Trotzmäulchen reloaded

Es hätte so schön sein können. Der Quietschbeu durchbrach die schlimmste Motz-Mecker-Heul-alles doof-Phase kurz vor seinem 5. Geburtstag. Seither ist er umgänglicher, geduldiger, Nervenstärker, hilfsbereiter, kompromissbereiter. Es macht Spaß mit ihm zu diskutieren und auch dann und wann von ihm, auf Grund atemberaubender Logik, von einer anderen Meinung überzeugt zu werden. Er kann Zusammenhänge zwischen Vorfällen und Launen selber erkennen und vor allem klar ausformulieren. Es ist einfach einfach mit ihm zu Fühlen, Denken, Sein. Wenn ich an dieses scheinbar grundlose Wutgeheul zurück denke, erfasst mich ein kalter Schauer. Das war so nervig, anstrengend und schien nie enden zu wollen. Was es dann ja doch tat.

Dann wurde das Löwenmaul 4. Es ist jetzt nicht so, dass er pünktlich zu seinem 4. Geburtstag völlig abdrehte, nein. Da hat er sich noch ein paar Wochen Zeit gelassen. Dann aber mit Karacho. Gefühlt heult er momentan den ganzen Tag! Morgens ist es ihm zu früh, zu hell, zu kalt. Zähne putzen ist doof, Anziehen ist doof, Schuhe selber anziehen kann er auch nicht mehr, Jacke ist doof, Weste auch, nicht als erster das Haus verlassen ist doof, die Autotür nicht alleine aufbekommen ist doof, sich nicht selber anschnallen können ist doof, Kindergarten ist doof, der Inhalt der Brotdose ist doof … ich könnte damit mehrere Seiten füllen. Und bis hier hin ist es noch nicht mal 7:30 Uhr!

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So kommt es inzwischen auch vor, dass der Herr am frühen Abend in sein Zimmer geschickt wird und eben kein Fernsehen mehr sehen darf. Zum Beispiel wenn man einen Heulkrampf bekommt, weil der Ketchup, den man in rauen Mengen natürlich selber auf sein Würstchen gedrückt hat, es wagt, den Teller zu berühren. Weil: Würstchen sind rund und rollen. Ketchup ist flüssig! Solche Dinge sind natürlich total unfair, gemein und BLÖD! Und wenn es nicht die Erdanziehung ist, dann bin ich es Schuld. Grundsätzlich. Sein liebster Satz ist derzeit: „Du lügst!“ Nämlich immer dann, wenn ich etwas sage, was er nicht hören will. Ich seufze nur noch und ignoriere. 

Bevor mir jetzt wieder irgendwelche Kuschelpädagogen damit kommen, dass man Sorgen und Nöte von Kindern IMMER ernst nehmen muss und sie nicht strafen darf, indem man sie weg schickt: Jau! Gerne. Bitte. 

Tatsächlich versuche ich immer erst herauszufinden, was genau das Löwenmaul gerade eigentlich aufregt. Das kann ein plumpes „müde“ sein, seelische Ungleichgewicht durch Wachstum, Hormonschub oder irgendeine andere alterstypische Phase. Zum Glück ist er aber durchaus in einem Alter, in der er mich versteht, wenn ich mit ihm rede. Er weiß also, dass ich ihn nicht in sein Zimmer schicke, um ihn zu bestrafen sondern damit er mal zur Ruhe kommt. Er kann auch sehr gut zwischen angemessenem und übertriebenem Jauli unterscheiden. Er kennt sich und seine Wirkung auf seine Umwelt sehr sehr gut.

Wenn trösten nicht hilft (ich tröste auch, wenn eine Wurst sich auf die Seite rollt und den Schneeweißen Teller mit garstigstem Ketchup benetzt, ja!) und anstatt auf Kompromissvorschläge einzugehen, als nächstes der Kohlensäuregehalt des Blubberwassers mit Tränen und Schreien kritisiert wird, dann ist halt mal vorzeitig Feierabend. Da wird auch der Löwenmaul keinen Schaden von nehmen. 

Wichtig, gaaaanz wichtig, ist es aber, dass man sich nach dem abendlichen Geheule und Gezehter  um das erneute Putzen von Zähnen und Anziehen von Schlafanzügen in den Arm nimmt, ganz feste drückt, sich sagt, dass man sich ganz schrecklich lieb hat, egal wie doof der Tag war und man es morgen einfach nochmal mit dieser guten Laune versucht, von der immer alle reden. Er nimmt sich das jeden Abend aufs Neue vor. Und ich bin ganz vorfreudig gespannt, wann es denn endlich soweit sein wird. Sind ja nur noch 303 Tage bis zu seinem 5. Geburtstag.

