Ernst des Lebens? Wer ist das?

Ich glaube jedes i-Dötzchen* hat den Spruch schon mal von irgendeinem Verwandten, Nachbarn, Bekannten gehört: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens!“ Und das am allerersten Schultag seines Lebens. Wir furchtbar. Bei Twitter schrieb mir jemand, ein Kind, das eben diesen Spruch zu hören bekommen hat, hätte sich daraufhin am ersten Schultag vor Angst auf der Toilette eingeschlossen. Na, hat ja super geklappt, dass mit der Aufklärung über das Leben. Schule ist Ernst, Todernst. Alles was davor war, war Spaß. Und damit ist jetzt Schluss. Ätsch!

Mein grundsätzliches Problem mit diesem Spruch: Das Leben ist immer Ernst. Nicht im Sinne von „keinen Spaß haben“. Vielmehr meine ich damit, dass Alles, was wir im Leben erleben und wahrnehmen, vom ersten Augenblick an, so ernst ist, dass sich unsere Persönlichkeit und unser Charakter davon beeinflussen und formen lassen.

In diesem Spruch – Der Ernst des Lebens – spiegelt sich auch etwas wieder, was mir sehr widerstrebt und was mich immer wieder unfassbar traurig, manchmal auch wütend, macht. Zu viele Menschen nehmen die Welt eines Kindes nicht ernst. Natürlich ist es für einen Erwachsenen schwer zu verstehen, warum sich mein 3jähriges Kind in der Gemüseabteilung auf die Erde wirft und nach Tomaten schreien muss. Das ist ja Pipifax im Vergleich zu dem, was das „echte“ Leben ausmacht. Tomaten. Pff. Stell Dich mal nicht so an!

Für mein Kind ist die Situation aber ernst. Sehr ernst. So ernst, dass sein Kopf ganz rot wird, ihm wird heiß und seine kleinen Hände ballen sich zu Fäusten. In ihm schwappen die Hormone nur so über. Es will diese blöden, doofen Tomaten. Jetzt. JETZT! Und es darf nicht.

Ich habe schon erlebt, dass Eltern ihre Kinder auslachten, weil sie sich über etwas echauffierten, was in der Erwachsenenwelt eher banal erschien. Man stelle sich das mal am eigenen Leibe vor. Man hat ein Anliegen, einen Wunsch, vielleicht sogar einen ganz festen Willen. Und der Gegenüber lacht. Nur weil er mein „Problem“ nicht nachvollziehen kann. Ein schönes, recht anschauliches Beispiel, welches vielleicht die meisten Frauen gut nachvollziehen können:

Dieser unbändige Wunsch nach einem Kind. Dieser Wille, der von innen heraus, von unseren Hormonen und unserem Herz gestreut wird und fast körperlich schmerzt, bleibt er unerfüllt. Wir äußern diesen Herzenswunsch. Vielleicht mir Tränen in den Augen. Und unser Gegenüber lacht und aus. Ist das dieser Ernst des Lebens, von dem damals alle sprachen? Nein. Es ist ein Bedürfnis, ein Wunsch, ein Wille. Er ist völlig subjektiv und sehr individuell. Es sind viele Faktoren und Gedanken damit verknüpft. Es dominiert temporär unser Denken. Und nur, weil der Gegenüber das nicht ebenso stark empfindet, nicht so empfunden hat oder einfach nicht nachempfinden kann, ist es nicht automatisch Pipifax.

Unser Leben, das meiner Kinder, das meine Mannes, meines und auch Ihres ist todernst, wenn es um unsere Gefühle und Wünsche geht. Vom ersten Atemzug an.

Darum tun Sie mir bitte alle einen Gefallen und drücken Sie das kleine i-Dötzchen, wünschen Sie ihm ganz viel Spaß und Freude in der Schule, dass es viele neue Freunde findet und sich über all die tollen Dinge freut, die es nun (kennen)lernen darf. Aber erzählen Sie ihm nix vom Ernst des Lebens. Den kennt es schon. Sein Leben lang.

*Schulanfänger[in]

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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13 Gedanken zu „Ernst des Lebens? Wer ist das?

  1. Danke ;o) Das sehe ich genau so… Unser Sohn hat Schwierigkeiten mit allem was Neu ist. Da kommt so ein Satz natürlich besonders gut. Ich hätte ihm am Liebsten die Ohren bei so viele Kommentaren zur Einschulung zugehalten… So kam es dann, dass ich ihn am zweiten Schultag schon mit Bauchschmerzen abholen musste.
    Mit viel Zuwendung, Erklärungen, „für ihn da sein“ und seine Sorgen anhören, geht es jetzt nach 3 Wochen schon viel besser.
    Ich drücke allen anderen Eltern die Daumen!

