Wenn das Wutmännchen brüllt

Der Mittlere, der scheint oft wütend zu sein. Jedenfalls kann er von gleich auf jetzt völlig aus der Hose springen. Das HB-Männchen ist nichts dagegen. Das passiert zwischen 2 und 10 Mal am Tag. Aber wissen Sie, in Wahrheit ist der Mittlere gar nicht wütend. In Wahrheit wohnt ein kleines Männchen in ihm drin. Das Wutmännchen. Und das wird manchmal, wenn was blödes passiert oder es seinen Willen nicht  bekommt, ganz schrecklich groß. Es übernimmt quasi die Herrschaft über den Mittleren und brüllt, kreischt und schreit dann aus ihm raus.

Also haben der Mittlere und ich uns überlegt, wie wir das Männchen wohl wieder klein bekommen können, denn wenn das Wutmännchen ganz groß ist, dann verstehe ich den Mittleren nicht mehr. Und das ist kein Witz. Egal was er sagt/schreit/heult, er könnte auch chinesisch sprechen. Ich verstehe wirklich rein gar nichts mehr.

Wenn der Mittlere nun also vom Wutmännchen überrannt wird, dann mache ich ihn darauf aufmerksam. Ich sagte so Dinge wie: „Los, Wutmännchen, geh weg. Ich versteh den J. nicht mehr.“ oder „Versuch mal das Wutmännchen wieder klein zu machen, damit ich verstehe, was Du sagen/haben willst.“ Jetzt können Sie ruhig lachen, über soviel albernes Geschwurbel, aber das funktioniert tatsächlich. Zudem hat das Ganze noch den Vorteil, dass ich dem Mittleren erklären kann, dass ich gar nicht ihn schimpfe, sondern das Wutmännchen. Ich gebe ihm so quasi die Möglichkeit, seinen Frust von seiner Persönlichkeit getrennt wahrzunehmen.

Wut ist grundsätzlich nichts schlimmes oder verwerfliches. Aber sie hemmt einen doch sehr, wenn man sie (noch) nicht steuern oder kanalisieren kann.

Für den Mittleren ist es viel einfacher, sich ein kleines Männchen mit feuerrotem Kopf, schreien und kreischend, vorzustellen und ihm Einhalt zu gebieten, als dieses ungreifbare Gefühl namens Wut zu steuern. Über kurz oder lang soll das eine aber zum anderen führen.

Heute Abend unterhielten wir uns über den Tag des Mittleren. „Und was hat Dein Wutmännchen heute so gemacht?“
„Hm, das war manchmal ganz schön groß, aber ich hab es fast jedes Mal besiegt.“
„Weißt Du denn, was das Wutmännchen groß macht?“
„Wenn ich müde bin, dann bin ich nicht so stark und dann kann das Wutmännchen ganz groß werden.“
„Und warum wird das groß?“
„Ach, mal so mal so. Manchmal nur so, aus Langeweile.“

Und dann sagt er: „Ich mag das Wutmännchen nicht. Das tut mir weh!“
„Wie tut Dir das denn weh?“
„Es tritt mich von innen und tut meinem Bauch, meiner Brust und meiner Haut weh.“

Das hat mich ganz traurig gemacht. Denn ich glaube wirklich, dass er unter seiner Wut oft leidet. Er ist ja ein introvertiertes HSK, anders als sein Bruder. Er passt sich im Kindergarten oder bei Freunden so krampfhaft an, ist immer freundlich, hilfsbereit und anspruchslos, so dass sich seine wahren Gefühle und Emotionen in ihm anstauen. Er ist daher immer deutlich schneller überreizt und erschöpft, als sein extrovertierter Bruder.

Daheim, in vertrautem Umfeld und bei den Personen, von denen er genau weiß, dass sie ihm nicht lange böse sind oder ihn weg schicken, platzen dann all diese angesammelte Emotionen aus ihm raus. Das Wutmännchen wächst und tobt und kreischt und heult und schreit. In Wahrheit fühlt der Mittlere sich aber klein und müde und hilflos. Also grenzen wir das Wutmännchen von ihm ab und bekämpfen es gemeinsam.

Die Kleine, die hat übrigens ein Kreischmännchen. Leider ist das ihr bester Freund und mit dem verbündet sie sich gerne gegen den Rest der Familie. Na ja, man kann halt nicht alles haben.

Print Friendly, PDF & Email
Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
Beitrag erstellt 4659

21 Gedanken zu „Wenn das Wutmännchen brüllt

  1. Gerade heute Abend hatte ich mit meinem Großen (4) ein Gespräch dazu. Er wollte wissen, wie denn die Wut in ihn reinkommt. Denn auch er ist im Kindergarten der immer gut gelaunte und hilfsbereite. Ich habe ihm erklärt, dass er einen Wutberg in sich hat, der sich aus lauter kleinen Steinchen zusammensetzt und den man dann erstmal wieder abbauen muss. Und hilft dabei übrigens sehr sein „Wut-Buch“ (Wohin mit meiner Wut?), vielleicht auch für euch interessant. Danke für den Artikel!

