Fledermausohren und Glück im Unglück

Dass die Kinde nachmittags nun draußen frei und selbstbestimmt spielen können hat viele Vorteile. Sie suchen sich nicht nur ihre Spielpartner selber aus, sondern auch die Orte, an denen sie spielen wollen. Wie haben das Glück, sehr kinderfreundlich zu wohnen, umgeben von Spiel-, Nebenstraßen und Sackgassen. Es gibt feste Grenzen, in denen sie sich bewegen dürfen, die ihnen aber zeitgleich viel Raum für Aktivitäten wie zum Beispiel Ballspielen oder Roller- und Fahrrad fahren geben.

Aber das hat auch Nachteile. Wenn das Essen fertig ist, stehe ich wie die Mirácoli-Mutter im Garten und rufe nach meinen Kindern. Auch mal länger und sehr laut. Oder man muss sie sogar suchen gehen, weil sie nicht mehr in Hörweite sind. Das ist aber auch schon das größte Problem.

Heute war Alex mit einem Freund auf einer Nebenstraße Fahrrad fahren. Das wusste ich, weil sie die Räder geholt hatten und eben nur dort, in der verkehrsberuhigten Zone, fahren dürfen. Mimi und Max waren schräg gegenüber, bei Max‘ Klassenkameradin im Garten.

Ich saß im Wohnzimmer am Esstisch und arbeitete noch etwas. Das ist nämlich einer der vielen Vorteile: Man hat Zeit für andere Dinge und wird nur sehr selten gestört. Ich hatte vorsorglich Kekse und Apfelschorle raus gestellt, was den „Maamaaaaa?„-Faktor nochmal nach unten schraubt.

Jedenfalls saß ich da so bei geöffneter Terrassentür vor meinem Laptop, als es plötzlich sehr laut schepperte. Ich dachte noch so: „Oh oh, Blechschaden„, als das nächste Geräusch, ein sehr lauter und verzweifelter Aufschrei eines Kindes, zu hören war. Meines Kindes. Ich hab das sofort gewusst.

Ich sprang auf, griff nach meinem Haustürschlüssel und rannte aus dem Haus, die Straße runter, die nächste wieder hoch und sah am Ende schon meinen großen Sohn auf der Straße liegen, der sich gerade, mit der Hilfe seines Freundes, wieder aufrappelte. Die Mutter seines Freundes, der näher an der Unfallstelle wohnt, war nur kurz vor mir bei ihm.

Ich nahm ihn direkt in den Arm. Er weinte und schluchzte grauenvoll, was bei ihm ein eindeutiges Anzeichen für die Ernsthaftigkeit der Situation ist. Alex heult oder jammert sonst nie, wenn er sich weh tut. Also schob ich ihn ein kleines Stück von mir weg und betrachtete ihn von oben bis unten. Alles dran und keine offensichtlichen Blutflecken zu sehen. Vorsichtig tastete ich Beine und Arme ab. Unter Schock sind schon offene Knochenbrüche unbemerkt geblieben. Aber hier war alles okay.

Die Schwester seines Freundes hob das Fahrrad auf, das gute 5 Meter entfernt lag und versuchte es zu schieben. Aber irgendwas hatte am Vorderreifen blockiert, so dass es sich nicht schieben ließ und der Lenker und die Bremse waren auch völlig verbogen.

Alex beruhigte sich sehr schnell und schniefte nur noch etwas heiser. Ich nutzte die Gelegenheit und fragte erstmal nach, was passiert sei. Genau konnte er es nicht wiedergeben, aber er war gegen ein parkendes Auto gekommen und dann gestürzt. Ob die Bremse festgebacken war, er nicht nach vorne geguckt hatte oder über irgendetwas drüber gefahren war, wusste er nicht mehr. Und das glaube ich ihm auch. Bei besagtem Auto fanden wir nur ein Loch direkt im Rücklichtglas, aber keine Schrammen oder Kratzer im Lack.

Recht schnell hatte ich den Halter des Wagens ausfindig gemacht: eine sehr verständnisvolle Frau, die sich mehr Sorgen um mein Kind, als um ihr Auto machte. Natürlich kommen wir für den Schaden auf, aber sie war völlig unaufgeregt und betonte mehrfach, dass es ja viel wichtiger sei, dass dem Jungen nichts passiert ist. Phew.

Alex entschuldigte sich ganz offen und ohne Scheu.

Nachdem wir Adressdaten getauscht hatten, wollte ich wieder nach Hause gehen (immerhin stand das Haus komplett offen und Max und Mimi wussten auch nicht, wo ich war) und fragte Alex, ob er mit kommen würde.

 

„Können wir weiter Fahrrad fahren?“ Ich lächelte. Alles wieder gut.

„Nein, Schatz. Das muss sich der Papa gleich erstmal genau angucken.“

„Aber wir dürfen doch noch spielen?“

„Wenn es Dir gut geht, dann dürft ihr weiter spielen.“

Also schob/trug ich das lädierte Fahrrad nach Hause und setzte mich erstmal im Garten in die Sonne. Tief durchatmen. Alles gut. Nichts weiter passiert.

Als ich Alex eben ins Bett brachte, fragte er mich, wo ich so schnell herkommen sei.

„Ich hab erst den Knall und dann dich schreien gehört. Da bin ich direkt los gelaufen.“

„Du hast echt Fledermausohren, Mama. Ich höre dich da nie, wenn du mich rufst.“

Tja, das ist wohl eine dieser geheimen Mutti-Superkräfte. Aber tatsächlich würde ich Alex‘ Stimme immer und überall heraushören. Bei den anderen Beiden ist das nicht so. Aber das erzähle ich mal in einem anderen Beitrag.

