hessisch-sibirische Geschichten

Als ich 13 Jahre alt war erklärte mir mein großer Bruder, die größten Fehler, die man bei seinem ersten Mal machen könnte, wären es, betrunken zu sein und es im Dunkeln zu tun.

Das sind solch Sachen die mir in den Sinn kommen, wenn ich ein klein wenig melancholisch an die Zeit denke, in der wir uns noch regelmäßig – na ja, zumindest 2 mal im Jahr – alle bei meiner Oma trafen. Im Esszimmer meiner Oma hing ein riesiger Kronleuchter über dem weißen Esstisch mit Löwenkopffüßen. Auf dem Tisch lag eine altroséfarbene Tischdecke und darüber eine dieser häkeldeckennachempfundenen Gummidecken – tropfsicher, kleckssicher, abwaschbar. Zuerst schütze diese Decke Omas gute altrosénen Erbtischdecken vor meinen Geschwistern, 10 Jahre später dann vor mir und weitere 10 Jahre später vor meinen Nichten und meinem Neffen.
An diesem Tisch saßen wir dann alle: meine Schwester nebst Freund (später Mann) und Kindern, mein Bruder nebst Frau (später Freundin) und Kind und ich mit meinem Anhang. Wir tranken irgend ein hessisches Pils aus 0,33er Flaschen – ich habe einmal „aus Versehen“ auf einer Dorfkirmes dieses kleinen verschlafenen hessisch-sibirischen Dörfchens „3 Kölsch!“ bestellt, weil ein echter Kölner nie „3 Bier!“ sagt – essen Kartoffelsalat mit Hering und rauchen was das Zeug her gibt. Zwar hörte in den Jahren einer nach dem anderen mit dem Rauchen auf, trotzdem habe ich mir nach dem Tod meiner Oma „den Aschenbecher aus dem Esszimmer“ angeeignet. Ich häng an dem hässlichen 70er Jahre Ding einfach zu sehr.
Reihum erzählen wir uns haarsträubende, skurrile und abenteuerliche Stories der vergangenen Monate. Der eine trägt etwas dicker auf, der andere etwas weniger – hier wird etwas ausgeschmückt, da etwas verblümt – aber das ist egal, denn wir wissen alle, was man wem glauben kann/darf und erfreuen uns einfach an den Geschichten, dem Gelächter, den großen Augen und den zugehaltenen Ohren der „Kleinen“.
Zu sehr später Stunde verfällt mein Bruder dann in monotone Wiederholungen ein uns des selben Satzes, meine Schwester gähnt wie ein Löwe und ich fummel´ an der kleinen Porzellan-Ballerina herum, die auf dem Karminsims steht, um nicht vom Stuhl zu kippen. Einer nach dem anderen verschwindet ins Bett, bis die letzten etwa gegen 5 Uhr schlafen gehen.
An diesen Wochenenden passierte nie etwas wirklich spektakuläres, unglaubliches oder atemberaubendes … trotzdem waren sie kleine Highlight auf die man sich gefreut hat und die ich heute sehr vermisse.

Bei meinem ersten Mal war ich übrigens sturzbesoffen und es war stockdunkel – manchmal, ja manchmal, sollte man auf seinen großen Bruder hören!

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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21 Gedanken zu „hessisch-sibirische Geschichten

  1. Laut herschenden Gerüchten ist bei Frauen das erste mal doch zu 80% eh immer scheiße, also ist es glaube ich legitim es dann ein wenig mit Alkohol zu „verfeinern“.

  2. Ob’s sch… ist oder nicht hängt wohl zu einem großen Teil vom Mann ab – das „Verfeinern“ sollte also nicht nötig sein…

  3. Im dunkeln ist gut munkeln ^^. Mein erstes mal war auch im dunkeln, betrunken war ich nicht, aber besser wäre es gewesen. Nein im dunkeln ist einfach doof. Bei manchen Frauen und Männer ist es aber besser es ist dunkel und man ist betrunken…ggg. Man hätte wohl tatsächlich besser mal auf den grossen Bruder gehört, leider bin ich das, da ist also guter Rat teuer.

    So schön, schön war die Zeit..lalalala :wink:

  4. @Pia: selbstverständlich
    @Jan: Löwenkopffüße sind Füße (in diesem Fall die des weissen und vermutlich sehr massiven Esstisches) in Form von Löwenköpfen.

  5. Ist es einer dieser geschwungenen Aschenbecher, die man in einandersetzen kann, und deren komische Farben im aufeinandergesetzten Zustand nur noch komischer wirkt?

  6. Sie tendieren vorallem dazu sehr schmuddelig zu werden…

    Was ich mich frage, wieviel kölsch man trinken muss, das man mit seiner Familie bis 5 Uhr morgens erzählen kann, bei uns ist so bist spätestens 23 Uhr alles gesagt und geklärt und jeder verschwindent wieder. Vielleicht sollte ich es mal mit kölsch statt mit Clausthaler versuchen..

    :ja:

  7. @Schnüggel: Das Geheimnis ist die treibende Kraft von Kölsch. Wenn jeder am Tisch alle 5 Minuten aufs Klo rennt, dauert so ein Gespräch eben etwas länger ;)

  8. @Schnüggel:
    Bei uns hat sich der Rotwein aus Vaters Weinkeller für solche Gelegenheiten als sehr geeignet erwiesen. :grin:
    Ärgerlich ist nur, dass einen die Tochter genau 5 Minuten, nachdem man das Bett letztendlich doch gefunden hat, recht unsanft aus dem Bett zerrt. :evil:
    Aber zum Glück spielt sie dann auch gerne mit der Oma und man hat noch ein wenig Ruhe :schnarch:

  9. Wo ist denn hessisch Sibirien? Ich wohne in Nordhessischen LK Waldeck-Frankenberg und ich bin mir sicher, dass das Dörfchen hier um die Ecke ist :ja:

  10. @Anaxabia also ich kenne aus meiner Zeit in Hessen folgende Entsprechungen: Hessisch-Kongo= Alles südlich von Darmstadt, Hessisch-Sibirien=Alles nördlich von Giessen, Hessisch-Unganda=Hanau…

  11. Boh ey, hessisch-sibirien oder hessinsch-uganda…. :-(

    Um mal bei euren netten Umschreibungen im Bereich Geographie zu bleiben, hier in Hessisch-Kongo gibt es auf der Kirmes auch Kölsch!
    Also Pia, hier wärst du dann schon richtiger gewesen…. :-)
    Aber auch Hessische bier sind doch lecker, oder nicht? :box:

    @Patrick: Ja Geschieden und dann doch wieder Freundin??? Klingt etwas strange! :cool:

    Seeya
    Alex

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