  2. Im Bauch meiner dreijährigen Tochter toben häufig die „Wutzwerge“ oder wie sie sie sagt die „Hutzwerge “ ;)
    Um die wieder los zu werden muss sie kräftig husten, dann fliegen sie raus und ich kann sie packen und aus dem Fenster in die Freiheit entlassen.Manchmal müssen wir den Vorgang auch mehrmals wiederholen , vom wutzwerg Papa , bis zum wutzwerg baby.
    Das klappt auch oft richtig gut , es sei denn sie wird von den wahren Dramen des Lebens heimgesucht, wie neulich als das fischstäbchen immer wieder von der Gabel rutschte, da ließen die Wutzwerge 1 1/2 Std nicht zum gehen bewegen ;)

  3. Ich erkenne gerade unsre Süße wieder.

    Immer zu allen lieb, passt sich an, ist immer beherrscht, hilfsbereit und extrem erpicht darauf im KiGa, beim Kinderturnen, in der Musikstunde zu gehorchen, daheim ist dann ratzfatz der Teufel los. Logisch… bei Mama kann man jegliche Emotion raus lassen, die hat einen trotzdem lieb. Anstrengend ist es trotzdem.

    Vielleicht wohnt der kleine Bruder vom Wutmännchen ja ab und zu bei uns. Ich versuche das mal bei unsrer Süßen.

    Aber wieder sehr, sehr, sehr schön wie Du einen Weg findest Deinen Kindern Emotionen zu erklären, der individuell zu ihrem Wesen passen. Es erdet mich oft solche Ansätze hier zu lesen, daheim versuchen umzusetzen und dadurch ein entspannteres Miteinander zu haben.

    Danke

  4. Danke vielmals für deinen Bericht. Das werde ich gerne probieren, denn auch mein Sohn ist ein HSK und die Wut kocht förmlich über ihm… und ich verstehe auch nicht mehr was er eigentlich sagen will. Das Wutmonster haben wir auch schon gelesen, das finde ich auch ein tolles Buch. Muss es wieder mal hervor holen.

  5. Oh das kenne ich so gut. Gestern war auch wieder so ein Tag. Kindergarten, danach Ballett. Währenddessen merkte ich bereits, wie sie müder wurde und die Fäuste ballte, das war so 5 Minuten vor Schluss. Umziehen ging gerade noch so. Im Auto war Ruhe und zu Hause brach es aus ihr heraus. Alles war falsch, ihre Schwester durfte am Besten nicht mal in ihre Richtung gucken. Essen war falsch. Dann richtig. Zu heiß, dann zu viel gepustet. Du kennst das, nehme ich an. Und alles auf „weinisch“, was hier leider niemand spricht.

  6. Ich musste bei dem Geschilderten gerade an „Alles steht Kopf“ (neuer Film von Pixar) denken. Da gibt es nämlich auch ein kleines Männchen welches die Wut darstellt mit feuerrotem Kopf.

  7. Wirklich faszinierend wie anders man mit Kindern arbeiten kann, wenn man gewisses Vorwissen hat was Hochsensibilität und Intro/Extrovertiert angeht. Immer sehr spannend was du so berichtest!

  8. huhu,
    die Große hatte da auch so eine sehr langanhaltende Phase… wir hatten das Buch von der Motzkuh, was sie sehr geliebt hat und das kleine Wutmonster ist auch jetzt noch sehr beliebt!
    Vielleicht ja auch etwas für euch?

    Liebe Grüße

  9. Ich finde es immer wieder ermunternd, dass es anderswo auch so ist. Wir haben auch einen kleinen willensstarken Mann daheim, der hin und wieder zum Terrorschlumpf mutiert. Meist geschieht es, wenn er in einem Entwicklungsschub steckt. Aber auch sonst platzt es mal aus ihm heraus und dass er dann mit sich selbst nicht zufrieden ist, merken wir. Er macht es nicht extra. Er kann es noch nicht immer kontrollieren. Irgendwann wird es besser.

  10. Meine Kleine (3) ist im Moment auch extrem wütend. Ich hab inzwischen bemerkt, dass sie in solchen Situationen nicht mehr weiß, wie sie sich selbst unter Kontrolle halten soll – also im Sinne von körperlich unter Kontrolle halten. Sie fühlt sich so unwohl, dass sie am liebsten immer irgendwo dagegenschlagen oder was kaputtmachen würde. Wir haben nun ein „Wuttuch“ – ein kleines Handtuch oder Küchentuch, was halt grad greifbar ist, da darf sie dann reinbeissen. Ausserdem, wenn das gar nicht hilft, halt ich ihr meine Hand hin und sie darf dann da drauf hauen….da hat sie dann das Gefühl, dass sie selbst bestimmen kann, wo ihre Wut hingeht und das hilft. Einmal hatten wir schon beim Aufstehen in der Früh so eine Situation, da bin ich dann mir ihr, wie sie sich endlich beruhigt hatte, einfach noch mal ins Bett gegangen und hab ihr gesagt, wir schlafen jetzt noch einmal ein, dann wachen wir noch einmal auf und fangen den Tag neu an – das hat auch Wunder gewirkt.

  11. Lustig. Der Kleine ist bei uns vom Temperament her eher ich, also von 0 auf 180 in no time (Team Clingon ;-)).
    Als ich ihn gestern mal dezent gefragt habe, ob sich das so anfühlen würde, wie wenn ein kleines Wutmännchen in ihm toben wurde, ist er explodiert „Mami, denkst Du, ich bin doof? ICH BIN WÜTEND, nicht ein doofes kleines Männchen, dass du dir ausgedacht hast, damit ich mich leichter beruhige!“
    Nun denn. Kein Wutmännchen bei uns. Oder ein sehr reales, 123cm grosses.

Schreibe einen Kommentar zu Frau Bruellen Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben