Von apokalyptischer Willensstärke

Heute ging Mimi¹ ohne Hose in den Kindergarten. Selbstredend also auch ohne Schuhe. Dafür aber mit Socken. Eine Jacke verweigerte sie zunächst, verlangte dann aber kurz vor der Schockstarre nach eiskaltem Windstoß doch noch ihren Anorak. Aber halt ohne Hose.

Ich weiß echt nicht, wie lang und wie ausdauern dieses Kind uns noch prüfen will. Dass meine Kinder sehr willensstark sind ist ja kein Geheimnis. Aber muss denn jedes Kind noch einen drauf setzen? Beim Entwicklungsgespräch entschuldigte sich ihre Erzieherin für das Wörtchen stur, das im Bericht der Kollegin stand. Ich lachte herzhaft und fragt, ob ihr ein passenderes Wort einfallen würde. Sie grinste nur. Denn wenn wir ehrlich sind ist Mimi die personifizierte Sturheit.

Auch versucht sie immer wieder Regeln galant zu umgehen. In unserer Kita gibt es ein großes Whitboard, auf dem für jede Ecke (Puppen-Ecke, Bau-Ecke, Lego-Ecke, Lernwerkstatt, etc.) ein Feld vorgesehen ist. Jedes Kind hat einen Magneten mit seinem Foto darauf und platziert diesen dann im Feld für die Ecke, in die es eben gehen möchte. Sofern dort noch Platz ist. Wie viele freie Plätze eine Ecke hat, wird durch kleine grüne Kreise angegeben. Sind diese alle belegt, ist die Ecke voll. Das schöne an der Tafel ist, dass die Kinder nicht mehr Bescheid sagen müssen, wo sie sind. Sie können und dürfen sich also weitestgehend selber organisieren. Ein großartiges Konzept, das ich sehr begrüße.

Nun ist es so, dass Mimi am liebsten immer in der Puppen-Ecke sein möchte. So hat sie schon mal bei Betreten des Kindergartens als erstes ihr Foto auf das Puppen-Ecken-Feld geheftet und sich dann an den Frühstückstisch gesetzt. Wer jetzt an weiße Strandliegen und große Badetücher denken muss, der hat’s verstanden. Und nein, das geht so natürlich nicht. Mimi hat es trotzdem ein paar Mal probiert, flog leider aber immer auf.

Als nächstes dekorierte sie die Tafel einfach um, weil kein Platz mehr in der Puppen-Ecke war. Die Erzieher suchten daraufhin ein Kind, dass laut Tafel im Gruppenraum sein sollte, in Wahrheit aber in der Puppen-Ecke war. Ebenso wie Mimi, die sich einfach mal aufs Brett gemogelt hat.

So ist Mimi halt. Max² käme nie auf die Idee solche Regeln einfach zu umgehen. Er würde viel eher in der Nähe der Tafel darauf lauern, dass ein Platz frei wird. Aber so wichtig ist es ihm dann meist doch nicht. Er findet überall Beschäftigung.

Vergangene Woche hatte Mimi das erste Mal Puppen-Ecken-Verbot, weil sie sich vehement weigerte dort aufzuräumen. So wie sie sich heute weigerte ihre Schuhe anzuziehen. Dann kann man aber halt nicht raus gehen. Was Mimi auch erstmal total egal ist. Irgendwann, wenn sie keine Aufmerksamkeit mehr bekommt, wird ihr das dann aber doch zu langweilig und sie steht plötzlich in Schuhen und Jacke im Außengelände, lacht und tut so, als wäre nie etwas gewesen.

Ignorieren ist sowieso die beste Lösung, wenn ich merke, dass es ihr ums Prinzip und nicht um ein echtes Bedürfnis geht. Das war und ist schon bei Max immer so gewesen. Also, ich ignoriere nicht die Kinder, sondern deren Verhalten. Mitunter kann das aber ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen. Inbesondere bei zwei so willensstarken Kindern wie Max und Mimi (Es ist nicht so, dass Alex³ nicht willensstark wäre. Der hat aber sehr früh da Konzept „Kompromisse finden“ verstanden und zudem ein besseres Gespür dafür, wann ich was ernst meine und wann ich etwas nur so dahin sage).

