Der Blick von außen

Ich dachte ja, ich hätte Euch schon mal von Marte Meo erzählt, aber meine Bloginternesuche hat mir verraten: nö, hab ich noch nicht.

Marte Meo ist eine Video gestützte Erziehungsberatung, die in den Niederlanden entwickelt wurde. Warum wir das machen? Weil es mir dabei helfen sollte, Konflikte unter den Geschwistern besser und zielgerichteter zu schlichten. Nun bin ich niemand, der bei einem aufkeimenden Streit dazwischen springt und alles regelt. Die Kinder sollen und müssen sich streiten, ihre eigenen Wege finden Streit zu schlichten und/oder Kompromisse zu finden. Nun kam es aber dennoch vor, dass ich mich in Situationen wiederfand, in denen 3 Kinder vor mit standen, die sich gegenseitig irgendwie mit irgendwas beschuldigten und von mir eine Lösung wollten, weil sie selber nicht weiter kamen. Oder dass eines der Kinder laut aufschrie, das nächste sofort „Ich habe nichts getan“ rief und das dritte mit einer Beule am Kopf um die Ecke kam. Natürlich beschuldigten sie sich dann wieder alle 3 gegenseitig.

Mir ist es wichtig, fair und gerecht zu sein. Aber da ich weder Superwoman noch Supermom bin, gelingt mir das natürlich nicht immer. Gerade die Jungs haben Phasen, in denen sie sich ganztägig anschreien oder auf andere Art und Weise streiten. In den Hochphasen wurde es auch schon mal sehr körperlich, so dass der Mann oder ich eingreifen und beide trennen mussten!

Zudem findet es Mimi von Zeit zu Zeit sehr witzig, Alex irgendwie weh zutun und dann laut zu schreien. Beim ersten mal war ich felsenfest davon überzeugt, dass Alex ihr irgendwas getan haben musste. Doch der versicherte mir eindringlich, er habe wirklich gar nichts gemacht. Und wir erinnern uns alle: Alex kann nicht lügen.

Das ganze wiederholte sich ab und an, bis ich eines Tages im Türrahmen stand und sah, wie Mimi Alex unvermittelt und aus heiterem Himmel in den Bauch boxte, dieser sich schreiend auf die Erde fallen ließ und Mimi los heulte, als hätte man sie geschlagen. DRAMA BABY!

Das sind nur Beispiele für Szenen, in denen ich irgendwie agieren bzw. reagieren muss und einfach das Gefühl hatte, Hilfe gebrauchen zu können. Zudem sorge ich mich immer mal wieder, ob ich allen 3 Kindern gleichermaßen Aufmerksamkeit schenke bzw. ihre Anliegen ernst nehme.

Also gingen wir zum Marte Meo. Da es bei uns speziell um das Geschwistermiteinander ging, wurden alle 3 Kinder mit mir in einer Interaktion gefilmt. Anfänglich dachte ich: wie authentisch verhält man sich wohl, wenn man gefilmt wird? Aber in Wahrheit vergisst man das sofort, einfach weil die Interaktion mit den Kindern die eigene Aufmerksamkeit fordert.

Beim 1. Termin suchten die Kinder sich gemeinsam ein gigantisches Mikado-Spiel aus, das wir in einer für uns ziemlich typischen Weise spielten. Ich empfand es wirklich als eine ganz normale Situation von vielleicht 10 Minuten und habe daher auch keine großen Erkenntnisse erwartet. Aber der Auswertungstermin war dann doch voller AHA-Effekte.

In nur wenigen Sekunden Handlung liegen so viele Informationen für die Kinder, dass ich mich nur glücklich schätzen kann tatsächlich überwiegend intuitiv richtig zu handeln. Ob es der schnelle Wechsel von Ansprache der Kinder ist (Den einen bitten, mit etwas aufzuhören, dem anderen danach unmittelbar eine Frage beantworten und noch im selben Atemzug die Kleine vor einer Gefahr warnen) oder eine gerechte Aufteilung meiner Aufmerksamkeit auf die Kinder. Das ist mein Alltag und in nur 30 Sekunden jedem fair und gerecht zu werden ist eine echte Herausforderung.

