem Miezmann den Kreißsaalflur auf und ab zu Laufen. Ich merkte schnell, dass die Wehen so nicht in Gang kamen. Sie waren recht häufig und natürlich sehr schmerzhaft, aber bei weitem nicht mehr so intensiv, wie die Stunden zuvor.

Claudia ließ mir eine Wanne mit warmen Wasser und mehreren Spritzern Rosmarinöl einlaufen, in der ich noch Mal entspannen konnte. Zeitgleich wirkte das Rosmarinöl anregend und belebend. In der Wanne sitzend scherze ich noch: „Da male ich mir extra die Zehnägel pink an, damit das Baby den Ausgang besser findet, und dann guckt sie nicht mal hin!“ Wir lachen alle.

Es war dann 11:30 Uhr als wir gemeinsam die Entscheidung trafen, dass ich den Wehentropf nehmen würde. Um 12 Uhr stieg ich aus der Wanne und bekam den Zugang gelegt.

Recht schnell wurden die Wehen wieder sehr intensiv. Ich bat darum, mich hinknien oder stellen zu dürfen, da ich die Wehen im Liegen kaum ertrug. Mit der Braunüle im Arm war mein Bewegungsradius ja doch etwas eingeschränkt. Ich kniete mich dennoch aufs Bett, hielt mich am Seil fest, das über dem Kreißsaalbett an der Decke hing und zog mich bei jeder Wehe leicht in den Stand und kreiste mit dem Becken. Ich spürte ganz deutlich, wie mein Baby Stück für Stück tiefer rutschte und wusste, dass das jetzt das Ende war. Stumme Tränen liefen mir über das Gesicht, zum einen, weil ich mich so freute, dass ich es bald geschafft haben würde und zum anderen weil ich immer noch Angst vor der Austreibungsphase hatte.

Claudia sagte später etwas zu mir, was das Problem dieser dritten Geburt ganz wunderbar fasst: „Du hast einfach zu viel gewusst!“ Und genau so war es auch. Ich wusste, dass meine Fruchtblase sehr wahrscheinlich nicht von alleine reißen oder platzen würde. Selbst unter dem größten Druck der stärksten Wehen hielt sie Stand. Selbst als das Baby schon mit seinem Kopf unmittelbar vor dem Geburtskanal lag und dagegen drückte: die Fruchtblase stand wie eine Eins. Und ich wusste, wenn sie die Blase sprengen würden, würde es losgehen. Kein langes Geplänkel mehr, sondern Presswehen, denen man sich nicht entziehen konnte. Ich wusste das alles. Und es machte mir panische Angst.

Auf der anderen Seite war natürlich auch das Wissen, dass es danach vorbei und vollbracht war. Und dass der Schmerz binnen Sekunden unwichtig und vergessen sein würde.

Ich flüsterte immer wieder: „Alles wird gut. Alles ist gut.“ Zum einen zu mir, um mich selber zu beruhigen und zum anderen zu meinem Baby, weil ich nicht wollte, dass es in Stress gerät. Tatsächlich hatte ich unter der Geburt noch solch klare und rationale Gedanken.

Claudia forderte mich erneut auf, mich auf den Rücken zu legen. Ich wusste, was nun kommen würde, auch wenn sie es mir nicht sagte. Unter Ächzen und Stöhnen legte ich mich auf den Rücken. Ich spürte, wie sie den Muttermund die letzten Millimeter über das Babyköpfchen dehnte und spürte ihm nächsten Moment, wie das Fruchtwasser in drei, vier Schwallen abging.

Ich rief, sie solle aufhören und dass ich mich hinstellen wolle. „Lass mich aufstehen! Ich will mich hinstellen!“ Claudia fuhr das Kopfteil des Bettes ganz hinauf, der Miezmann stellte sich hinter das Kopfteil und hielt meine Hände, während kniend den Oberkörper über das Kopfteil gebeugt hatte.

Ich hatte bereits die erste Presswehe, welche ich aber auf Grund des Aufrichtens und Umlagerns nicht nutzen konnte. Ich sah Claudia nicht und fühlte mich total unsicher und hilflos. „Darf ich pressen?“ – Ja, auch eine Drittgebärende stellt dumme Fragen.

