„Was sollen die Leute denken?“
„Nur Assis lassen sich tätowieren!“
„Stell dich nicht so an!“
Willkommen in meinem Museum der Glaubenssätze, die sich in meiner Kindheit eingebrannt haben. Diese Sätze waren keine netten Lebensweisheiten, sondern unsichtbare Regeln, die alles kontrollierten: mein Verhalten, meine Gedanken und – ohne dass ich es wusste – sogar meine späteren Entscheidungen als Mutter.
Als ich selbst Kinder bekam, habe ich diese Glaubenssätze unbewusst weitergegeben. Nicht, weil ich es wollte, sondern weil ich sie nie hinterfragt hatte. Aber dann kam der Moment, der mich zum Nachdenken brachte: Ich sah, wie meine Kinder begannen Verhaltensmuster zu zeigen, die mir nur zu bekannt vorkamen. Angepasst, maskierend, ständig bewertend – genauso, wie ich jahrelang selber war. Grauenvoll!
Das war mein Weckruf. Ich wollte diesen Kreislauf nicht fortsetzen. Aber um das zu schaffen, musste ich erst verstehen, woher diese Muster kamen.
Der Generationenvertrag: Unsichtbare Regeln, große Wirkung
Man nennt es den Generationenvertrag – nicht im juristischen Sinne, sondern im familiären. Es ist die unbewusste Weitergabe von Traumata, Ängsten und Glaubenssätzen von einer Generation zur nächsten.
Meine Großeltern, geprägt von Krieg und Entbehrung, gaben ihre Ängste und Überzeugungen an meine Eltern weiter. Diese wiederum prägten meinen und den Blick meiner Geschwister auf die Welt:
- „Was sollen die Leute denken?“ – Die ewige Angst vor sozialer Ausgrenzung.
- „Stell dich nicht so an!“ – Ein Relikt aus einer Zeit, in der man funktionieren musste.
- „Man muss realistisch sein!“ – Die glamouröse Tarnung für chronischen Pessimismus.
Diese Glaubenssätze sind wie Software, die im Hintergrund läuft. Sie beeinflussen unser Handeln, unsere Entscheidungen – und wie wir unsere Kinder erziehen.
Wie meine Kinder zu kleinen Spiegeln wurden
Die ersten Jahre meiner Elternschaft waren ein Spiegel meiner eigenen Prägung. Wir instruierten die Kinder, wie sie sich bei Familienbesuchen zu verhalten hatten, um Kommentare und Wertungen der Verwandtschaft abzuwenden. Wir trauen ihnen nicht zu, das allein zu lernen. Höfliches Verhalten? Klar, aber sicherheitshalber vorgeplant.
„Das macht man nicht!“, war ein Satz, der auch bei uns häufig fiel. Auf die Frage „Warum nicht?“ hatten wir selten eine wirklich plausible Antwort. Da erkannte ich irgendwann, dass dieses „dirigieren“ absoluter Unsinn war. Denn wie soll jemand lernen, zu seiner Meinung zu stehen, wenn er von Anfang an den Mund verboten bekommt?
Und dann sah ich sie. Diese Verhaltensmuster, die mir so vertraut waren und die mir all die Jahre soviel Kraft abverlangt hatten: Sich anpassen, Emotionen zurückhalten und bewerten, um nicht selber bewertet zu werden. Genau das, was ich selbst jahrelang gemacht hatte. Immer deeskalierend, immer nickend – nicht, weil ich überzeugt war, sondern aus Angst, selbst Ziel von Kritik zu werden.
Es war, als hätte ich meine Kinder zu kleinen Spiegeln gemacht. Und in diesem Spiegeln sah ich, wie ich ganz und gar nicht sein wollte.
Gefühle und Grenzen: Kein Egoismus
Ein entscheidendes Learning war: Auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu hören, hat nichts mit Egoismus zu tun. Es ist das Recht jedes Einzelnen, seine physischen und mentalen Grenzen zu wahren – auch, wenn einem eingeredet wird, das sei egoistisch.
Ich begann, mich mit meinen eigenen Glaubenssätzen auseinanderzusetzen:
- Warum ist es wichtig, was andere denken?
- Warum sollten Optimismus und Freude weniger wert sein als „Realismus“?
- Warum habe ich Angst davor, mich zu positionieren?
Die Antworten waren nicht immer angenehm. Aber sie waren der Schlüssel, um diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Glaubenssätze und Muster zu durchbrechen, passiert nicht über Nacht. Ehrlich gesagt hat es mehrere Jahre gedauert vom „Erkennen“ bis zum „Verhalten ändern“. Es ist ein Prozess, der Zeit, Geduld und Mut erfordert und leider auch viele Tränen mit sich bringt. Aber er war so notwendig und letztendlich auch wirklich heilsam.
Ich kann die Vergangenheit nicht ändern. Aber ich kann verhindern, dass ihre Schatten meine Zukunft bestimmen – und die meiner Kinder. Es ist okay, Fehler zu machen. Es ist okay, nicht perfekt zu sein. Und es ist vor allem okay, auf sich selbst zu hören.