Anhand des Videomaterials, das man wiederholen, anhalten, vorspulen kann, lässt sich das ganz wunderbar erkennen. Tatsächlich musste ich nach der 1. Auswertung heulen, einfach weil ich selber gesehen habe, was ich da alles in so wenigen Augenblicke leiste und dass ich das Meiste davon intuitiv richtig mache.

Nun zielt Marte Meo aber ohnehin darauf ab, positives Verhalten zu erkennen und zu bestärken. Da ich aber nicht ganz merkbefreit bin, sah ich natürlich auch Fehler in meinem Verhalten. So empfand ich mich an manchen Stellen einfach als sehr streng. Ich neige dazu Dinge kurz und prägnant auszudrücken, wenn ich deutlich machen möchte, dass mir etwas wichtig ist. Der Laie würde es wohl einen militärischen Tonfall nennen. Doch – man höre und staune – genau das wurde als positives Verhalten benannt. Die Kinder werden nicht mit Worten und Informationen zugeschüttet, sondern erhalten kurze prägnante Ansagen, die sie auch umsetzen können. Und tatsächlich sah ich auf dem Video auch, dass sie entsprechend handelten. Wow!

Darüberhinaus sind Dinge wie Blickkontakt, eine offene Körpersprache, Berührung zur Kontaktaufnahme positiv bewertet worden. Dinge, über die ich nicht nachdenke, sondern sie einfach tue.

Auch haben wir die Interaktion unter den Geschwistern genauer analysiert und ich freue mich wie ein Schnitzel, dass die Therapeutin mehrfach betonte, wie toll meine Kinder doch seien. Miteinander. Zueinander. Klar, es sind Geschwister mit geringem Altersabstand (dazu resümiere ich mal, wenn ich eine halbe Flasche Wein und einen ganzen Ofenkäse intus habe!) und haben dementsprechend viele Vergleichs- und Reibungspunkte. Aber das Grundverhalten untereinander ist fürsorglich, gerecht und kompromissbereit. Hell, yeah!

Heute hatten wir einen erneuten Marte Meo Termin und wir entschieden uns dazu gemeinsam zu kneten. Die Videoaufnahme war so entspannt, dass ich mir schon ein wenig albern vor kam. Wir kneteten in friedlicher Eintracht, die Kinder wechselten sich selbstständig mit dem einzigen Knetmessser ab und reichten sich gegenseitig verschiedene Knetfarben an. Voll Bullerbü!

Alex' Kunstwerk:  Schoko-Cookies
Alex‘ Kunstwerk: Schoko-Cookies

Darum bin ich umso mehr auf den Auswertungstermin gespannt. Vermutlich wirken wir für die Therapeutin eher langweilig und sie fragt sich, was wir da überhaupt wollen. Aber mir hilft es sehr, mich und die Kinder untereinander auch mal von außen reflektieren zu lassen. Mir hat die Beratung jedenfalls sehr viel positiven Antrieb und wieder einmal mehr Selbstvertrauen darin gegeben, dass ich intuitiv überwiegend richtig handle.

Also, ganz abgesehen davon, dass ich Marte Meo für uns/mich ganz großartig finde, kann ich jedem nur empfehlen mal diesen Blick von außen auf sich und die Interaktion in der Familie zu werfen. Ob mit oder ohne fachliche Beratung und Auswertung. Filmen kann man sich im Grunde ja erstmal selber. Allerdings empfand ich die anschließende Analyse und Beratung durch die Fachfrau schon als sehr hilfreich.

Und bevor nun wieder jemand fragt: ich weiß nicht wo und wer Marte Meo bei Euch in der Nähe anbietet. Aber Google weiß das ganz bestimmt ;)

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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18 Gedanken zu „Der Blick von außen

  1. Ich freue mich über den Artikel da ich sehr viel selbstreflektiere und mich und meine Erziehung leider sehr oft in Frage stelle. Ich könnte mir vorstellen das es uns auch gut tun würde.
    Vielleicht auch mal etwas positives von Profis zu hören.
    Danke dafür, und danke das es in letzter Zeit wieder mehr Artikel gibt!
    Ich hatte nämlich schon richtig Liebeskummer ;-)

  2. Ich habe das auch schon mal mit meinem Sohn gemacht. Bei uns bieten das die Frühen Hilfen an. Mir hat es auch sehr geholfen zu sehen, dass ich vieles doch intuitiv richtig mache – mich fressen die selbstzweifel nämlich auf…. :-(

    Also von mir auch uneingeschränkt empfehlenswert! ??

