Bleib Du!

Manchmal, ganz manchmal, wünsche ich mir Du könntest noch einmal 2 Jahre alt sein.

Du warst so natürlich, so unverfälscht, so Du. Es war Dir total egal, was andere von Dir gedacht haben. Du hast einfach all Deine Gefühle gezeigt und gelebt. Diese Unbeschwertheit, die wünsche ich Dir ganz oft zurück und doch muss ich erkennen, dass Du vermutlich nie wieder so unbeschwert sein wirst.

Nun sitz Du da und stellst Dich selber in Frage, weil überall und ständig an Dir herum kritisiert wird. Zu unruhig, zu neugierig, zu besserwisserisch, zu hektisch, zu unkontrolliert, zu wild. Zu zu zu. Mir schnellt dabei die Zunge aus dem Mund und der Mittelfinger in die Höhe. Aber das ist nicht die Reaktion, die ich mir erlauben darf. Sie wäre zu unreif. Dir würde man sie vielleicht noch verzeihen?

Ich wurde mal gefragt, was ich mir am allermeisten für Dich wünschen würde und meine Antwort war: „Glücklich zu sein.“ Inzwischen weiß ich, dass das nicht das ist, was Du brauchst. Glücklich sein. Weil kein Mensch ist nur glücklich. Eher muss man lernen, mit allen Emotionen zurecht zu kommen. Man muss auch traurig sein dürfen. Wütend. Nachdenklich. Das wahre Glück besteht doch darin, all diese Emotionen empfinden und damit umgehen zu können.

Inzwischen kenne ich Dich sehr gut, denke ich. Es ist zwar auch immer wieder ein Stück neues Kennenlernen, weil sich alles im Leben weiterentwickelt, aber den Grundtenor Deines Seins, den habe ich inzwischen recht gut erkannt.

Wenn mich heute jemand fragt, was ich mir am meisten für Dich wünsche, dann würde ich antworten: Inneren Frieden. Ruhe. Gelassenheit. Und mehr Menschen, die Dich nehmen, wie Du bist. Die nicht versuchen, Dich zu verbiegen, sondern konstruktiv statt destruktiv mit Deinen Bedürfnissen umgehen.

So viele Konflikte, die daraus resultieren, dass Du Dich mehr anpassen, mehr der Norm entsprechen und doch bitte bitte weniger auffällig sein sollst. Und ich rede hier nicht von einem Auffällig im Sinne von körperlicher oder verbaler Gewalt. Du redest zu viel, zu laut. Zu bewegst Dich zu hektisch, zu unkontrolliert. Du denkst zu weit, zu unfokussiert (!!!). Ich kann gar nicht aufhören mit dem Kopf zu schütteln.

Am liebsten würde ich Dich manchmal einfach in meinem Herz und meinen Armen einschließen und einfach niemanden je wieder an Dich ran lassen. Albern, ich weiß. So kann ich Dir nur versichern: Du bist toll. Du bist liebenswürdig. Du bist großartig. Du bist klug. Du bist witzig. Du bist tiefgründig. Du bist Du. Und – um Gottes Willen – bleib Du!

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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40 Gedanken zu „Bleib Du!

  1. Wow….tief aus dem Herzen…das hat mich sehr berührt. Ich finde es schlimm das heutzutage Kinder nicht mehr wirklich Kinder sein können…immer und überall will man sie verändern…das ist manchmal sehr traurig… wie immer total toll geschrieben. <3

  2. Traurig, das die Gesellschaft es immernoch nicht schafft, Menschen zu nehmen wie sie sind. Das immer noch versucht wird in Normen gepresst zu werden. Sehe das beim Zwerg auch immer. Zu kindisch, zu verspielt, zu laut, zu hibbelig, Zu neugierig, zu übereifrig. Ich dachte immer das sei gut. Neugierig sein, zu hinterfragen, viel zu wissen, das Kind in einen bewahren, eifrig sein… Aber es passt nicht ins Schulkonzept. Nicht wo jeder nur gleich behandelt werden kann… Nicht wo man ‚du selbst‘ sein kann sondern nur ’sei wie andere‘ :'(

  3. Ganz wundervoll und sehr berührend… Du sprichst mir direkt aus dem Herzen! <3
    Seit unser Großer (7 Jahre, 2. Klasse) zur Schule geht, wird auch nur noch an ihm rumgemäkelt und gemeckert und geschimpft. Das stresst ihn total – und mich auch! ???
    Warum lassen wir unsere Kinder nicht so, wie sie sind???

  4. Sei wie du bist! Es gibt keine Gedanken die zu zweit sind! Die Gedanken sind frei und dein Fokus bestimmt dein Denken!!! Du bist großartig so wie du bist!

  5. Du sprichst über mich, oder?

    Ach Pia, in der gesamten Beschreibung fühle ich mich erkannt. Meine Mama sagte immer „Gott hat etwas ganz Besonderes mit dir vor.“, wenn ich mal wieder nicht in das Schema gepasst habe und daran verzweifelte. Und jetzt? Was soll ich dir sagen, nach dem Scheitern meiner ersten Ehe (mit 24) habe ich endlich angefangen mich selber zu lieben und zu akzeptieren. Ich kann mich und Situationen immer besser einschätzen und bin endlich mit mir im Reinen. Ich bin glücklich und zufrieden und toll so wie ich bin.

    Und am Tollsten ist: Ich habe so zauberhafte Menschen um mich herum, die mich lieben & die ich liebe. Und die mich manchmal festhalten und vor er bösen normativen Welt beschützen <3 Danke, dass du die beschriebene Person so sehr liebst, dass sie sich bei dir fallen lassen darf und dass sie somit lernen kann, geliebt zu werden, weil er/sie genau diese Person ist! Behalt diese Liebe in dir! Sie rettet!

  6. Am frühen Morgen Gänsehaut! Genau das ist es, was mir (in etwas abgewandelter Form) über meinen Großen durch den Kopf geht. Er wird in der Schule seit 2 Jahren gemobbt. Keiner hat das Ausmaß des Ganzen richtig überblicken können (auch ich zu meiner großen Bestürzung nicht). Und angefangen hat alles mit seinen großen Emotionen und einem Satz der Lehrerin „Vielleicht bringen Sie Ihren Sohn dazu, dass er nicht immer Leggings trägt. Die anderen Jungs hänseln ihn dafür.“ Ich hätte ihr sagen müssen, dass die anderen Jungs mal vor ihrer eigenen Türe kehren sollen und meinen Sohn darin bestärken, was er mag.

  7. Danke, dass unsere Kids so ähnliche Alter haben! Danke, dass du oft genau das aussprichst, was auch ich empfinde und oft genau zum passendem Zeitpunkt. Danke…
    Es ist oft so traurig, wenn ich sehe, wie nur alles ok ist, wenn die NORM stimmt.

  8. So schön, liebe Pia. Ich lese deinen Blog schon eine Weile, da wir so viele Parallelen haben, auch ich habe 2 große Jungs und 1 kleines Mädchen … und du sprichst mir so oft aus der Seele. Auch mit diesem Post gerade heute ….ich muss nachher zur Sprechstunde in die Schule, ja warum eigentlich – ich glaube es geht um ziemlich ähnliche Themen wie die, die du hier beschrieben hast…und mir scheint es grad so ähnlich zu gehen. „Am liebsten würde ich Dich manchmal einfach in meinem Herz und meinen Armen einschließen und einfach niemanden je wieder an Dich ran lassen.“ ….

  9. Es ist egal, um welches ihrer Kinder es hier geht. Ich finde ihre Worte herzergreifend und so schön und gut. Ich hätte mir als Kind auch mal so viel Liebe gewünscht.Ich finde, sie sind eine tolle Mutter!!!

