Auf dem Weg zum Vorschulkind

Es ist viel passiert, in den letzten Tagen. Das Meiste davon in meinem Kopf. Nach dem Entwicklungsgespräch über den Quietschbeu im Kindergarten habe ich mich mal wieder verstärkt damit auseinander gesetzt, wie wir das Vorschuljahr am besten nutzen können, um ihn auf den Schuleintritt bestmöglich vorzubereiten. Und damit meine ich jetzt keine Förderkaspereien wie Sprach-, Lese- oder sonst was Training. Mir geht es schlicht und ergreifend darum, dass er für sich einen Weg findet, mit dem er es schafft die Eindrücke seiner Umwelt in „temporär relevant“ und „gerade nicht so relevant“ einzuordnen und den relevanten Dingen dann auch folgen zu können. Aus eigener Erfahrung weiß ich ja, wie schwierig das ist. So viele Kinder um einen herum, die alle irgendwas tun. Geräusche, Gesten, Handlungen. Dazu der Lehrer, der ganz vorne steht, und dem ich meine volle Aufmerksamkeit schenken sollte, was mir fast nie gelang. Ich war dauerhaft abgelenkt und konnte am Ende eines Schultages jeden Pieps, den meine Mitschüler gemacht hatten, wiedergeben. Aber was wir wirklich an dem Tag gelernt hatten, das wusste ich nicht. Ich hatte in der Grundschule sehr starke Anlaufschwierigkeiten und musste so ziemlich jeden Förderunterricht besuchen, den es gab. Das hat mich schon damals sehr belastet, denn meine Freunde konnten alle nach Hause gehen und ich saß mit den „schwierigen Fällen“ (womöglich war ich ja selber einer?) im Klassenzimmer und musste noch mehr Rechnen, Lesen, Schreiben üben.

quietschbeu

Beim Quietschbeu zeichnet sich schon jetzt ab, dass ihm das anhaltend konzentrierte Arbeiten – wenn man es von ihm einfordert, nicht wenn er es sich selber aussuchen darf – schwer fällt. Er wird nach einer Weile sehr unruhig, beginnt zu zappeln, sortiert Stifte, muss auf die Toilette  und und und. Wenn er selber entscheiden darf, wann und was er tun möchte, hat er hingegen gar keine Probleme mit der Konzentration. Dann sitzt er auch mal 1,5 Stunden seelenruhig am Tisch und malt oder puzzelt. 

Seine Erzieherin machte mich auf das Marburger Konzentrationstraining aufmerksam.

Das Marburger Konzentrationstraining (MKT) ist ein auf Selbstinstruktion basierendes, kognitiv-verhaltenstherapeutisches Training für Vorschul- und Schulkinder im Alter von fünf bis etwa zwölf Jahren. […] Das MKT soll den Kindern die Methode der verbalen Selbstinstruktion sowie grundlegende Arbeitstechniken für den Schul- und Hausaufgabenalltag vermitteln. Weitere Bestandteile sind Entspannungstechniken, etwa durch Autogenes Training, und Verhaltensmodifikation, unter anderem durch positive Verstärkung, zur Verbesserung von Selbsteinschätzung und Selbstkontrolle. Ziel ist eine Veränderung von einem impulsiven hin zu einem reflexiven kognitiven Arbeitsstil.

Quelle: Marburger Konzentrationstraining auf Wikipedia

Ich hab mich nun intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt und denke, dass das tatsächlich etwas ist, was dem Quietschbeu helfen kann. Ich weiß wie schrecklich diese Gefühl des Versagens ist. Und ich würde ihm das gerne ersparen. Da mir das aber vermutlich nicht gelingen wird – und es ja irgendwie auch zum Leben dazu gehört – möchte ich ihm aber gerne mehr Selbstbewusstsein mitgeben, als ich es damals hatte. Und wenn er durch dieses Training Wege und Mittel kennen lernt, mit denen man sich selber besser sortieren und konzentrieren kann, dann ist das einen Versuch auf jeden Fall wert. Das MKT wird bei uns im Ort von einer Ergotherapeutischen Praxis angeboten. Ich werde nun aber erstmal die U9 des Quietschbeus abwarten und dann noch mal mit seinem Kinderarzt darüber sprechen. Möglicherweise bekommen wir das sogar auf Verordnung. 

