„Ich hab zuerst geredet!“

Wie schon mehrfach erzählt ist der Quietschbeu Marke Dauersendung. Er hat immer, wirklich immer, etwas zu erzählen. Und wenn er nichts zu erzählen hat, dann formuliert er seine Gedanken aus. Oder führt Dialoge mit und unter Lego-Männchen. Er ist wie so eine Soundbox, die ununterbrochen jeden Handgriff vertonen muss. X-Fighter, Laserschwertkämpfe, Start und Landung des Millenium Falcon, Hyperraumsprünge (wenn sie denn mal funktionieren) … alles muss mit dem passenden Sound untermalt werden. Wir halten also fest: entweder er redet, er singt oder er macht *zischwrooomkrawuuum*-Geräusche. Mit viel Übung habe ich mir einigermaßen gut antrainieren können, ihn nicht ununterbrochen wahrzunehmen. Das war wirklich nicht ganz leicht, denn wie ich schon mal schrieb, führt irgendwas in seiner Stimmfarbe dazu, dass ich nur noch ihn höre, wenn er spricht. Egal wie nah und fern er mir ist und egal ob ich mich gerade in einem anderne Gespräch befinde oder nicht.

Dem gegenüber stand das Löwenmaul. Eher wortkarg und bei weitem nicht so laut. Er braucht manchmal etwas, bis er seine ultra langen und verschachtelten Sätze raus gebracht hat. Man spürt richtig, dass er erstmal nachdenkt bevor er etwas sagt. Dass er etwas zu sagen hat, kündigt er mit einem „Mama?!“ an. Dann warte ich bis zu einer halben Minute und dann kommt ein 3 Minuten langer Satz.

Das Problem hierbei können Sie sich wahrscheinlich selber ausrechnen. In der halben Minute, in der das Löwenmaul seinen Monolog zurecht rückt und parat legt, fällt dem Quietschbeu mit hundertprozentiger Sicherheit irgendwas wichtiges oder unwichtiges ein, das er unbedingt sofort loswerden will. Das Löwenmaul wiederum wird davon aus dem Konzept gebracht, vergisst was er sagen wollte und kreischt dann in einer Tonfrequenz, die kurz vor Fledermaus steht: „Ich hab zuerst geredet!

Nun habe ich folgendes Gespräch schon rund 1000 mal geführt. In der letzten Woche.

„Quietschbeu, das Löwenmaul wollte mir gerade etwas erzählen.“ 
„Aber er hat doch gar nichts gesagt.“
„Doch, er wollte mir etwas erzählen.“
„Ich hab nix gehört.“

Während dessen kreischt das Löwenmaul immer wieder „Ich hab zuerst geredet! Ich war zuerst dran!„, beginnt schließlich vor Frust zu heulen und wird vollkommen unverständlich. Ich versuche ihn dann zu beruhigen und erkläre, dass ich ihn nicht verstehe, wenn er so weinen muss. „Aber ich kann nicht aufhören!“ Meist hilft dann eine feste Umarmung. Die Zeit nutzt der Quietschbeu dann, um mir irgendwas zu erzählen, dem ich nicht aufmerksam folgen kann, weil mir das Löwenmaul ins Ohr schnieft und schluchzt. Es ist frustrierend. Für alle Beteiligten.

Nun schrieb ich weiter oben, dass dem Quietschbeu das Löwenmaul gegenüber stand. Weil: jetzt haben wir ja auch das Wasserfall-artig quasselnde Meedchen, dem es völlig pupsegal ist, ob und wer zuerst geredet hat. Wenn sie was zu erzählen hat (und das hat sie 80% des Tages), dann erzählt sie das auch. Sie ist da eher Typ Quietschbeu. Dauersendung.

Während der Quietschbeu ebenfalls frustriert reagiert, wenn die kleine Schwester einfach über ihn drüber sendet, interessiert sie das einfach ganz und gar nicht. Das geht dann soweit, dass der Quietschbeu immer lauter und lauter wird, fast schreit, das Löwenmaul kreischheult „Ich hab zuerst geredet!“ und das Meedchen immer wieder „Mama, wann kommt Papa? Gehn wia einkaufe? Daf ich mit fahn? Kaufe wir Winneln? Daf ich ein Bötchen?“ schnattert. Ich bin dann <— so —> kurz davor, dass mir der Kopf wie eine Melone, die man aus 5 Meter Höhe fallen lässt, explodiert. Ja, stellen Sie sich das ruhig mal so bildlich vor und lassen Sie es auf sich wirken. Dazu können Sie auch gerne ihre Stereoanlage auf ein Volumenlevel stellen, dass ihnen die Augäpfel in die Schädel drückt. Bitte. Gerne. Danke.