Leider habe ich diese Zeit morgens nicht. Weshalb ich sie eben oft ohne Jacke und Schuhe zum Auto und dann auch in den Kindergarten trage. Ihr dürft jetzt ruhig mir dem erhobenen Zeigefinger winken. Ich wink Euch auch freundlich zurück.

Tatsache ist, dass ich mit jedem Kind das ich mehr bekam, weniger Energie und Lust hatte, unnötige Diskussionen zu führen. Sie wird schon irgendwann Schuhe und Jacke tragen. Freiwillig. Mit Max habe ich über ein Jahr jeden Morgen einen „Ich zieh das nicht an!„-Kampf geführt, auch wenn wir sein Kleidermännchen abends gemeinsam zusammen gesucht haben. Wofür das Ganze? Heute zieht er an, was ich ihm hinlege oder tauscht einzelne Teile selber aus. Wenn ich da an die vielen miesen Morgende, die Streitereien und oft auch Tränen denke … das war’s nicht wert.

Mir ist es daher ziemlich pups, ob man mich für nachlässig oder inkonsequent hält. Hier geht es nicht um Leben und Tod und von 5 Metern ohne Jacke und Schuhe durch die Kälte getragen werden ist auch noch keiner krank geworden. Also keins von meinen Kindern. Die sind aber auch – toi toi toi – sehr robust.

Max und Mimi. Mimi und Max. Sie sind sich so erschreckend ähnlich und doch legt Mimi auf alles noch eine Schippe drauf. Nur schmollen tut sie so gut wie nie. Dafür heult/kreischt/schreit sie gerne ausdauern. Wenn ich so ein mini bisschen ehrlich sein soll, so hat mir das Schmollen von Max doch besser gefallen. Das hab ich nun davon. Ich wollte keinen Dauerschmoller mehr. Jetzt hab ich Mimi.

Bei allen Nerven, die sie mich kostete: sie ist schon toll. Willensstark, ausdauernd, humorvoll, vorwitzig, clever und ganz oft ganz schrecklich niedlich. Im Grunde ist also alles eine Frage des Blickwinkels, der eigenen Nerven und der Zeit.

¹ die Kleine; ² der Mittlere; ³ der Große;

 

 

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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21 Gedanken zu „Von apokalyptischer Willensstärke

  1. Hahaha, wir sollten neulich die Stärken unseres letztgeborenen Kindes in ein Portfolio-Blatt eintragen. Einen Moment gegrübelt … und dann kam alles rein, was uns Zuhause auf die Palme bringt: Willensstärke, ungeheure Mobilität, Ausdauer, Zielstrebigkeit,… Es ist immer die Sichtweise. ;-)

  2. ???….die lieben Kinder sind sooo süß und irgendwie doch alle gleich. Meine liebe 4 jährige zieht partout keine Buxen an. Tja, dann halt nicht. Liebe Grüße und weiterhin starke Nerven.

    1. Hallo Manuela,

      ich verspreche Dir, das geht wieder vorbei! Hatten wir hier auch und Freundinnen hatten das auch. Es geht vorbei;-)

      Gruß
      Andrea

  3. Herrlich, könnte hier bei uns gewesen sein!

    „Tatsache ist, dass ich mit jedem Kind das ich mehr bekam, weniger Energie und Lust hatte, unnötige Diskussionen zu führen. “

    Und die Blicke der anderen Eltern, sieht man auch immer weniger, weil man mittlerweile einfach das nötige Selbstbewusstsein hat:)