Und nur damit Sie alle Bescheid wissen: Sie sind auch alle doof! Weil das so ist! Und warum weiß ich auch nicht mehr. Wie? Widerwort??? Sie lügen doch!

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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33 Gedanken zu „Trotzmäulchen reloaded

  1. hihihi, sorry ich musste schmunzeln. Eigentlich sind sie so süß wenn sie wegen allem schmollen, wenn es für uns Mamas nur nicht so wahnsinnig anstrengend wäre. Alles wird irgendwann gut.
    Was meine mir immer an den Kopf geworfen haben: kein Freund mehr. Mein Argument das ich die Mama bin, war völlig egal.
    Wünsche weiterhin gutes durchhalten.
    Lg Steffi

  2. Es tut immer wieder gut zu wissen das es auch in anderen Familien „anstrengend“ werden kann. Dafür bin ich halt immer blöd wenn etwas anders läuft als gewollt. ;-)
    *imaginären Lotossitz einnehmen* Ohhhm, es ist alles nur eine Phase, ohhm, durchatmen *imaginären Lotossitz einnehmen off* ;-)

    *Eine Portion „noch Urlaubsgelassenheit“ rüberschieb.* – Kann ja nie schaden.

    LG, Anja

  3. Hier war zu der Zeit aktuell : „du bist gemein. Ich hab dich nicht mehr lieb!“
    Meine Antwort: „egal was jemals passieren wird, ich habe dich immer lieb!“
    Die Folge war meist nur noch größeres Gezeter ;-)

  4. Mein Sohn ist auch in dieser Phase, ganz schwierig ist zu dem das Schlafen gehen. Wir hatten das Problem schon vor 1-1 1/2 Jahren schon einmal und hatten es da in den Griff bekommen, aber nun geht es von vorne los.
    Gelassenheit ist ein Wort dass ich mir selbst ständig sagen muss.
    Du schaffst das! Es wird wieder besser werden!

    1. Oh man. Lange nicht mehr bei die gelesen. Besser gesagt ewig und nun schickt mir ne Freundin zu meinem aktuellen Leiden ausgerechnet deinen Link. Zufälle gibts. Hier ist auch schon recht lange tagtäglicher Zwergenterror. Alles falsch, alles doof und überhaupt und das gefühlte 10x in einer Minute. In JEDER Minute des Tages!!! Gerne auch hier genommen ein ich hasse dich so sehr und du bist nicht mehr mein Freund. Das soll echt irgendwann ein Ende haben? Ich dachte schon das geht bis durch die Pubertät durch so weiter. Na dann zähle schon schnell mal die Tage bis 5 und freue mich daß das nur noch 3 Monate dauert.

  5. Hier im Moment dasselbe – im Doppelpack.
    Und der Zwillinge liebste ‚Drohung‘ „ich lade dich nicht zu meinem Geburtstag ein! “ – naja vielleicht bekomme ich Samstag ha wenigstens ein Stück Kuchen in der Küche ;-)

  6. Zu Hilfe, das Löwenmäulchen ist ein paar Wochen älter als meiner, dann geh ich schonmal in mich und sortiere mir ein paar Beschwörungs- und Beschwichtigungsformeln. ;-)
    Schön zu lesen, dass es mit dem 5. Geburtstag aufwärts geht.

    Alles wird gut!

  7. Toll geschrieben und zum Schluss musste ich schon sehr schmunzeln.

    Du schriebst mal „So hat sich das Löwenmäulchen aber genau den Platz gewählt und eingenommen, der für ihn da war.“ – du hättest also ahnen „müssen“ (Achtung: Ironie), dass er in die Trotzphase kommt, sobald der Quietschbeu sie hinter sich lässt ;-)

  8. Haha! Bei uns fielen der 4. Geburtstag und die Kitaschließzeit zusammen. Ich hatte das also vor ein paar Wochen 24/7, yeah. Dazu ein wenige Wochen altes Baby. Ich hab im Freundeskreis Umfragen gemacht. Die hatten auch alle 4jährige Drachen. Da war ich erleichtert. Kennst du das Buch „Sagasu“? Unbedingt lesen! Wenn ich es dem Großen vorlese, ringe ich mit den Tränen vor Rührung. Jedes Mal! Es ist so zauberhaft! Und gibt Kraft in diesen Phasen. Wirklich. Viele Grüße

  9. Hey, wir haben nur noch etwa 4 Monate bis zum 5. Geburtstag, ist ja gar nicht mehr so lange.
    Mein momentaner Lieblings-Satz meiner Großen: „Du bist nicht der Bestimmer!“

    Lieben Gruß
    Marietta

  10. Hier ist es keinen Deut besser, allerdings sind’s andere Auslöser … schließlich haben wir die Trotzphase schon ein paar Jahre hinter uns und befinden uns in den Hormonwellen der Pubertät ;-)

  11. Liebste MamaMiez!
    Es tut sooo gut in einen Spiegel zu schauen – denn diese Szenarien kenn ich zu gut! Ein Hoch auf Ihre Ehrlichkeit und Ihren wunderbaren Schreibstil! (P.S. Schon mal über ein Buch nachgedacht?)
    Irgendwann hab ich mal ausgerechnet dass ich wohl 2038 die Beine wieder hochlegen werd – dann ist mein 2. Bub endlich 25 Jahre alt und wohl aus dem Gröbsten raus.