Viel mehr, als sehr laut und deutlich „STOP!“ zu rufen, bleibt mir dann gar nicht übrig. Ich will mal sehen, wie da jemand mit „Liebe Kinder, ich weiß, ihr wollt alles etwas sagen, aber wir müssen eine Reihenfolge finden, weil wir nicht alle gleichzeitig reden können und ich euch leider auch nicht allen gleichzeitig zuhören kann“ weiter kommt. Gibt ja Menschen, die glauben, dass das funktioniert (insert schallendes Gelächter meinerseits here).

Jedenfalls verstummen sie dann alle für eine Millisekunde. Die muss ich dann nutzen, um ebenfalls laut ein „Jetzt rede ich!“ nachzuschieben. Erneut aufflammenden Redeansätzen vom Meedchen oder dem Quietschbeu werden mit einem „Ähähähähä!“ und einem gehobenen Zeigefinger Einhalt geboten. Und dann ist da kurz genug Ruhe und Aufmerksamkeit, um den verständnisvollen und pädagogisch sicher sehr wertvollen Satz von „Ich hab Verständnis, aber …“ anzubringen. Die Kinder gucken mich mit großen Augen an, nicken und versuchen augenblicklich wieder alle gleichzeitig loszureden. Ich unterbreche erneut und vergebe dann eine Sprechreihenfolge.

Manchmal, an guten Tagen, halten sie sich daran. Manchmal, an allen anderen Tagen, beginnt das ganze Spiel wieder von vorne. In Runde 3 muss ich dann immer erstmal ganz dringend aufs Klo.

Nach wie vor lassen die Kinder sich nicht freiwillig trennen. Sie kleben wie kleine angelutschte Gummibärchen aneinander. Für ein Vieraugengespräch ist somit so gut wie nie Gelegenheit. Daher sind die kurzen Gespräche, wenn sie schon im Bett liegen, ganz wichtig. Jeder erzählt mir dann noch mal etwas, was ihm gerade wichtig ist oder was ihn gerade beschäftigt. Beim Löwenmaul kommen dann ganz oft wirklich erstaunliche Gedankengänge zu Tage. Manchmal glaube ich, dass er neben seinem dauerquasselnden Bruder, der alles ungefiltert wieder gibt, einfach viel mehr Zeit zum Nachdenken und Abwägen von wichtig und unwichtig hat und dadurch auch gelernt hat, sich viele Dinge selber zu erschließen.

Worum ich das Löwenmaul wirklich sehr sehr sehr beneide (auch wenn es mich manchmal selber wahnsinnig macht) ist das Talent, seine auditive Wahrnehmung völlig zu fokussieren oder sogar abzuschalten. Lärm macht ihm gar nichts aus. Er kann in einem Stimmengewirr von 10 Personen immer noch einem Lied lauschen, im knallvollen Familiencafé einfach so ein Bild ausmalen oder trotz herumtobender Geschwistern einer Sendung im Fernsehen folgen. Wir sagen dann immer: „Der Löwenmaul, der ist wieder im Tunnel.“ Ihn dann anzusprechen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, ist so gut wie nie erfolgreich. Meist braucht es eine Berührung, damit er wieder auftaucht. Faszinierend, kann ich Ihnen sagen.

Und um ganz ehrlich zu sein: ich würde auch nichts dagegen haben, wenn das Meedchen da mehr vom Löwenmaul, als vom Quietschbeu hätte. Nun ja, hätte, hätte, Fahrradkette.

***

Zum Abschluss des Tages habe ich noch das hier für Sie. Der Quietschbeu lag bereits einige Zeit im Bett, als dieser Gesang ins Wohnzimmer schallte. Sie dürfen genau einmal raten, was er gerade hörte.

 

Ton! Sie brauchen unbedingt Ton! Und dann lautet die Quizfrage: was hört er da? 

Ein von Pia Drießen (@mamamiezblog) gepostetes Video am

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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21 Gedanken zu „„Ich hab zuerst geredet!“

  1. Also ich habe ja nur ein Kind im Dauersendemodus, aber es kostet mich schon alle Geduld, die ich habe und meist sogar noch mehr, so dass ich kurz austicke. Und ich habe wirklich wirklich Angst, dass C3 genau so wird. Denn wenn die einmal quasselt… Du hast also alle meine Bewunderung, dass Du oft so gelassen bleiben kannst!!

  2. Oh jeh der quietschbeau ist echt im starwars rausch. Mein freund ist übrigens Lego Freak und er fand es sehr erstaunlich dass ein 5 jähriger den millenium Falcon zusammenbaut !!!!!