„Drückt es nach hinten?“
„Ja!!!“
„Dann schieb!“

In der nächsten Presswehe drückte ich so fest wie es mir möglich war. Ich vergaß jede Konzentration und schrie dabei, was mir ordentlich Kraft raubte. Ich besann mich in der Wehenpause darauf, dass ich nur pressen und nicht schreien sollte, wohl wissend, dass es dann schneller gehen würde. In der nächsten Presswehe drückte ich stumm und schrie nur in Gedanken „Ich werde sterben!“ und „Das überlebe ich nicht!“ Ich spürte, wie sich das Köpfchen langsam nach außen schob.

In der nächsten Wehenpause atmete ich tief ein und konzentrierte mich erneut, als ich eine seltsame Hin- und Her-Bewegung zwischen meinen Beinen spürte. Ich dachte zuerst, Claudia würde irgendetwas machen, als ich auch noch ein rhythmisches Drücken im Bauch spürte. Das konnte nie und nimmer Claudia sein.

„Sie bewegt sich. Das habe ich ja noch nie gesehen!“ hörte ich Claudia und spürte ganz deutlich, wie sich mein Baby versuchte selber aus mir heraus zu schrauben. Dann kam auch schon die nächste Presswehe. Ich presste sofort so stark ich konnte und Sekunden später war der Kopf geboren. Ich drückte noch einmal und in derselben Presswehe wurde schließlich mein kleines Meedchen endlich geboren.

Ich griff sofort unter mich und nahm sie hoch. Ich war sofort im Muttersein und vergessen war alles, was ich in den Stunden zuvor noch gespürt, empfunden und erlebt hatte. Da war nur noch Stolz und Liebe. Es war 12:45 Uhr 

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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40 Gedanken zu „Der Miezmeedchen-Geburtsbericht

  1. Ich habe auch eine kleine Gänsehaut und vieel Ungeduld. Ich kann sehr viel von dem, was du schreibst, nachvollziehen, denn genau dieses Wissen hatte ich bei der dritten Geburt auch und es machte mir tierische Angst.

  2. Danke für den tollen Bericht. Das hat mich heute motiviert meinen auch noch zu schreiben, auch wenn mein Sohn schon acht Wochen alt ist.

  3. Ich staune immer wieder, wie packend Du Deine Empfindungen in Worte fassen kannst. Ein toller Geburtsbericht! Rational und emotional zugleich – unglaublich spannend und rührend: Mit Miez-Meedchen-Happy-End! :-)

  4. Da wollte ich eigentliche keine Bericht lesen um mein Kopfkino von der Geburt nicht noch irgendwie in Gang zu setzten aber ich war zu neugierig. Du hast es auch geschafft mir mit deinen Schilderungen keine Angst zu machen sondern es baut einen doch eher auf, dass am Ende alles Gut wird.
    Unbeschreiblich wie intensiv du das erlebt hast und auch wiedergeben kannst. Danke.
    Also ich wäre ja schon bei den ersten regelmäßigen Wehen im KH gewesen aber wie ruhig du geblieben bist und wie lange du dann doch (auch wegen der Schmerzen) gezögert hast ins KH zu fahren, unglaublich.

  5. Danke fürs Teilhaben-Lassen, liebe Frau Miez :)
    Auch ich staune über Ihr Durchhaltevermögen (mir fällt kein besseres Wort ein). Wegen einer PDA bei Geburtsstillstand (nach einer Einleitung) fehlen mir viele Erfahrungen; umso schöner ist es, so ausführlich darüber lesen zu dürfen.
    Nochmals die allerherzlichsten Glückwünsche :)

  6. Und das kleine Meedchen ist so ein bezauberndes Mädchen … ein kleine Schönheit ?!!!

    Ihr seit eine tolle Familie und der Miezmann, der macht das ja wohl alles unglaublich toll – mit euch/dir zusammen. (Klingt das sehr persönlich?)

    Ich kniepere also weiter vor mich und freue mich über jedes weitere Wort über die Miezbeus und ihrer kleinen Schwester !!

  7. Danke für diesen wunderbaren, ehrlichen und ausführlichen Geburtsbericht! Die Angst vor der Austreibungsphase kann ich so gut verstehen und ich bin sicher, dass mich diese auch ein Stück weit lähmen würde, sollte ich irgendwann mit Nr. 2 schwanger werden. Genau an diesem Punkt, an dem die Schmerzen einfach nicht aushaltbar scheinen und man wirklich zu sterben glaubt, stehe ich im Traum noch oft. In den ersten Tagen nach der Geburt des Olivenkinds musste ich die Gedanken an diesen Teil der Geburt regelrecht verdrängen, weil ich die Erinnerung kaum aushalten konnte. Und bereits jetzt habe ich Angst davor, dies beim nächsten Kind durchstehen zu müssen. Denn das unbekümmerte „so schlimm wird´s schon nicht werden“- Gefühl hat man leider nur vor der ersten Geburt…
    Aber zum Glück ist das, was hinterher kommt, jeden Schmerz und jede Angst wert…
    In diesem Sinne auch auf diesem Weg noch einmal: Glückwunsch zum süßen Miezmeedchen!

  8. Unglaublicher Geburtsbericht! Da erlebt man die Geburt als stiller Gast mit…die Tränen laufen – Stillhormone ;))
    Danke für die Teilhabe und auch noch einmal „alles Gute“.

  9. Oh man, *nase schäub* beim Lesen erlebe ich gerade doch tatsächlich nochmal meine Geburt!
    Das ist ein wunderschöner Geburtsbericht!
    Zu mehr fehlen mir jetzt gerade die Worte.

  10. ich dachte nicht das du ihn so schnell veröffentlicht hast. Vielen dank dafür und meinen Respekt das Erlebte schon zusammengefasst zu haben. Ich wünsche dir für die zukunft mit deinen 3 Mäusen ganz viel Kraft und Mut!
    Mehr mag ich an dieser Stelle garnicht sagen wollen.
    LG

  11. Puh, danke für den tollen Bericht! :-)
    Mein Racker hat sich übrigens unter der Geburt, genauer gesagt bei der letzten Geburtswehe, in meinem Bauch abgestossen und hat sich so quasi selbst rausgeschoben und gedreht. Ich dachte im ersten Moment (sofern ich da zum Denken in der Lage war), dass ich mir das nur eingebildet haben könnte, aber meine Hebamme hat bestätigt, dass er einen guten Teil mitgeleistet hat. Das käme wohl selten vor, sie habe das aber schon erlebt. Mir war gerade angekündigt worden, dass nun wohl doch ein Dammschnitt gemacht wird, das wollte er mir wohl ersparen. ;-)

  12. Liebe Mama Miez, als ich das letzte Mal hier vorbeigekommen bin, war das Löwenmäulchen ganz frisch auf der Welt und ich weiß, dass ich mein Bettlaken vollgeweint habe. Heute hatte ich aus irgendeinem Grund das dringende Bedürfnis, zu gucken, wie es euch geht – und stelle fest, dass es ein kleines Miezmeedchen und einen weiteren Geburtsbericht gibt, der mir die Tränen in die Augen treibt.
    Alles Gute euch fünf!

  13. Liebe Mama Miez,
    es ist unglaublich. Erst vor wenigen Tagen habe ich deinen Blog entdeckt und mich quergelesen. Jetzt habe ich auch alle Geburtsberichte deiner Kinder gelesen und ich muss sagen, ich bin sprachlos. Ich habe selber (noch) keine Kinder deswegen kann ich mir das nur schwer vorstellen… Ich habe aber beim lesen förmlich mitgelitten und dachte mir nur „Oh Gott, das ist ja schrecklich“ aber als du im letzten Absatz, vor allem beim Loewenmäulchen, erzählst wie du dein Kind hochgenommen hast, da musste ich sofort ein Tränchen verdrücken. Ich danke dir für deine detaillierten Berichte und den wundervollen Blog. Ich werde hier sicher noch viel mitlesen.
    Liebe Grüße
    Jeanne

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