  3. hört sich interessant an und ein wenig wie bei uns die Supervision, nur das wir da eben ind er gruppe erzählen und die das erzählte analysieren und aus anderen blickwinkeln betrachten. find ich echt gut.

    Vielleicht hilft es uns sogar auch *grübel* hab mal wieder ein termin in der schule gehabt, wo man mir doch nahelegen will das kind medikamentös still zu bekommen *grrrrrr* nur weil die gute frau lehrerin nix mit HSP anfangen kann und den sohnemann gänzlich überreizt. Aber was will ich erwarten… sie wies mich auch wieder drauf hin, das ergo bestimmt gut täte -.- (er geht seit 1 jahr und das hat sie sich 5mal in meiner anwesenheit notiert!)

    Vielleicht bestärkt es mich ja das wir uns richtig verhalten (den ich hab daheim nicht die probleme wie sie angeblich) mal schaun :d danke fürs teilhaben

  4. danke

    ich liebe den Blick von aussen für mich als Hochsensibelchen… in meinem Bauchgefühl ist oft nur noch Militärton.Sich sagen zu lassen, was gut läuft und was mit wenigen inneren Bewegungen neu werden kann- Herrlich. ich war bei einer Erziehungsberatung ganz old school- nur Gespräch und es war so wertvoll.

  5. Hallo Pia,
    Meine Kids waren in einer Tagesbetreuung mit Marie Meoansatz bzw Nr 3 wird gehen. Ich finde das Konzept toll und wir hatten auch schon zwei Probetermine für uns. Gerne hätte ich das fortgeführt, leider übernimmt aber kein Träger die Kosten. Unser Großer ist unser Kind mit besonderem Bedarf, weswegen wir schon alle Anlaufstellen zur Verbesserung der Familiensituation durch haben.
    Trägt ihr die Kosten selber oder könntet ihr das über euer Jugendamt regeln?
    Gruß
    Sabrina

  6. Ich habe eine solche Videotherapie als Teil der Psychotherapie wegen meiner Wochenbettdepression und es war für mich sehr wichtig. Wenn man ständig das Gefühl hat „neben sich zu stehen“ und die Verbindung zu seinem selbst verloren zu haben scheint, hilft es sehr sich einmal wirklich von außen betrachten zu können. Wenn man dann auch noch in seiner Beobachtung und seinem Verhalten bestärkt wird ist das eine sehr gutes Gefühl.

  7. Liebe Pia, die Vorschul-Lehrerin im Kindergarten meiner jüngeren Tochter hat ebenfalls nach dem Marte Meo-Prinzip gearbeitet und die Kinder sowohl alleine „in Prüfungssituation“ als auch in Interaktion mit der kompletten Vorschulgruppe gefilmt.
    Es war für mich als Mama wahnsinnig hilfreich, „von außen“ zu sehen, wie konzentriert oder auch unkonzentriert Matilda agiert, wo ihre Stärken und Schwächen liegen und welchen Platz sie in einer Gruppe innehat. Ich bin heute noch sehr dankbar für diese Erfahrung und alles, was ich daraus gelernt habe und kann das nur jedem empfehlen!

    Liebe Grüße
    Nicola

  8. Meine Schwester und ich wurden von unserer Mutter auch lange zur Erziehungsberatung gebracht, weil wir uns so oft und heftig stritten. Letztendlich haben wir da nie gestritten, nur super gespielt, meine Mama wurde in ihrem Erziehungsansatz bestaerkt und Freitagsnachmittags hatte sie mal eine Stunde Zeit in Ruhe einzukaufen. Der Therapeutin schreiben wir heute noch Weihnachtskarten (wir sind jetzt 28 und 26 :D )

  9. Ich habe diesen fantastisch geschriebenenen Artikel auf Facebook auf der Seite Marte Meo Sammlung geteilt…..So nachvollziehbar und detailliert Klasse beschrieben kann er eine absolute Hilfestellung sein…Ich bin Mutter, Erzieherin und angehende Marte Meo Therapeutin. Danke für den motivierenden Artikel und ganz herzliche Grüße…..

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