  3. Ich bin ja eher so Typ Quietschbeu und Meedchen. *räusper* Finde das Löwenmaul aber beeindruckend.

    Ich bin der festen Überzeugung, dass ihr tief im Stammbaum italienische Gene habt, die bei den beiden Quasselstrippen durchkommen. Das würde es mit einem Schlag erklären. Die sind nämlich oft genauso.

    Aber wie dir das jetzt helfen soll, weiß ich leider auch nicht. :D

  4. Hallo Pia,
    auch wenn ich Dein Dilemma voll und ganz verstehe, musste ich beim Lesen mehrmals laut lachen. Galgenhumor, ich weiß.
    Aber Du hast meine volle Anteilnahme.
    Liebe Grüße

  5. *g* so so, wir singen die Botschaften im StarWars Sound. Sehr cool.

    Das Löwenmaul hört sich an wie ich. Ich konnte als Kind schon komplett abschalten, besonders wenn ich gelesen habe. Und kann es heute noch. Da muss man mich auch anstubsen wenn man meine Aufmerksamkeit haben will. Und diese völlige Abschalten ist wohl auch der Grund, warum ich problemlos im Großraumbüro arbeiten kann. Selbst wenn da die Post abgeht.

    Gleich 2 so Dauerbeschaller ist echt eine Herausforderung. Ich wünsche weiterhin starke Nerven und genug Rückzugsmöglichkeiten, und sei es nur für ein paar Minuten.

    Ganz liebe Grüße und ein wunderbares neues Jahr,
    Tanja

  6. Oh ja, so einen Dauersender habe ich auch :-)
    Der ist zwar erst 15 Monate, hat aber schon seine eigene „Sprache“, in der er brabbelt. Duktadididada, dareidarei, bipti duda. Ohne Punkt und Komma. Stunde um Stunde.
    Keine Ahnung, was er sagt, aber er sagt viel ;-)

  7. Hihi, behalte gute Nerven!
    Die Situation kenne ich gut.
    Ich hatte einen großen „Herrn Warum“ und einen kleinen „Herrn Aber“;
    abends regelmäßig Ohrensausen und später als einzig funktionierende Lösung eine Schachuhr (Papa sei Dank!) am Küchentisch.
    Spannend ist im Rückblick vor allem die Schul- und Studienlaufbahn :)
    Stell dir mal vor, ein Lehrer hat 5 oder 7 solche Kids in der ersten Klasse :D
    Manchmal taten mir die Lehrer meiner Beiden auch ein wenig leid.

    Liebe Grüße
    Helga

  8. Hihi. *ähm* und vollstes Mitgefühl natürlich!
    Ich habe bisher nur eine Dauerschnackerin und meistens sind die Duplo-Männchen die Leidtragenden. Und der Mann, der die Dauersendung auch ganz schlecht abkann.
    Scheint bei uns in der Familie liegen: meine Großmutter verursacht „blutenden Ohren“, wie meine Schwester es mal ausdrückte, mein Vater hat mir vorm ersten Kaffee schon mal das halbe Internet nacherzählt. Der hat übrigens gleichzeitg diese faszinierende Eigenschaft vom Löwenmaul, komplett abzuschalten. Sehr beneidenswert.

  9. So viele wollen einem erzählen, dass man mit Kindern doch in jeder Situation in Ruhe reden kann. Bis sie es selbst mal probieren durften, gegen zwei oder mehr Quasselstrippen anzukommen. Habe wunderbar gelacht und kenne die halbe Minute Pause von meinem Junior nur zu gut. Meistens bastelt er dann an einem Satz in dem ein Wort vorkommt, dass irgendwie nicht so richtig hineinpassen will. Dabei soll der doch perfekt sein. Seine große Schwester scharrt derweil schon mit den Quasselhufen, um endlich auch was sagen zu dürfen.

    LG Tina

  10. Mir erzählte vor Kurzem eine Freundin, dass sie gelesen hätte, ein Geschwisterstreit sei gut dadurch zu lösen, dass man argumentiert „wenn ihr euch nur vernünftig darüber unterhaltet, findet ihr gemeinsam eine Lösung…“!
    Mein Mann und ich habe lange nicht mehr so gelacht (unsere Jungs sind 2(!!) und 7 – kannste vergessen). Und beides so Plaudertaschen.

    Ich halte es im Notfall dann eher mit Cressida Cowells Methode (Autorin zu „Drachen zähmen leicht gemacht“, noch schöner als die darauf basierenden Filme & Fernsehserie!): Die goldene Regel des Drachenzähmen ist … SCHREI IHN AN! Dann ist für einen Moment Ruhe und Mama darf auch mal wieder was sagen…

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