Stay at home-Tagebuch Tag 30

Erinnert Ihr Euch noch, damals, als es mal so richtig super langweilige Tagebucheinträge gab. So ein Tag war heute und in Anbetracht der Umstände, in denen wir momentan leben, werte ich das mal positiv.

Irgendwann gegen 9 Uhr aufgestanden, Kaffee getrunken, den Tisch gedeckt, die Kinder aus den Betten gepuhlt und gefrühstückt. Das alles hat sich in einem Zeitrahmen von etwa 2,5 Stunden abgespielt. Also sehr gemütlich.

Als ich im Anschluss zu Schulaufgaben aufrief, war die Stimmung jetzt nicht gerade ausgelassen, aber auch nicht zu Tode betrübt. Muss halt, ne? Der Mittlere arbeitete heute echt stabil, der Große gewohnt fleißig und die Gräte … nun, jeder hat mal einen Scheißtag. Heute war ihrer.

Zunächst brauchte sie suuuper lang, um die Aufgaben, die völlig selbsterklärend und null anspruchsvoll waren, überhaupt zu beginnen. In der Zeit, in der ihre Brüder in mehreren Fächern mehrere Aufgaben weg arbeiteten, schaffte sie es gerade mal 10 Wörter tabellarisch zu ordnen. Dann saß sie wieder da und starrte ins Leere.

„Görl, was ist denn los?“ fragte ich sie, als die Brüder fertig und in ihren Zimmern verschwunden waren. Die zu bearbeitende Seite war da immer noch nicht fertig. Es fehlte noch eine simple Heftaufgabe.

Ich konnte zusehen wie das kleine Gesicht zu zittern begann und sich die Augen mit Tränen füllten. Als ich sie schließlich in den Arm nahm, brachen alle Dämme und sie weinte 10 Minuten hemmungslos, bis sie überhaupt ein Wort über die Lippen brachte: „Ich will wieder in die Schule!“

Ich tröstete sie so gut es ging, auch wenn ich ihr überhaupt keine Angaben über den Zeitpunkt machen konnte, zu dem ein Schulbesuch wieder möglich sein wird.

Das Grätenkind, und das weiß ich nicht erst seit gestern, ist ein großer Socializer. Schon im Kindergartenalter war es ihr immer super wichtig unter vielen Kindern zu sein, zu spielen, zu interagieren. Das tut sie zuhause auch mit ihren Brüdern, aber natürlich ist es etwas anderes 5 Wochen am Stück nur mit den eigenen Geschwistern zu interagieren, als mit vielen verschiedenen Kindern in ihrer Klasse und auf dem Schulhof.

Und dabei hat sie das die letzten Wochen wirklich gnadenlos gut gemacht. Sie hat nicht einmal Langeweile geäußert und sich ständig irgendwie selber beschäftigt. Malen, Basteln, Geschichten schreiben, im Garten graben, Fußball spielen, Keyboard üben, Serien gucken, Dinge konstruieren (mit Magneten, Stecksteinen usw.), Xbox spielen, Loom-Bänder knüpfen … sie war wirklich immer irgendwie beschäftigt.

Heute ist das kleine Fässchen dann übergelaufen. Die Aussichtslosigkeit der letzten Wochen, die zuerst mich und dann den Mittleren überrollte, macht auch vor dem Grätenkind nicht halt. Trotzdem habe ich mich bemüht so realistisch wie möglich zu bleiben und ihr keine falschen Hoffnungen oder Versprechungen gemacht. „Morgen“, habe ich gesagt „morgen entscheiden die Politiker, wie es jetzt weiter geht. Auch mit der Schule und den Kindergärten. Dann kann ich dir mehr dazu sagen.“ Es war immerhin etwas, was ich ihr anbieten konnte.

Die Schulsachen haben wir für heute dann einfach sein lassen.

Zum Essen gab es heute die gestern übrig gebliebenen Spätzle mit Käse. Also sowas wie Käsespätzle, auch wenn mich so ein echter Schwabe vermutlich für diese Bezeichnung auslacht. Immerhin hat es allen geschmeckt, die Reste waren verwertet und satt waren wir auch.

Die Feldrunde war heute auch eher klein und überschaubar, da der Große und ich uns doch zu leicht bekleidet auf den Weg gemacht haben und entsprechend ein bisschen rum fröstelten. Aber die Gespräche waren wie immer 1A mit Sternchen.

Wir sprachen über emotionale Intelligenz und Empathie und ich war überrascht, wie genau der Sohn mir all diese Dinge definieren und mit Beispielen erklären konnte. Auch, warum er das so wichtig findet und dass er es eher schwer findet mit Menschen zu interagieren, die eben wenig empathisch sind und „immer nur um sich selber kreisen“. Da liegt auch der Hund begraben, warum dieses Kind halt schon immer besser mit älteren, als mit gleichaltrigen Kindern zurecht kam. Inzwischen hat er da aber wirklich gute Strategien, mit denen er das gut kompensieren kann.

So ein Kind ist im Übrigen auch total super, um die eigenen Elternrolle ein bisschen von außen reflektiert zu bekommen. So ein „Mama, jetzt stell dir mal vor du wärst an meiner Stelle und ich würde dir diese Antwort geben. Wärst du damit zufrieden?“ kann einen schon mal in eine kleine Sinnkrise lenken, funktioniert aber ebenso gut als Erziehungskompass, wenn man sich denn auf solche Gedankenexperimente einlässt. Aber das würde hier jetzt etwas zu deep werden.

Die kleine Feldrunde endete heute jedenfalls mit einer Inspektion des Vorgartens, Bewundern der restlichen blühenden Tulpen und prognostizieren von Blühzeiten der Pfingsrose. Die Pfingsrose vorm Haus blüht nämlich immer zwei Wochen vor der hinterm Haus. Morgensonne und so.

Quelle: coronazaehler.de, 14.04.2020

Der Tag endet gut und hat sich auch, abgesehen von den Tränen der Gräte, gut angefühlt. Es gab sicher schon besser, aber auch mit Abstand schlechtere Tage. Das tägliche Zaubervideo hat mir heute in meinem Tagesablauf tatsächlich ein bisschen gefehlt, aber im Moment lenkt die Spannung vor den morgigen Entscheidungen über den weiteren Fahrplan unseres Landes in Sachen Lockdown, Schulöffnung und Co. noch ordentlich ab.

Ich hoffe nur, dass kluge und realistische Entscheidungen getroffen werden, die sich auch umsetzten lassen und nicht zu neuem Chaos führen, in dem vor allem unsere Kinder nicht zu Ruhe kommen. Ruhe definiere ich in diesem Fall einfach als strukturierter Alltag, wissen wo man dran ist und ein Ziel erkennen. Drücken wir uns also allen mal die Daumen, dass das gut ausgeht.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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4 Gedanken zu „Stay at home-Tagebuch Tag 30

  1. Herrje, es zerreißt mir das Herz, wenn ich das lese. Es ist einfach nicht zu unterschätzen, was auch in den Köpfchen und Herzchen der Kleinen vorgeht. Virtuelle, unbekannte Umärmelung! Seufz.

  2. Schön, zu lesen, dass bei euch gleiche Szenarien statt finden, wie bei uns und das beruhigt mich irgendwie.
    Wir sind auch gespannt, was morgen bezüglich der Schule beschlossen wird.
    Aber ich ziehe den Hut vor Dir, wie Du das alles so meisterst. 👍LG Mandy

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