Ich bin nicht Wonder Woman

Jeder Mensch hat Sorgen und in aller Regel sind die eigenen Sorge für einen immer besonders schlimm, während andere ganz sicher auch schlimmere Sorgen haben. Ich versuche mir das immer bewusst zu machen und mich an dem zu freuen, was wir haben. Dennoch. Trotzdem. Ich denke, ihr kennt das.

Im Moment treiben mich viele Gedanken darum um, wie und ob ich meinen drei Kindern gleichermaßen gerecht werde. Da ist das eine Kind, das direkt und unverblümt meine Aufmerksamkeit einfordert. Schon immer. Das andere Kind, das für sich ganz still und größtenteils unkompliziert ist. Und das Kind, das zwar laut und wild, aber nicht wirklich offen fordern ist. Fordern, in Sinne von ich will Deine Aufmerksamkeit.

Es ist also einfach beim ersten Kind Bedürfnisse zu erkennen. Bei Kind zwei und drei ist das anders. Vielleicht habe ich sie nicht genug gesehen. Vielleicht muss ich mich selber einfach neu sortieren, um wirklich allen gleichermaßen gerecht zu werden, auch wenn mir sehr wohl bewusst ist, dass man gar nicht immer allen drei gleichermaßen gerecht werden kann. Ich bin nicht Wonder Woman.

Durch die Besonderheiten unseres Erstgeborenen lag mein Augenmerk immer sehr verstärkt auf ihm. Ich habe immer versucht ihn in allen Belangen glücklich zu machen. Ganz oft habe ich deshalb für ihn Probleme gelöst, die er hätte selber lösen müssen. Auch, damit er eben lernt Probleme selbstständig anzugehen. Vor ein paar Wochen sagte jemand etwas zu mir, das ganz viel in mir bewegt hat.

Frau Drießen, Sie müssen lernen auch mal auszuhalten.

Aushalten, dass mein Kind traurig ist. Aushalten, dass mein Kind Angst hat. Aushalten, dass mein Kind Sorgen hat.

Natürlich soll und bin ich für ihn da, aber ich muss aufhören ihm ständig Lösungen zu präsentieren oder ihm Gefühle wie Trauer, Angst und Wut sofort zu nehmen. Sonst kann er nicht lernen, eben diese Gefühle für sich zu bewerten, sie selber auszuhalten und Lösung zu suchen, die ihm diese Gefühle wieder nehmen. Es ist eine andere Form von Loslassen. Eine, die im eigenen Kopf beginnt. In meinem.

Also übe ich mich in Aushalten und Bestärken, statt rettend oder lösend einzugreifen. Das geht. Sogar ganz wunderbar. Und es verändert auch das Kind. Es macht ihn mutiger, selbstbestimmter und zeigt bereits nach wenigen Wochen, dass er sich deutlich schneller und besser selber regulieren kann.

Als er ein Baby war, waren da ganz viele Gefühle und Gedanken, die mich sehr verändert haben. Unsicherheit, Angst, Verzweiflung. Wieso schreit mein Baby so viel? Wieso weiß ich, als seine Mutter, nicht, wie ich mein Baby beruhigen kann? Ist er unglücklich? Ist das meine Schuld? Bin ich keine gute Mutter?

Vielleicht liegt hier auch so ein bisschen die Ursache, dass ich immer versuche, ihn vor allem Übel dieser Welt zu behüten. Inzwischen weiß ich: Er hat das nicht nötig. Er ist stark, neugierig, emphatisch, intelligent. Er braucht eine Mutter, die ihn bestärkt und das Gefühl vermittelt, dass er selber die innere Kraft hat, seine Nöte und Sorgen anzugehen und zu lösen. Er braucht ein offenes Ohr und dann und wann einen Rat, wenn er nicht weiter kommt. Aber vor allem braucht er ganz viel Vertrauen in sich selber. Und in mich.

Wie Ihr seht: zwischen all den Kirsch-Apfel-Eistees, Melonen und Eisbechern arbeitet es ganz arg in mir. Und das ist nicht meine einzige Baustelle. Da ist auch noch die kleine Schwester, die mit allen Mitteln versucht Aufmerksamkeit zu bekommen. Mit Weinen, Lautstärke und Ignoranz. Zum Glück gibt es sowas wie Entwicklungsgespräche im Kindergarten. Vielleicht hätte ich dieses Verhalten sonst noch länger als Phase abgetan und nicht erkannt, was wirklich dahinter steckt. Ein „Sieh mich!„-Hilferuf.

Also liegt mein Augenmerk momentan etwas stärker auf der kleinen Tochter und etwas weniger auf dem großen Sohn. Ohne dabei den Mittleren aus den Augen zu verlieren.

Keiner hat gesagt, dieses Muttersein wäre ein einfacher Job. Aber zumindest weiß ich inzwischen, dass ich das echt gut mache. Nicht perfekt, nicht frei von Fehlern, aber so gut, wie ich es eben kann. Und dazu gehört auch, sich und sein Verhalten ab und an zu reflektieren und Dinge zu ändern. Zwischendurch schreibe ich dann solche wirren Texte und teile sie mit Euch. Auch das bin ich.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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16 Gedanken zu „Ich bin nicht Wonder Woman

  1. Ich freue mich, dass wir neben allem Eis und Melone (oder wie schriebst du) auch das lesen dürfen!

    Das mit dem aushalten versuche ich mir zu merken. So schwer aber auch ich merke dass es nötig ist nicht der Problemlöser zu sein. So nachhaltig gedacht.

  2. Danke. Du schreibst mir aus der Seele. Uns geht es mit unseren dreien genauso. Auch unsere Kinder sind was ihr Bedürfniss nach und dem Einfordern von Aufmerksamkeit ganz unterschiedlich. Wir fragen uns auch häufig, ob wir allen gerecht werden und hoffen einfach, dass die drei merken, dass wir immer unser Bestes geben, auch wenn bestimmt nicht alles richtig ist, was wir tun.

  3. Liebe Pia,

    Ich finde es sehr mutig von dir, diesen Text hier zu teilen. Ich habe zwar (noch) keine Kinder, aber ich lese Sie sehr sehr gerne und möchte später auch mal drei Kinder, dennoch denke ich, dass solche Gefühle wirklich jede Mutter hat.

    Jede Erzieherin hat, auch, wenn sie es nicht zugeben darf, Kinder, die sie lieber mag als andere. Natürlich ist die Verbindung, die eine Mutter zu ihren Kindern hat, eine ganz andere, trotzdem denke ich, dass auch jede Mutter, wenn auch phasenweise, ein Kind hat, mit dem sie einfach besser umgehen kann.

    Ich selber habe eine ältere Schwester und weiß, dass meine Mutter und sie einen sehr guten Draht zueinander haben. Ich komme und kam da glaube ich nie so wirklich zwischen, auch, weil ich eher die ruhige bin. Trotzdem weiß ich, dass meine Mama mich genauso lieb hat wie meine Schwester, die immer sehr fordernd war.

    Ich möchte Ihnen damit nur sagen, dass solche Gefühle nicht nur Sie betreffen sondern auch – vermutlich viele – andere.

    Wenn der Große diese Jahre Extraaufmerksamkeit ja vielleicht auch irgendwie brauchte, dann bekommt die eben jetzt die Kleine. Ich kenne ja nur kleine Schnipsel aus Ihrem Leben, aber ich bin mir sicher, dass Sie eine ganz tolle Mutter sind -und zwar für alle drei!

    Ganz liebe Grüße
    M.

  4. Ich finde den Text auch nicht wirr. Aber ich finde auch nicht, dass hier nur Eistee und Melonen auftauchen in diesem Blog, sondern eine sehr ausgewogene und – so scheint es mir als Leserin zumindest – sehr ausgewogene familiäre Mischung. Es gibt so viele Hochglanz-Blogs, die ich kaum aushalte in ihrer permanenten Harmonie, und ich bin immer froh, dass es eben auch noch andere gibt, in denen Kinder viel Positives, aber eben auch mal schwierige Phasen zeigen. Und Eltern auch.
    Da brauchste dann auch kein „fuermehrrealitaetaufinstagram“ hashtag, weil hier schon genug Realität ist.
    Aber das Alex so eine coole Socke geworden ist, liegt vermutlich auch ein bisschen am Loslassen. Aber wahrscheinlich vor allem ganz viel an ihm selbst.

  5. Natürlich sind Sie Wonderwoman.
    Alles, was Sie erklärt haben – das Reflektieren, das Nachdenken, das auf-Ihre-Kinder-Eingehen – das alles macht Sie zu Wonderwoman!

  6. Gar nicht wirr! Das Aushalten müssen wird noch krasser! Deswegen ist es gut früh genug damit anzufangen. Da hilft einem der Blickwinkel, dass die Kinder geboren wurden um selbst zu leben. Sie sind eigenständige Persönlichkeiten. Sie gehören uns nicht. Aber wir dürfen sie begleiten mit all unserer Liebe. Und es gibt nichts Tolleres zu sehen, wenn ein Kind etwas geschafft hat ohne dass ich invasiv eingegriffen hab. So wird der Große wohl ne Ehrenrunde drehen- auch das muss er aushalten. Schliesslich seine Faulheit. Ich hab gesagt dass ich nicht mehr die Trennungs-Alleinerziehenden-Nummer bei den Lehrern machen werde. Er muss selbst seinen Allerwertesten retten -und wenn nicht- dann eben dafür die Verantwortung übernehmen! Es ist hart für mich, aber da muss ich durch.

  7. Liebe Pia,
    Danke. Ich lese deinen Blog jetzt schon ein paar Jahre und ich muss ehrlich gesagt zugeben, dass ich letzter Zeit ihn nur etwas überflogen habe, da ich mit -wie schreibst du das „zwischen all den Kirsch-Apfel-Eistees, Melonen und Eisbechern“ wenig anfangen kann. Das habe ich auf jedem Spielplatz, all diese supermamis, die einem vorgaukeln, wie toll das alles in der Familie klappt und Max. nur in Nebensätze von den Problemen, Ängsten, Zweifeln und Sorgen berichten.
    Ich war bei einem „Stärke-Kurs für Eltern“. Kennst du das oder ist das so ein Baden-Württemberg-Ding? Egal, was ich sagen wollte, da war auch dieses Aushalten ein großes Thema und ich versuche das auch in den Alltag zu übertragen. Es ist schwer, aber lohnenswert. Danke, Danke für diesen Beitrag, ich weiß, dass es nicht einfach ist, sich im Internet über so etwas zu äußern und die Reaktionen von unfair bis unverschämt sein werde (vielleicht wertest du meinen Kommentar ja auch eher negativ), aber mit hat dieser Beitrag besser gefallen und mehr gebracht als alle Beiträge zwischen all den Kirsch-Apfel-Eistees, Melonen und Eisbechern.
    Liebe Grüße Martina

    1. Ich empfinde Deinen Kommentar nicht als negativ, aber möchte gerne noch mal festhalten, dass ich dieses Blog nicht betreibe, um irgendwelche Lebensweisheiten zu verbreiten. Es ist und bleibt ein persönliches Tagebuch. Mit Eistee, Melone und eben auch Sorgen. ;)

  8. Schön geschrieben. Hier ist das gerade recht ähnlich, aber nur mit 2 Kindern. Der Große der immer irgendwie Hilfe brauchte, gerade auch was das „sich wehren“ und durchsetzen anging. Ihm vieles wie du schreibst aufzeigen, Lösungen anbieten und schlichten. Obwohl er das eigtnlich (mittlerweile) doch super auch alleine kann und dadurch viel an Selbstvertrauen gewonnen hat. Und der Kleine der das irgendwie von Anfang an selbst konnte, sich selbst Lösungen gesucht hat und relativ wenig „Hilfestellung“ bekommen hat. Manchmal ist loslassen, obwohl es für alle gut wäre, echt schwer. Aber wenn das dann passiert ist, ists evtl für alle besser. Und die Hauptsache ist doch, dass alle glücklich sind so wie es ist

  9. Danke. Ich habe auch bald drei Kinder. Aber diese Frage kenne ich auch schon von 2. Wie kann ich der Großen ihre Privilegien lassen, ohne den Kleinen zu benachteiligen? Genau auf die Fragen kommt es doch an. Der Eistee macht es nur ein bisschen schöner. Danke fürs Teilen.

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