Es ist nicht immer leicht, kleiner Bruder zu sein.

Kleiner Bruder zu sein ist vermutlich nicht immer ganz leicht. So oft vergleichst Du Dich und Dein Können mit Deinem Bruder. So oft versuchst Du Dich von ihm abzugrenzen und Deine eigenen Nischen, Deine eigenen Skills und Deine eigenen Besonderheiten zu finden und zum Ausdruck zu bringen.

Ich gebe zu, dass ich oft Vergleiche zwischen Euch Brüdern ziehe. Nicht bewusst oder mit dem Ziel, Euch gleich zu machen. Aber Dein Bruder ist nun mal mein erstgeborenes Kind und ich kenne es bisher nur so, wie er es macht.

Nun ist es (leider) so, dass Deinem Bruder alles schulische beinahe zufliegt. Ohne große Anstrengung lernte er lesen und schreiben und machte daraus auch keinen Hehl. Du tust Dich da sehr viel schwerer. Das tägliche Üben macht Dir keine Freude, Du gibst schnell auf und flippst beim kleinsten Fehler sofort aus. Alles gute Zureden nützt bei Dir nichts, wenn Du nicht willst. Mir tut das immer ganz schrecklich leid.

Aber! Dafür fliegt Dir Mathematik nur so zu. Du hast alle vier Grundrechenarten bereits verstanden und kannst sie im kleinen Zahlenraum auch sicher anwenden. Dein Bruder tat sich bei jeder neuen Grundrechenart immer erstmal schwer. Das siehst Du aber leider nicht. Du siehst immer nur, wo Du nicht so gut bist wie Dein Bruder.

Dabei gibt es so viele Bereiche, in denen Du besser bist. Du bist zum Beispiel beim Handball bzw. Sport generell deutlich fitter, kannst mit fast jeder Ball sofort sicher umgehen und bewegst Dich intuitiv richtig. Dein Gleichgewicht, deine Reflexe und auch Deine Sicherheit ist deutlich ausgeprägter. Darum fährst Du vermutlich auch deutlich sicherer – und leider auch oft waghalsiger – Fahrrad als Dein Bruder.

Du hast die ganz besondere Gabe, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Du teilst Dir mit Deinem Bruder das sehr großes Gerechtigskeitsbedürfnis und stehst dafür auch ein. Nur sind bei Dir Streitigkeiten oder Unstimmigkeiten noch nie eskaliert. Du bist bei allen Kindern beliebt – selbst bei denen, die Du nicht magst – und hast nur sehr selten Ärger oder Streit.

Leider fällt auch Dir das Knüpfen neuer Freundschaften schwer. Du beobachtest immer sehr lange und intensiv, bevor Du Dich in eine Situation einbringst. Oft so lange, bis diese vorbei sind.

Eine Deiner größten Ängste ist es, Dich vor anderen zu blamieren, weshalb Du Dein Können erst dann unter Beweis stellst, wenn Du Dir in einer Sache hundertprozentig sicher bist. Sei es das Fahrradfahren, das Schreiben Deines Namens oder eben jetzt das Lesen. Immer übst Du heimlich, wenn Du niemanden in der Nähe wähnst und präsentierst Deine neue Fähigkeit erst dann, wenn Du sie beherrscht.

Du bist nur Du und niemand anders.

Du bist unheimlich lustig und hast einen ganz wunderbaren Humor. Außerdem kannst Du mit der beeindruckend tiefsten Stimme sprechen, die ich bei einem 6-jährigen je gehört habe. Deine Komplimente und Sympathiebekundungen sind filmreif. Manchmal frage ich mich, woher Du diesen Charme hast.

Und Du bist nicht nur der kleine Bruder, sondern auch der Große. Und das mit ganz viel Aufmerksamkeit, Empathie und Fürsorge. Auf deine kleine Schwester lässt Du nichts kommen und baust Dich auch vor 2-Kopf-größeren Jungs wie ein Betonpfeiler auf, wenn die auf die Idee kommen, Deine Schwester zu ärgern.

Du hast zwar eine kurze Zündschnur, wenn es um Deinen Bruder geht, aber eine meterlange Lunte, wenn es um Deine Schwester geht.

So wie Du bist, so bist Du genau richtig und eben nur Du! Ich wünschte nur, Du wärst manchmal etwas selbstbewusster, denn Du hast allen Grund dazu. Du bist einfach toll.

Ich liebe Dich, mein kleiner Beebie <3

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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19 Gedanken zu „Es ist nicht immer leicht, kleiner Bruder zu sein.

  1. Ich lese deinen Post grad als Mittlere von drei Mädels und bekomme glatt ein bisschen Pipi in den Augen. Wie schön und wie liebevoll du in diesem Fall Max (und eigentlich immer wieder alle deine 3) beschreibst ist wunderschön. Am meisten mag ich eigentlich, dass du bei allem (vollkommen nachvollziehbaren) Mutterstolz auch die Ecken und Kanten deiner Kinder erzählst, aushältst und am Ende oft ein bisschen drüber lächeln kannst…
    Danke!

  2. Jetzt hab ich hier am frühen Morgen Pipi in den Augen.Ein schöner Text,so liebevoll, mit dem ich mich auch sehr gut identifizieren kann, da ich bei uns die kleine bin.Aber ich glaube fest daran, dass der junge Mann seinen Weg gehen wird.

    <3 <3 <3

  3. Sehr schön geschrieben…Ich würde es ausdrucken und Max später, z b im Erwachsenenalter, mal geben…So als Erinnerung, wie es/er mal früher war…

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