  4. Haha wie passend, mein mittlerer Sturkopf ging heute einennen Meter auf Socken vor die Tür, dann war ihm kalt an den Füßen und er nahm doch freiwillig die Schuhe, die der Papa wohlwissend in der Jackentasche hatte.
    Ich diskutiere auch schon lang nicht mehr. Wer sich nicht anzieht geht eben nackt. Da wir mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Kita und überall hin fahren wäre das dann ein besonderer Spaß *g*
    Bislang haben sich die Jungs aber immer spätestens an der Haltestelle die letzten Klamotten angezogen und ganz nackt hat auch noch nie einer das Haus verlassen, höchstens eben mal ohne Schuhe .. oder Jacke. ..ich glaub ohne Hose war auch schon mal.
    Die Minidame ist knapp 1 1/2 die wird zur Not unter Gemecker in ihren Overall gesteckt…aber so wie ich sie bisher einschätze wird sie auch eher noch „ne Schippe drauf* legen… nun ja das gibt immerhin witzige Anekdoten für Familienfeier und so ;p

  5. Oh Mann, ich seh grad meine Tochter in der Zukunft XD Die ist auch das sturste Wesen des Universums (offenbar muss sie den Titel mit deinen zweien teilen) und gerade das ohne Jacke / Hose usw kenn ich auch nur zu gut. Ebenso die Kämpfe die immer sehr sinnlos sind… gut zu lesen dass es doch irgendwann besser wird ;)

    LG Frida

  6. Dieser Beitrag spricht mir aus der Seele! Meine Tochter ist auch 3,5 Jahre alt und wir beißen uns an ihrer Sturheit die Zähne aus. Ihr Kreischanfälle sind zum taub werden. Es tut gut zu wissen dass auch andere ganz normale Kinder so sind. Von meinem älteren Sohn (14 Monate Unterschied) kenne ich sowas nicht.

  7. Hallo Pia,

    sehr schön geschrieben. Und obwohl es keinem hilft, ist doch immer wieder nett zu hören/lesen, dass auch andere Kinder so oder so ähnlich sind und es zaubert einem ein Lächeln aufs Gesicht. Und nein, keines Deiner Kinder wird krank, wenn es 5 m ohne Jacke oder Hose läuft, im Zweifel wird es abgehärtet;-)
    Gruß
    Andrea

  8. Ja dieses Thema mit dem Anziehen hatten wir leider auch ne Zeitlang recht intensiv !! Im Winter wollte Lili im Kleidchen und Sandalen zum Kiga oder wie deine Mimi partout ohne Hose !! Der Gipfel war dann eines morgens im Schlafanzug… Ich war auch mit meinem Latein am Ende !! Geduldige Gespräche oder Wutausbrüche (beiderseits) nichts half. Ich steckte das Kind also jeden morgen einfach ins Auto, die Klamotten in meiner Handtasche und meistens hat es im Kiga keine fünf Minuten gedauert bis sich das Kind ohne meckern alleine umzog !!! Trotzdem war diese Phase die reinste Folter für mein dünnes Nervenkostüm am morgen. Oftmals saß ich heulend im Auto nachdem ich Lili im Kiga abgeliefert hatte. Zum Glück ist der Weg bis in die Kanzlei ca 30-40 Min mit dem Auto. Ich war echt verzweifelt und total durch den Wind !! Hab dann auch immer den Fehler bei mir gesucht und so einiges in Frage gestellt. Und dann plötzlich lief alles wieder wie zuvor….