    Liebe Grüße von mia :)

  12. Sehr toller Artikel! Ich hab mehrfach gelacht und mich sehr an meinen Sohn erinnert gefühlt… Er ist jetzt 4 Jahre und 9 Monate alt – also nicht mehr lange bis zu seinem 5. Geburtstag!!! Jipeeh!!!

  13. Oh nee! Das dauert bis sie FÜNF werden? BM wird am Sonntag vier Jahre alt und steckt ebenfalls in einer schlimmen Jaul- und Nölphase und treibt mich regelmäßig an meine Grenzen. Wir schaukeln uns oft gegenseitig hoch und ich merke, dass ich selbst schon viel öfter meckere, wo ich früher gelassen geblieben bin. Bitte nicht noch ein Jahr so!

  14. Ein wundervolles Gedicht, was mir immer bei solche Phasen geholfen hat:

    Heute bin ich wild und böse,
    bin ein Wolf im grauen Fell,
    bin ein Drache, bin ein Löwe,
    und ich beiße und ich bell!
    Ich zertrete zwanzig Schnecken
    Und ich mache ganz viel Krach
    Schneide Löcher in die Decken,
    mache meine Schwester wach!

    Heute bin ich wild und böse
    Und ich gehe nicht ins Bett,
    Knalle Türen mit Getöse
    Bin ganz kratzig, bin nicht nett.
    Ich geb heute keine Küsse
    Und ich schmuse nicht herum.
    Ich bin stark, ich knacke Nüsse
    Und ich finde Schmusen dumm

    Aber endlich kommt der Abend
    Und das Bösesein ist schwer.
    Und ich stehe in der Küche
    Und ich bin kein Löwe mehr.
    Nimm mich bitte in die Arme!
    Gib mir einen lieben Kuss!
    Ich bin froh, dass ich jetzt endlich
    Keinen Wolf mehr spielen muss.

    Jutta Richter

      1. Finde ich auch. So wahr und so mitfühlend. Wie gesagt, mir hilft das immer, wenn Mateo mal wieder eine solche Phase hat. Jutta Richter schreibt übrigens ganz wunderbare und kindergerechte Gedichte, so als Tipp. Ich kann mir vorstellen, dass es dem QB gut gefallen könnte.

  15. Hier noch ein paar:

    Schmeckt

    Haferflocken
    Zucker
    Wasser
    und dazu Kakao

    umgerührt
    in einer Tasse
    schmeckt wie
    Gelb und Blau

    schmeckt nach Trösten
    schmeckt nach Streicheln
    schmeckt nach Mamas Sachen
    schmeckt nach einer letzten Träne
    und dem ersten Lachen

    Oder:

    Ohne dich

    Ohne dich ist Wüstenland
    ohne dich ist gar nichts schön
    ohne dich ist abgebrannt
    ohne dich verloren gehen

    Ohne dich ein Tränental
    ohne dich kein liebes Wort
    ohne dich es war einmal
    ohne dich für immer fort

    Mit dir alles Zuckerzimt
    mit dir gelbes Lachenland
    mit dir leiser Morgenwind
    mit dir gehe ich Hand in Hand

    Mit dir ist ein Wellenschlag
    mit dir warm und weich und gut
    mit dir immer Sommertag
    mit dir habe ich Riesenmut

    Und noch ein letztes:

    Farbverband

    Sage mir ein rotes Wort
    spiel mir einen blauen Klang
    koch mir was im gelben Topf
    denn ich bin ganz grau und krank

    Mal mir doch den Himmel grün
    und die Sonne violett
    lass mir weiße Rosen blühn
    streu mir Bonbons auf mein Bett

    Gib mir deine helle Hand
    leg sie leicht auf mein Gesicht
    mach mir einen Farbverband
    denn sonst heilt mein Kummer nicht

  16. Ganz toller Text. Das ist das wichtige Gleichgewicht zwischen dieser „Kuschelpädagogik“ wie du sie nennst und „sein Kind kennen“, eben dieser Realität.

    Und die Schmoll-Schnute ist entzückend! :D Aber sicher nur auf einem tonlosen Foto. :D

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