„Ich pass‘ auf mich auf.“

Distanzbeschulung Tag 3. Die Stimmung schwebt irgendwo zwischen Motivation und Resignation. Der Mittlere diskutiert nicht mehr. Yay! Die Gräte schimpft über stupide Kunst-Aufträge. Nooo! Und der Große zieht 4,5 Stunden ohne Pause oder Unterbrechung durch.

Für die Tatsache, dass hier alle um 8 Uhr angezogen und satt am Tisch sitzen und mit ihren Arbeitsaufträgen anfangen, ernte ich ja viel Hohn und Spot. Aber mir wird ja ohnehin ständig eine verkappte Anwartschaft auf einen imaginären Muttiorden nachgesagt. Da macht das jetzt auch nichts mehr aus. Tatsächlich aber habe ich im Vorfeld mit den Kindern gesprochen, wie sie es gerne haben wollen.

Länger Schlafen, später anfangen, später fertig sein oder früher aufstehen (was immer noch länger ist, als die reguläre Aufstehzeit zu Schulzeiten), pünktlich anfangen und entsprechend früher Freizeit haben? Guess what: die Kinder wählten Option 2.

Wer mich ein bisschen kennt weiß, dass ich Option 1 gewählt hätte. Ich schlafe nämlich für mein Leben gerne.

Was heute gut lief: der Mittlere hat wirklich super sauber und strukturiert gearbeitet. Ein schöner Nebeneffekt, wenn die fertigen Arbeiten bei Moodle hochgeladen werden müssen. Normalerweise schauen die Lehrer nur im Vorbeigehen über die Hefte. Jetzt muss er damit rechnen, dass sie einen genaueren Blick darauf werfen.

Deutsch, Mathe, Biologie, Religion und Musik standen heute auf seinem Plan. Die Englischaufgaben wurden leider erst nach Mittag bei Moodle eingestellt und wenn ich einmal „Fertig!“ deklariere, dann ist für heute fertig.

Die Gräte arbeitete sich weiter durch Deutsch, Sachkunde und Englisch. Mathe hat sie bereits fertig und will ständig die Zusatzaufgaben bearbeiten. Grundsätzlich kein Ding, aber ich konnte sie dann doch überzeugen erst die Pflichtaufgaben zu erledigen. Über Kunst schimpfte sie wie ein Rohrspatz. Da sollen sie eine große Weihnachtsbaumkugel anmalen – okay – und ein Blatt mit ganz vielen kleinen Kugeln. Die haben aber alle vorgegebene Muster und es ist letztendlich eine wirklich stupide Fleißarbeit, so dass sie nach dem halben Blatt für heute hinschmiss.

Mit dem Großen hatte ich heute durchaus meine Diskussionen. Der weigerte sich nämlich standhaft auch nur 5 Minuten Pause zu machen. Halte ich ja gar nicht für vernünftig oder gesund, aber er ist der Typ, der lieber alles weggearbeitet hat als sich ständig vor Augen halten zu müssen, dass er gleich noch mal ran muss. Bei ihm waren es heute die Fächer Deutsch, Mathe, Geschichte, Erdkunde, Biologie und Religion. In Summe machte das 8 DIN A4 Seiten geschriebenes Zeug. Irre. Total irre!

Kein Wunder also, dass er quasi schon die Schuhe anhatte, als ich nach einer Runde übers Feld fragte.

Feld! Atmen! Frische Luft. Keine Sau, außer uns, unterwegs. Das tat wirklich unglaublich gut. Auch einfach mal die Zeit zu zweit zu haben, zu reden, richtig zuhören zu können … sowas geht bei drei Kindern oft mal unter.

Wir redeten viel über das Jahr und was alles anders war als in den Jahren zuvor. Auch beschäftigt ihn natürlich die Frage, wann die Pandemie eigentlich offiziell vorbei ist. Dass ich ihm keine verbindliche Antwort geben kann ließ ihn tief seufzen. I feel you, mein Kind!

Aber er freut sich trotzdem auf Weihnachten und die Ferien. Ich bin immer wieder dankbar, dass ich tatsächlich in diesen Zeiten drei Kinder habe, die gerne zuhause und im Kreise ihrer engsten Familie sind. In 5 Jahren sieht das vielleicht auch anders aus, aber jetzt, genau jetzt, passt es einfach perfekt.

Zum Abschluss gingen wir mal wieder über den Friedhof, besuchten den neu angelegten Friedwald und blieben an den frischen Gräbern kurz stehen. Friedhöfe sind in unserer Familie einfach so ein Ding, das ganz viel Ruhe rein bringt. Im positiven Sinne, wohlgemerkt. Alle meine Kinder gehen gerne auf den Friedhof, lesen Grabsteine und überlegen dann, wie sie einmal bestattet werden wollen. Oder wir Eltern.

Das kann man jetzt morbide finden oder einfach als das wahrnehmen, was es ist: Auseinandersetzten mit dem Leben. Denn zum Leben gehört das Sterben dazu.

Auf dem Rückweg fragt mich der Große, was für mich das Allerschlimmste wäre. Ich antworte, wenn eines meiner Kinder sterben würde.

Er nickt: „Ich pass‘ auf mich auf, ok?“
Ich lächle: „Danke.“

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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4 Gedanken zu „„Ich pass‘ auf mich auf.“

  1. Ich freu mich so über deine Beiträge…

    Ich bin auch der Muttiordentyp. Alles strukturiert, zeitig anfangen. Anders würde es hier gar nicht funktionieren. Nachmittags? Undenkbar. Aber immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Schule doch ist. Meine Tochter, 5. klasse Gymnasium, bekommt nur Aufgaben in Deutsch, Mathe und Englisch. Einziges Nebenfach Biologie wo sie Aufgaben bekommen hat. Und wir sind auch NRW.
    LG Katja und Co.

  2. Hier auch große Friedhofsliebe schon seit Jugendtagen. Hab sogar mal ne Kunstarbeit über Grabsteine gemacht und auf nem stillgelegtem Friedhof Chorpoben gehabt :o)

    Ich finde, es gibt auch nix schöneres als auf großen Friedhöfen spazieren zu gehen…

  3. Ich finde es toll, das ihr soviele Aufgaben bekommt. Bei uns läuft das sowas von chaotisch. Die einen stellen was ein, die anderen irgendwann oder auch gar nicht. MS Team wird teilweise verweigert, weil den Lehrer das zu kompliziert ist.
    Ich bin hier echt am spucken.
    Naja jetzt sind ja erstmal Ferien

  4. Der Friedhof hier in unserem Ortsteil von Aachen ist einer der schönsten und ruhigen Orte im ganzen Ortsteil. Parkartig angelegt, keine Autos und wenig andere Menschen. Ein ganz toller Ort. Meine Jungs und ich gehen gerne darüber spazieren. Ihr seit mit dem Gefühl nicht alleine.

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