  9. Danke für den Ausblick auf meine Tochter in eineinhalb Jahren ;-)

    Sie ist mein erstes Kind und ich bin schon bei ihr eingeknickt. Ja gut – dann gibt’s zum Wickeln halt Videos, aber so dauert das Prozedere auch nur 5 Minuten und nicht wie ohne Video (dafür mit Geschrei) 30 …

  10. Ohh, ich kann nur mit dem Kopf nicken. Es ist ein Glück immer etwas phasenabhängig bei uns, aber unsere Baldgroße ist neulich ohne Schuhe, ohne Mütze, ohne Jacke auf dem Fahrradsitz die 3 km zum Kindergarten gebracht worden, weil ich es einfach nicht mehr ertragen habe (und bevor mir jetzt einer mit Kindeswohlgefährdung kommt: sie hatte alle betreffenden Kleidungsstücke schon an und dann vor Wut wieder ausgezogen). Am nächsten Tag sagte sie mit aller Weisheit einer fast 3 Jährigen: Heute ziehe ich mal besser Jacke und Schuhe an, es ist doch kalt draußen.

  11. Mit unserer damals zweijährigen Tochter hatte ich jeden Morgen grosse Diskussionen welchen Pulli oder welche Hosen sie anziehen will/muss. Es ist unsere älteste! Tochter und ich hatte schon damals nicht die Nerven jeden Morgen von vorne zu beginnen. Also habe ich angefangen ihr drei Pullis und drei Hosen aufs Bett zu legen, sie konnte auswählen und ich wetter- und temperaturgerecht raussuchen. Hat bestens geklappt und wir hatten morgens beide wieder beste Laune!!

  12. So ist das bei uns auch immer mal. Da der Große durch den Unterrichtsbeginn den morgentlichen Fixpunkt setzt, muss der Kleine mit – egal bei welchem Kleidungsstück er gerade diskutieren möchte.

    und wenn er dann im Unterhemd in der Garderobe der Kita steht, reicht ein strenger Blick der Erzieherin schon aus – das ist ihm dann so unangenehm, dass ich ein paar Tage keine Diskussionen habe…

  13. Genauso würde ich es auch machen. bzw normalerweise ist bei uns die Regel ohne Jacke (oder was auch immer) gehts nicht raus. Das hat bisher auch immer gut geklappt, und wenn meine Kinder so stur ;-) gewesen wären wie deine Maus, dann hätte ich sie auch so gehen lassen. Das Kind wird deshalb nicht sterben.
    Da wären mir die anderen Blicke der Mütter oder wer auch immer auch total egal. Ich bin da sowieso eher drüberstehend. Stört mich in keinsterweise irgendwelche Blicke oder Kommentare. Da steh ich total drüber und so sollte es auch sein.
    Lustig ist es nur wenn sich meine kleine immer schön bunt anzieht, geringelte Hose über Kariertem Kleid ohne Arm und darunter ein Pulli der überhaupt nicht passt. Aber damit muss sie ja rumlaufen und nicht ich ;-)
    Mir ist nur wichtig das es zur Jahreszeit passt. der rest ist ihr ding . hahahaha

  14. Ich bin ganz bei dir, Worte der Erzieherin von Kind 3: er hat so einen dicken Kopf, dass er selbst dann nicht durch die Tür passt wenn man vorn zieht und hinten schiebt. Bei Kind 5 fehlt mir jetzt auch einfach mal die Energie konsequent zu sein, sei es drum, Kind 1 ist trotzdem gut geraten, und viele kämpft für ich damals gekämpft habe brauche ich heute in der Pubertät nicht mehr, weil sie wie einer ihrer Lehrer gesagt hat, herrlich gegen den Strom schwimmt, aber noch nett winken und lächeln dabei kann.

  15. „Ihr dürft jetzt ruhig mir dem erhobenen Zeigefinger winken. Ich wink Euch auch freundlich zurück.“

    Super Aussage!!! <3

    Mein Zweitgeborener will auch immer mit dem Kopf durch die Wand. Und wenn er im Sommer bei 36 Grad im Schatten mit Gummistiefeln hinaus wollte, dann kamen Sandalen (oder bloße Füße) nicht in Frage, hochroter Kopf hin oder her. Dafür zieht er jetzt mit Begeisterung Jacke, Mütze, Jacke und Handschuhe an. Ja, die Jacke steht absichtlich zweimal auf der Liste.

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