  2. Mein Sohn bekam von uns ein Büchlein geschenkt, das heisst tatsächlich „Der Ernst des Lebens“ von Sabine Jörg, Illustriert von Ingrid Kellner. Darin geht es ganz genau darum, dass ein Mädchen, Annette, in die Schule kommen soll und von jedem gesagt bekommt, dass dann der Ernst des Lebens beginnt. Annette hat Angst davor, weil ihr niemand erklärt was das heisst- sie stellt es sich als Monster vor, als etwas schreckliches, wovor man sich fürchten muss.
    In der Schule sitzt sie dann neben einem Jungen, der Ernst heisst, mit dem sie malt, schreiben lernt und sogar Bonbons teilt, und viel Spass hat. Sie freundet sich mit ihm an und läd ihn auch zu sich nach Hause ein- Und stellt fest, dass der Ernst des lebens ziemlich super ist ;-)

    Das Buch ist süß geschrieben, ich muss aber gestehen dass die Bilder manchmal etwas zu dunkel/ düster sind, das hat den Sohn etwas abgeschreckt. Aber er hat das Buch trotzdem sofort gelesen und sich kaputt gelacht :-)
    Kann ich empfehlen, es ist klein und passt auch in die Schultüte ;-) (Da war unseres drin :-) )

    Liebe Grüße
    Katha

  3. Danke das hast du sehr schön geschrieben und ausgedrückt und genau das merke ich auch immer wieder das es Erwachsene gibt die sich nicht in Kinder rein versetzten können/wollen und sie nicht ernst nehmen. Sehr schade für das Kind, aber auch für den Erwachsenen er verpasst nämlich eine ganze Menge.

  4. Wie wahr!
    Und das Buch, das Maufeline empfohlen hat, finde ich auch ganz wunderbar. Das nimmt diesen blöden Spruch nämlich so richtig auf die Schippe.

  5. Genau das ist – denke ich persönlich – häufig das Problem, wenn Dinge im Kinderleben aus dem Ruder laufen: Es wird/wurde nicht ernst genommen, macht sich Luft.
    Das Thema Schule ist da ein sehr gutes Beispiel, ja. Und ich kann den Artikel so nur unterschreiben.
    Und auch ich kenne diese Situation: Ein Kind hat ein Anliegen und bekommt als Antwort nur schallendes Gelächter.
    Doch leider gibt es Menschen, die diesbezüglich sehr Beratungsresistent sind und vor denen man auch sein eigenes Kind nicht „schützen“ kann. :/

    Liebe Grüße,
    die Alltagsheldin

  6. Der Ernst des Lebens… Mein „Kleiner“ kam jetzt in die dritte Klasse und das erste, was die Lehrerin über Noten erzählt hat war „drei Striche sind eine 6 und mit zwei 6ern bleibt man sitzen!“.

    Bah.

  7. wissen sie, was mich an diesem
    text „nervt“, und bitte sehen sie das nicht als persönliche kritik an ihrem
    denken und handeln, ist, dass man immer das kind berücksichtigen muss. das kind erfährt das, das traumatisiert ihn so, und bitte nicht so, sonst werden sie alle brutallos.

    ich hab das sooo satt. ich gehe davon aus, dass ich einschätzen kann, wann etwas ernst ist und die kinder wirklich hilfe und zuspruch brauchen. ich gebe ihnen auch sehr oft die freiheit, selbst zu entscheiden. jüngstes beispiel: der anblick ihrer aufgebahrten urgrossmutter. das ist aber nur ein beispiel.

    aber sehr oft machen wir mit unserem
    vermeintlichen ernst nehmen auch aus einer mücke einen elefanten. und vor allem find ich, dass ich auch ich sein darf. dass ich mal über etwas lachen darf, auch wenn es todernst ist.

    wir sagten unseren älteren auch, dass mit der schule der ernst des lebens anfing. und es ist so: man muss pünktlich sein und aufgaben machen, selbst bri schönstem wetter. man kann nicht mehr in den tag leben, wie es einem beliebt, das ist unwiderbringlich für alle zeiten vorbei.

    das ist für mich mehr ernst als alles andere. da würde ich sogar tomaten kaufen.

  8. Sehr schöner Artikel! Genau darum geht’s, Kinder wie heranwachsende Menschen zu behandeln mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen- und nicht wie nervige Störfaktoren. Die Eltern haben sich die Kinder schließlich freiwillig in ihr leben geholt, die Kinder wurden nichtmal gefragt.

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