Ein anderes Thema ist und bleibt die Schulform. Uns ist bewusst, dass in einem Jahr noch sehr viel in den Köpfen und Seelen der Kinder passiert und sie riesen Entwicklungssprünge machen. Dennoch glaube ich, dass ihm der Besuch einer Regelschule, wie wir sie hier haben, schwer fallen wird. Die fehlenden Umweltfilter lassen sich zwar nach und nach durch verschieden Trainingsmethoden wie u.a. auch Autogenes Training künstlich nachstellen, aber diesen Schritt sehe ich noch nicht bei einem 6-Jährigen. Ich habe dafür bis zur Mittelstufe gebraucht (und wurde tatsächlich erst danach von einer miesen zu einer gute Schülerin).

Also habe ich mir auch zu diesem Thema viel angelesen und mich darüber informiert, was hier in der Nähe überhaupt angeboten wird. Eine Freundin brachte mich dann auf die Peter Petersen Schule in der Nachbarstadt. Und plötzlich hatte ich da so ein Summen im Hinterkopf: „Das kennst Du doch?!“ Ich stiefelte daraufhin in den Keller und kramte in meiner Abi-Kiste, um dann meine Abitur-Hausarbeit aus dem Pädagogik Leistungskurs heraus zu fischen. Erinnerte ich mich doch richtig. Im Abitur habe ich über Peter Petersen und seine Jenaplan-Pädagogik eine Hausarbeit verfasst (mit einer grandios guten 1 benotet) und im abschließenden Fazit dieser Hausarbeit schrieb ich: „Sollte ich später Kinder haben, so würde ich eine Beschulung durch die Jenaplan-Pädagogik für meine Kinder favorisieren.“ 

Das gab mir dann so ein „Das ist der Weg!“-Bauchgefühl, das erstmal frei von rationalen Gedanken ist. Universum und so. Sie wissen schon.

Was mir persönlich an Jenaplan-Pädagogik besser gefällt, als z.B. an Motessori, ist die Tatsache, dass hier der Schwerpunkt auf das einzelne Kindes in der Gemeinschaft und Gesellschaft sowie auf Selbstverantwortung und Teamfähigkeit gelegt wird. Es geht nicht um die reine Selbstständigkeit und Selbstentfaltung, sondern um das gesellschaftliche Miteinander und die gegenseitige Hilfestellung. Bei Montessori stört mich persönlich die häufige Einzelarbeit und das „selber erarbeiten“ („Hilf mir, es selbst zu tun!“). An sich in das ein toller Ansatz, aber für Menschen, die ohnehin Schwierigkeiten haben Anschluss zu finden und sich in Gruppen zu bewegen, ist das eher der erste Schritt ins Einzelgänger-Dasein. Auch da spreche ich aus Erfahrung. Bei Jenaplan ist der Lehrer präsent und tritt als Begleiter und Berater des lernenden/arbeitenden Kindes auf. Bei Motessori tritt er eher in den Hintergrund. Ansonsten sind sich Jenaplan und Motessori ähnlicher, als z.B. Jenaplan und Waldorf-Pädagogik.

Das ist natürlich auch nur ein grober Anschnitt und es gibt eine Fülle an weiteren Faktoren. Letztendlich halte ich die Jenaplan-Pädagogik jedenfalls für eine Form, die dem Wesen des Quietschbeus entgegen kommt und ihm nur dienlich sein kann. Nun haben wir ja noch etwas Zeit. Nach den Sommerferien geht die Bewerbungsphase für die Grundschulen los und wir müssen bis Ende des Jahre eine Entscheidung getroffen haben. Natürlich werde ich mir alle in Frage kommenden Schule genauer ansehen. Auch wenn ich eine Bauch-Tendenz habe, so ist dann ja noch nicht gesagt, dass wir in dieser Schule auch einen Platz bekommen. Immerhin liegt sie hinter der Stadtgrenze. 