Tatsächlich hat das Kind nur eine Schürfwunde am Knie und einen fiesen blauen Fleck am Oberschenkel. Ich hoffe, seinem Schutzengel geht’s es ebenso gut. Danke, Du!

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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23 Gedanken zu „Fledermausohren und Glück im Unglück

  1. Welch wunderbare Abschlusssätze anlässlich von solchem Behütet-Sein! Danke für das Teilen, und hoffentlich tun die kleinen Blessuren Alex nicht mehr lange weh … Monika

  2. Puuuh echt Glück das Ihm nicht mehr passiert ist …. der Sohn einer Freundin hat sich am Sonntag bei einem Sturz mit dem Roller den Kiefer gebrochen … da bekomm ich echt Gänsehaut wenn ich so etwas höre

  3. Zum Glück gibt es dazu ja Versicherungen. Meine Große hat auch schon einen Lackschaden verursacht. Der Nachbar war leider nicht so entspannt…
    Ich finde es auch alles immer nicht so schlimm, es ist ja nur Material und kein Leben…

  4. Schreck lass nach. Der schlimmste Adrenalin Schub kam mir, als meine damals 10 Jährige Tochter beim toasten mit einer Metallgabel an die Glühdrähte piekste – die Sicherung flog sofort raus und der Holzboden hat sie gerettet. Ich sags Dir, danach ging NIX mehr.

  5. Schön, dass es Alex gut geht und nichts schlimmes passiert ist!
    Und gut, dass Alex bereits über 7 Jahre ist, dann kann der Schaden über die Haftpflichtversicherung abgewickelt werden. Bei den Kleinen wäre das ggf. ein Problem, wenn ihr in eurer Versicherung nicht explizit auch schuldunfähige Kinder unter 7 Jahren mitversichert habt. Liebe Grüße!

  6. Puh nochmal Glück gehabt.
    Man fiebert bei deinen Texten immer erstmal ganz schön mit und freut sich dann über das Ende.

    Ich glaube, dass sind wirklich die Mutti-Instinkte. Wenn uns das passiert wäre, ich hätte auch erstmal total mitgefiebert, hätte gezittert, bis ich weiß ob alles in Ordnung ist. Gerade wenn man solche Geräusche hört, ist man ja doch erstmal innerlich in Aufruhr.

  7. Du treibst mir mit Deinen Artikeln regelmäßig Tränen in die Augen!
    Besingungslose Mutterliebe kennt ja jede Mama, aber Du findest immer so wunderbare Worte dafür, daß mir ganz warm ums Herz wird.
    Danke dafür und wie gut, daß Ihr mit dem Schrecken und ein paar kleinen Kratzern davon gekommen seid.

  8. Ich finde es auch herrlich wenn Kinder sich frei bewegen können, aus diesem Grund sind wir vor einem Jahr umgezogen und ich muss sagen es war die beste Entscheidung!!! Mir geht es genauso wie dir, wenn das Essen fertig ist!!!
    Oh man da bekommt man wirklich Herzrasen wenn so etwas passiert…für einen Moment steht alles still! Gott sei dank ist dein Schatz gut davon gekommen! Sehr mitfühlend wie die Dame reagiert hat, viele sind da anders, leider!!! Lg

  9. Liebe Pia, wenn ich deine Blogs lese ist es so,als ob ich tatsächlich neben dir stehe und alles live miterlebe. Das ist immer SO lebhaft geschrieben! :-) Habe gerade echt mitgelitten. Mir persönlich bleibt auch immer das Herz stehen wenn ich eins der Kinder schreien höre und jede Mutter wird mir Recht geben, wenn wir behaupten, dass wir unsere Kinder nur an einem einzigen Schrei unter Hunderten erkennen und je nachdem wie der Tonfall ist, auch den Ernst der Lage abschätzen können. Ich höre den Brüll und weiß ob ich den Kochlöffel/Stift/Laptop/wasauchimmer, SOFORT fallenlassen muss oder ob ich mir erst in Ruhe eine Jacke überziehe und dann so langsam losgehe :-)

    Meistens ist es nur der Schreck und sobald die tröstenden Mama Arme da sind, hört die herzzereißende Schluchzerei auch spontan auf. Nach Schrammen/Blut/Körperuntersuchung und um den Ernst der Lage einzuschätzen versuche ich den Trick hier: „Magst du wieder reinkommen und ich leg dich dann kurz ins Bett zum ausruhen…“
    Es ist noch KEINMAL passiert das eins der Kinder diesen Vorschlag angenommen hat. Die Tränen versiegen, das Kind rappelt sich auf und 3 Sekunden später ist es wieder zu seinen Freunden gelaufen.
    Gottseidank hatte ich bisher noch kein „jaaa Mama, super Idee-ich leg mich jetzt den Rest des Nachmittags ins Bett und lasse die anderen Kinder weiterspielen-Erlebnis“ :-)

    Und zum Glück ist bei euch alles gut gegangen, trotz Schramme im Auto und mit der Wagenhalterin auch richtig Glück gehabt, so eine verständnisvolle Reaktion ist auch nicht selbstverständlich.

    Also…weiterhin fröhliches Spielen im Freien und weiterhin so gute Fledermausohren! :-)

    Lg
    Hiyeun

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