Denn am Ende zählt nicht, was die Leute denken. Es zählt, was wir selber von uns halten, dass wir uns mögen und hinter unserem Denken und Handeln mit voller Überzeugung stehen. Wir müssen lernen, unsere eigenen programmierten Muster zu erkennen und den Mut finden, sie zu ändern – für uns und für die Generationen nach uns.
In diesem Sinne: Seid mutig!
Eure Pia
„Es war, als hätte ich meine Kinder zu kleinen Spiegeln gemacht.“
Sehr schöner Satz. Ich habe mir auch geschworen, niemals den Satz „Das muß man durch.“ zu sagen. (Das Triggerstatement aus meiner Kindheit.) Anderseits befürchte ich, dass man den Kindern einfach andere „Traumata“ mitgibt als die, die man selbst erfahren hat. Aber wir können zumindest versuchen, der gesellschaftliche Fortschritt zu sein, den wir in der Welt gern sehen würden.
Ich hab meine Kinder früh desillusioniert und klar gesagt: Nicht alles was wir Eltern tun ist immer richtig. Aber wir handeln aus bestem Wissen und mit den besten Absichten. Auch sie müssen reflektieren, ob sie mit unseren Glaubenssätzen leben wollen. Deshalb Werte ich sie oder ihre Meinungen nie ab. Aber wir diskutieren drüber und gerade der Große hat mich schon oft von seiner Meinung überzeugt.
Pia, so ein wunderbarer, wahrer und wichtiger Text. Er gehört in die Welt gebrüllt! Danke für deine Reflexion mit dir selbst und das Teilen mit uns!
Ich finde das interessant, denn in Deinem Blog hat man solche Dinge eigentlich sehr selten rausgelesen. Ich müsste meine eigenen Glaubenssätze mal überdenken. Allerdings weiß ich, dass mein (erwachsenes) Kind sehr früh sein Ding gemacht hat. Er hat zum Beispiel mit 14 angefangen zu rauchen – und ich habe ihm regelmäßig gesagt, dass das für ihn als Asthmatiker einfach nur dumm ist. Und generell ist Rauchen ja jetzt nicht so der burner. An seinem 18. Geburtstag hat er aufgehört. Das war vor einem Jahr. Ich habe mir immer gewünscht, dass er die Schule ernst nimmt – hat nie geklappt. Er macht jetzt offenbar trotzdem einen Abschluss. Gut hätte ich gefunden, hätte er Bücher gelesen. Keine Chance. Sämtlich Eltern-hacks wie „in die Bücherei mitnehmen“, Bücher zur Verfügung stellen, vorlesen, zusammen lesen, Comics, Sportzeitschriften etc – es wurde verweigert. Mit 17 hat er angefangen, jetzt zieht er ein Buch nach dem anderen weg, natürlich nur anspruchsvolle Literatur, letztens gerade Orwells „1984“. Er war 18 Jahre quasi resistent gegen meine Ansprüche, Erziehungsmaximen etc… Muss man als Mutter auch mit klar kommen.
Ein sehr wichtiges Statement. Ich habe diese Erfahrung, dass es wichtig ist bei Ungerechtigkeit den Mund aufzumachen, ungefähr in der 7. Klasse gelernt. Klar war ich dadurch auch oft Ziel von Mobbing oder Ausgrenzung, aber dann gab es immer mal wieder den oder die Eine, die sich dann trotzdem mit mir abgegeben hat und genau das ist der Punkt. Es wird immer wieder Situationen geben wo man aneckt, wenn man mal seine Meinung sagt, aber genau die, die sich dann von einem abwenden, waren dann eben auch nicht gut für seine eigene mentale Gesundheit und dann ist das auch gut, dass man auseinander geht. Die Freunde/Familie die nach einem offenen Gespräch auch weiterhin hinter einem stehen, dass sind die richtigen Leute die einen dann auch vermutlich das ganze Leben lang treu bleiben. Aber genau das muss man lernen, zu seiner Meinung stehen, Neues ausprobieren, egal ob die anderen das jetzt gerade doof finden, seine eigenen Erfahrungen machen.
Kinder dürfen und sollen nicht in Watte gepackt werden, auch wenn ich selbst dann oft skeptisch blicke und den typischen Satz sage: Aber pass gut auf!…
Falls sie dann doch mal auf die Nase fallen, dann werden sie daraus lernen und es beim nächsten Mal eben anders machen. So ist das und so ist es auch gut.
Den Spruch „was sollen die Leute denken“? Hört man auch recht oft, gerade wenn man eine Familie gründet. Kleinkinder schreien, schmeißen sich auf den Boden oder wollen sich halt mal nicht benehmen. Eltern müssen lernen das zu akzeptieren! Es ist nun mal so! und das ist bei JEDEM Kind so!!! Mir doch egal was also der Rest um mich herum denkt, die waren auch alle mal Kinder. Sollen die Leute doch gucken. Wenn ich eine solche Situation sehe, dann versuche ich die Eltern anzulächeln. Vielleicht bringt das ein wenig Erleichterung! Immerhin kenne ich diese Situation doch nur zu gut ;-)