Stay at home-Tagebuch Tag 36

Eigentlich begann der heutige Tag schon gestern Nacht, als ich ins Bett ging und innerhalb von 20 Minuten drei Kinder bei mir vorm Bett standen und um Asyl baten.

Ihr dürft mich gerne mal fragen wie erholsam meine Nacht und wie ausgeschlafen ist heute morgen wohl war. Auf einer Skala von 1 bis 10 würde meine Antwort vermutlich irgendwo bei -2 liegen. Aber ich will mich nicht beklagen. Immerhin sind solche Nächte sehr selten geworden und so konnten wir wenigstens noch zu Viert den großen Wagen am Nachthimmel durchs Dachfenster betrachten.

Heute Morgen waren alle Kinder entsprechend früh wach. Wenn man mit den Füßen des großen Bruders im Gesicht aufwacht, ist nämlich eher nicht mehr an umdrehen und einfach weiterschlafen zu denken. Aber immerhin haben wir so um 9 Uhr alle am Frühstückstisch gesessen.

Da die Ferien nun offiziell vorbei sind und der Große bereits am Freitag seine neuen Aufgaben für die kommenden zwei Wochen per E-Mail bekommen hat, ging es heute erneut an die Beschulung auf Distanz. So nennt das Ministerium für Schule und Bildung das Lernern zu Hause. Ich rolle immer noch mit den Augen.

Jedenfalls war der Große ob seiner neuen Aufgaben echt motiviert. Die Aufträge sind verständlich formuliert, gut strukturiert und – so denke ich – schaffbar. Die Gräte durfte heute mit der Anton App weitere Subtraktionsaufgaben lösen, mit dem kleinen 1×1 anfangen und in ihren Deutsch-Arbeitsheften weiter arbeiten. Der Mittlere bearbeitete auch noch ein Arbeitsheft, das er in den letzten Wochen einfach nicht fertig bekommen hat, da ihm die Aufgaben viel Schreibarbeit abverlangen. Das war schon immer sein Kryptonit. Ich bot ihm also an, die Texte, die eigentlich ins Hausaufgabenheft gehören, am PC zu schreiben. Endlich war er mal motiviert bei der Sache und ich war überrascht, wie schnell er schon mit seinem Adler-Tipp-System unterwegs ist.

Insgesamt saßen wir heute 4 Stunden über Schularbeiten. Unterbrochen von einer kleinen 15-minütigen Pause im Garten. Bisher waren wir immer so mit 2 Stunden pro Tag hingekommen, da hatten wir aber das Material von vor den Ferien mit in die Ferien gezogen. Jetzt muss ein bisschen mehr weggearbeitet werden, damit das Pensum geschafft werden kann.

Leider kann ich die Kinder gar nicht alleine arbeiten lassen. Die Gräte und der Mittlere fangen gar nicht erst an oder starren aus dem Fenster, wenn ich nicht daneben sitze. Der Große braucht permanent Bestätigung, dass er das auch alles richtig macht und verlangt ständige Zwischenkontrollen. Verlasse ich für 3 Minuten den Raum fängt das Gequatsche an, von dem sich einer dann genervt fühlt, anfängt rum zupöbeln, was dann im Streit endet. Folglich sitze ich die ganze Zeit daneben, gebe Anweisungen, motiviere, radiere, lobe, korrigiere, buchstabiere, atme.

Zwischendurch mache ich eine Maschine Wäsche an, gehe aufs Klo und schlichte erneut Streit und sortiere jeden wieder an seinen Platz. Ich weiß schon, warum ich nicht Lehrerin geworden bin und warum ich niemals die Lehrerin meiner Kinder sein wollte. Mit dem Mittleren war das mit den normalen Hausaufgaben schon jeden Tag eine Herausforderung. Die jetzige Situation setzt dem Ganzen nochmal die Krone auf. Und wir sind gerade bei Tag 1 nach den NICHT-Ferien in der NICHT-Schule!

Immerhin waren alle drei Kinder nach dieser Zeit stolz auf das, was sie geschafft haben.

Ich verzog mich danach für eine halbe Stunde zur liebsten Nachbarin auf unseren obligatorischen Nachmittags-Distanz-Kaffee, besprach dort die neue Einkaufsliste und heulte mich ein bisschen aus.

Danach ging es zurück an den Herd, da ja schon wieder Zeit zum Essen war.

Heute gab es vegetarische Cordon Bleus, Backofenkartoffeln mit Parmesankruste und grünen Salat. Den Salat hatte die Gräte ich gewünscht und verputzte die halbe Schüssel im Alleingang.

Heute wollte der Mittlere gerne wieder eine Runde allein mit mir über die Felder düsen. In Ordnung, da bin ich sofort dabei und auch die Geschwister schienen heute ganz froh darum, einfach daheim abhängen zu können.

Also schnappten wir uns die Roller und machten uns auf den Weg. Da es heute besonders windig war, mussten wir zu Beginn ganz schön strampeln, um von der Stelle zu kommen. Aber als wir den Wind erstmal im Rücken hatten, konnte uns nichts mehr aufhalten. Bis auf der kleine Stein, der sich im Schuh des Mittleren verirrt hatte.

Auch heute führte uns unser Weg wieder zum Golfplatz, der in der prallen Sonne und dem Wind einfach herrlich war. Das Gras war wie ein Teppich, auf dem wir es uns eine Weile gemütlich machten. Natürlich mussten wir auch den Hügel wieder runter kullern und ja, heute bin auch ich gekullert.