  10. Direkt aus dem Herzen in mein Herz geschrieben. Leider „braucht“ die Gesellschaft scheinbar angepasste Charaktere, als dass die „anderen“ hinten unter negativ auffallen. Und irgendwann anfangen sich auch anzupassen. Was ist der beste Weg? So zu bleiben, das Kind zu bestärken, oder mit verbiegen einen angepassten zu „erstellen? Mein Herz antwortet da anders als mein Kopf (und mein Umfeld mir einreden).

    Alles Gute euch beim Weg des „Kopf-Zunge-Kinos“

    Katharina

  11. Das bricht mir mein Herz. Oh mein Gott, sind Menschen manchmal einfach kein Segen. Ich wünsche deinem Buben respektvolle, achtsame, tolerante und einfühlsame Mitmenschen. Diese ständigen Erwartungen können so viel kaputt machen. :( Es tut mir wirklich leid, dass es so ist, wie es ist.

    Die liebsten Grüße sende ich euch. <3

  12. Wunderschön geschrieben. Habe ich glatt ein Tränchen verdrückt.
    Denn ich habe hier gerade noch so einen unbeschwerten 2 jährigen und dank deines Beitrags wünsche ich mir genau das für ihn. Das er so sein kann wie er ist.

    Es ist so schön zu lesen dass du deine Kinder so nimmst wie sie sind und sie selber nicht verbiegst. Aus eigener Erfahrung weiß ich wie das ist nicht der Norm zu entsprechen und wenn Eltern sich dafür schämen. Auch im Erwachsenenalter trägt das noch schwer nach.

  13. Sehr guter Text, passt auch super zu meiner Tochter die ist auch spezieller Natur und nicht Mainstream geeignet. Akzeptanz wünsche ich Ihr, so sein zu dürfen ohne das die Leute meckern und reden.

  14. Es ist immer schön zu lesen, dass man nicht alleine ist. Einmal im Monat mindestens wünschte ich, ich könnte meinen Sohn aus der Schule nehmen und zu Hause unterrichten. Seit sechs Jahren ist er nie richtig, jedes Jahr hat er andere Lehrer, kaum kommt er mit einem klar, kommt schon wieder der nächste. Und wir sitzen jedes Jahr bei der Schulleitung und hören uns an, wie scheiße unser Kind ist. Zu laut, zu vorlaut, zu widersprechend, zu kritisch, zu fragend, zu gelangweilt, zu desinteressiert, zu unsozial, zu mitfühlend… irgendwas ist immer.

  15. Ja, hochsensible Kinder und die Schule, ein Konfliktthema. Wie schützt man sein Kind nur vor dieser stumpfsinnigen Gleichmacherei? Nächstes Jahr ist mein Kind dran und ich habe schon allergrößte Bedenken. Ist es überhaupt sinnvoll, dieses Thema im Vorfeld (oder überhaupt) mit den Lehrkräften zu erörtern? Ich fürchte, nein. Und das macht mich sehr traurig.

  16. Zum Glück, ja wirklich zum Glück, haben wir in Deutschland auch eine Vielzahl an alternativen Schulformen. Jeder hat die Qual der Wahl. Schema F muss nicht sein. Ist auch nicht immer gut, effektiv oder passend. Schöner Text!

  17. Hallo Pia,

    das klingt so traurig und macht mich irgendwie wütend. Schlimm das Kinder schon so früh nur funktionieren sollen. Aber ich bin mir sicher du wirst sie schützen so weit es eben geht und ihnen ein Vorbild sein. Meine Tochetr ist gerade 1,5 Jahre alt und ich habe Angst das mir das bevorsteht was du schreibt. Ich kann mich deinen Wünschen nur anschließen und ich hoffe das dadurch das wir uns damit auseinander setzen und darüber sprechen, die Wahrnehmung und die Anforderungen an Kinder, sich verändern. Deshalb danke für´s „anstoßen drüber nachzudenken“.

    Liebe Grüße
    Evelyn

  18. Da isse wieder! Die „alte“ Pia. In Bestform. Aus dem Herz mitten ins Herz getroffen. So echt, so ehrlich, so intensiv. Toll geschrieben. So schwere Worte. Vieles so vertraut. Danke!

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