So. Nun habe ich wenigstens mal meine Gedanken zum Thema fixieren können. Sowas räumt mein Hirn auch immer ein wenig auf und ich hab wieder Platz für neue Gedanken. Ventil und so. Sie kennen das ja schon.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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9 Gedanken zu „Auf dem Weg zum Vorschulkind

  1. Es ist doch toll, dass Ihr diese verschiedenen Möglichkeiten habt! Hier (auf dem „Land“) gibt es nur die Volksschule und 2-3 Privatschulen, die aber so viel kosten, dass Normalverdiener sie sich nicht leisten können. Von Jena-Plan habe ich noch nie gehört. Was ist denn bei Waldorf und Montessori unterschiedlich? Kenne mich leider nicht so gut aus…

  2. Nach deinen Erzählungen über den Quietschbeu halte ich die PPS für eine tolle Idee! In deiner „Nachbarstadt“ gibt es ja zwei; ich finde die integrative PPS jedoch empfehlenswerter (dort ging ich zur Schule. An der anderen PPS arbeitet eine nahe Verwandte von mir, daher „kenne“ ich auch diese Schule etwas). Für mich – vermutlich auch hochsensibel- war es genau der richtige und vor allem sanfte Einstieg ins Schulleben.
    Schaut sie euch ruhig mal an!

    Herzlich,
    Nele

  3. Ein guter Gedanke und ich denke ihre Ansätze sind sehr gut. Mit der Petersen Pädagogik kenn ich mich nicht aus. Werde mich da mal rein lesen. Deine Schulschwierigkeiten kommen mir teils sehr bekannt vor. Von mir und meinen Kids. Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen das heute noch weniger Platz in einer Schule für „besondere“ Kinder ist als damals. Bei mir sind es gut 33 Jahre her. Ich drücke euch die Daumen das ihr das richtige findet. Der Quietschbeu hat es trotzdem leichter als du denn er hat Eltern die ihn verstehen. Die sich in seine Lage versetzen können und so mehr Gelassenheit mit bringen

  4. Liebe Pia
    Gut, das ihr noch Zeit bis zur Einschulung habt. So kannst du dich bei den verschiedenen Schulen informieren und dann auch die richtige Wahl für den QB treffen. Beim Lesen des Textes kommt mir der Gedanke, dass vielleicht auch die Tomatis Therapie etwas für den QB sein könnte. Dabei wird ua die Hörwahrnehmung verändert. Empfehlen kann ich das Buch: das Ohr und das Leben von Alfred Tomatis. Wir haben mit der Tomatis Therapie selber gute Erfahrungen gemacht. Bei Fragen dazu, kannst du dich gerne melden.

  5. Als angehende KJPlerin würde es, nachdem was ich gelesen habe, evtl. Sinn machen, sich statt an eine Ergotherapeutin an eine Verhaltenstherapeutin (KJP) wenden. Die können natürlich das MKT durchführen, darüber hinaus aber noch viel mehr, v.a. Ressourcenorientiert intervenieren. Es würde somit nicht nur um Konzentration gehen (müssen).
    Die Therapie bezahlt die KK, du brauchst dafür kein Rezept vom Arzt, auch wenn der Therspeut nachher einen Konsilbericht von diesem benötigen wird…

    Viele Grüße & alles Gute! :-)

    AJ

  6. Hallo,

    mir ist beim Lesen Ihres Artikels Marte Meo eingefallen.
    Dazu mache ich gerade eine Fortbildung.
    Mit Marte Meo kann man in ganz alltäglichen Situationen mit sehr einfachen Mitteln die Entwicklung von Kindern oder Erwachsenen fördern.
    Als Eltern kann man sich von einem Marte Meo Therapist beraten lassen. Dieser macht eine oder mehrere kurze Videoaufnahmen von einer Alltagsinteraktion zwischen den Eltern und dem Kind und erstellt daraufhin eine Entwicklungsdiagnose. Je nachdem wie diese ausfällt, werden die Eltern oder auch das Kitapersonal (in einigen Kitas wird das Personal in Marte Meo geschult) beim gemeinsamen und sehr kleinschrittigen Anschauen des Videos auf Möglichkeiten aufmerksam gemacht, wie das Kind im Alltag in seiner Entwicklung unterstützt werden kann (Bsp. Benennen was das Kind tut hilft ihm länger bei einer Sache zu bleiben). Vielleicht wäre so eine Beratung ja auch etwas für Sie und Ihre Familie.

    Liebe Grüße und danke für die stets sehr interessanten Blogbeiträge,
    Petra

  7. Danke für’s berichten! Von der Jena-Plan-Pädagogik habe ich noch nie gehört,klingt aber sehr interessant. Nach dem Film „alphabet“ und dem Buch“Jedes Kind ist hoch begabt“ von Gerald Hüther interessiere ich mich verstärkt für Staatsschulalternativen.
    Oder für Möglichkeiten unser Schulsystem radikal und vor allem nachhaltig umzustrukturien.

    LG von M.

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