Ich sag’s wie es ist: das ist nichts mehr für mich. Ich bin zwei mal runter gerollt und danach war mir so kotz schlecht, dass ich erstmal 5 Minuten flach atmend im Gras liegen musste. Sonst hätte ich den Golfplatz durch halb verdautes Cordon Bleu und Kartoffelspalten mit Parmesankruste verschönert.

Quelle: coronazaehler.de, 20.04.2020

Der Ausflug mit dem Mittleren hat wirklich rundum gut getan. Man vergisst dabei einfach, dass im Moment eigentlich gar nichts so ist, wie es sein sollte. Man vergisst die unruhige Nacht, die Schule, den Haushalt, die Arbeit. Man hat nur Sonne im Nacken, Wind auf der Haut und einen fröhlich vor sich hin plappernden 9-Jährigen, der sich darüber lustig macht, dass seine Mutter nach dem Runterrollen von einem Hügel tief ein und aus atmend mit geschlossenen Augen im Gras liegt, damit sie nicht kotzen muss.

Jetzt rieche ich überall nach Wiese, bin hundemüde und sehr zufrieden. Es könnte wirklich schlimmer sein.

Für eine Nachtwanderung bin ich heute allerdings nicht mehr zu haben. Für eine einsame Runde Nachtschlaf könnte man mich heute allerdings sogar recht früh gewinnen.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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7 Gedanken zu „Stay at home-Tagebuch Tag 36

  1. Ich hatte eigentlich immer einen schnell einschlafenden und im eigenen Bett durchschlafenden Sohn, die Anfangszeit von Corona blieb das auch so, aber seit einer Woche dauert es ewig bis er einschläft und jede Nacht steht er an meinem Bett und will bei mir weiterschlafen…

  2. Hallo Pia,
    Und das geht nicht nur Dir so mit dem ersten Tag nach den Ferien. Bei uns genauso. Also nicht ganz, nur ein Kind ohne Bock. Aber dafür ne Mama, die Lehrerin ist und sich gleichzeitig versucht um die Schulkids zu kümmern, Lernvideos macht, …
    Dummerweise komme ich mit 30 Pubertierenden im Klassenzimmer prima klar, aber das eigene Kind ist halt was anderes.
    Halt durch, ich bewundere euch alle sehr, wie ihr das wuppt!
    Liebe Grüße Moni

  3. Es beruhigt deine Worte zu lesen. Wir sind schon seit letzter Woche Mittwoch wieder dran am Heimunterricht da Österreich. Bei uns ist es leider auch so, daß nicht dran zu denken ist den Raum zu verlassen ohne das sie nur noch quatschen oder streiten oder einfach gar nichts machen. Deshalb sitze ich halt mit dabei am Eßtsich und mache nebenbei nur Kleinigkeiten. Reiche dem Kleinen nach Tagesplan die Sachen & kontrolliere sie gleich durch und versuche beim Großen zu schauen, daß er nicht die Hälfte von seinen Sachen die zu erledigen hat vergißt. Wozu er leider sehr neigt. Oder er nicht ständig im YT hängt wenn er eigentlich online englisch lernen sollte.

  4. Ich geb bei meiner 8-jährigen echt mein Bestes. Festen Stundenplan in der Mamaschule incl. Lieblingsfächer wie Textil und Kunst mit immer neuen Projekten, Lehrerbelohnungsstempeln, schöner Lernatmosphäre, Geschenkchen etc.
    Nach spätestens 10 Minuten kippt die Stimmung. IMMER. Es wird gebummelt, gemeckert, „nein Mama das geht ganz anders“ und dann gerne:
    „Mama! Wir hatten uns auf einen freundlichen Tonfall geeinigt….“ OMG. Ich bin ungeeignet. Ohne daneben sitzen klappt es einfach nicht. Wir sitzen 2-3 Stunden am Tisch.
    Dazu ein Teenie und eine Große mit Corona-Abi….
    Da hilft auch hier nur raus und Sport machen. Dann hat man echt das Gefühl alles ist wie immer.

  5. Hallo Pia,

    es beruhigt sehr zu lesen, dass es woanders genauso läuft wie bei uns. Wobei wir nur ein Schulkind bespaßen und bepuscheln müssen, kleines Kind ist noch Kindergarten und macht nach Laune etwas Vorschule. Länger als zwei Minuten darf man nicht aus dem Raum, dann wird geträumt, mit Stiftkappen gespielt, etc. Es wird ein Wort oder nur ein halbes geschrieben, dann über den Film von gestern Abend philosophiert,
    etc. Es reizt die eh schon strapazierten Nerven jeden Tag aufs Neue.

    Für diese Woche gab es Lösungsblätter zu den Aufgaben, damit das eigenständige Arbeiten abgerundet wird durch das eigenständige Kontrollieren. Vermutlich ist die Lehrerin schon beim Erstellen lachend vom Stuhl gefallen.

    Gefühlt werden die Aufgaben auch von Woche zu Woche mehr und entwickeln sich damit antiproportional zu Motivation, Laune und allgemeiner Gesamtstimmung.

    Seit heute greifen wir zu unlauteren Mitteln und geben für eine erledigte Zeile vom Aufgabenzettel zwei Ninjagokarten aus. Mal schauen wie lang diese Triebkraft anhält.

    Vorallem mit Blick auf das noch nicht abzusehende Ende hoffe wir, dass wir das Alles bis zum Ende irgendwie wohlbehalten durchstehen.

    Liebe Grüße
    Dani

    P. S. Obendrauf wartet unsere Corontäne noch mit Specialeffects wie Wasserschaden und anschließender 16 tägiger 24/7 Bespaßung durch Trocknungsgeräte in drei Räumen auf.

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