Loslaufen vs. Weglaufen

Eine Sache, die ich mit diesem Erwachsensein verstanden habe: man kann vor Problemen nicht weglaufen. Die sind in der Regel nämlich genau so schnell wie man selber und wenn man dann irgendwo ankommt, sind die schon da. Noch da. So wie bei der Geschichte vom Hase und vom Igel. Trotzdem zucken meine Flucht-Reflexe noch auf, wenn mein Kopf voller Sorgen ist. Und als ich da am Sonntagabend so saß und ein bisschen Bammel vor der neuen Woche hatte, da war das wirklich wie so ein Bild in meinem Kopf. Rennen. Ich will einfach nur rennen.

Also zog ich Montagmorgen meine Laufklamotten an, brachte die Kinder in die Schule bzw. den Kindergarten und lief los. Wieder raus aufs Feld, die alte Strecke, die ich im Sommer noch gelaufen bin. Tatsächlich hatte ich mir die Freude am Laufen im Sommer selber versaut, als ich quasi zu einem Wettkampf gegen mich selber angetreten bin und versuchte, so schnell wie es mir möglich war, die 5 Kilometer zu laufen. Zwar habe ich damals eine neue persönliche Bestzeit erlaufen, aber die Freude und Euphorie, die ich sonst immer nach dem Laufen empfunden habe, war total ins Gegenteil gekippt. Ich war erschöpft, müde, wütend. So richtig, richtig wütend. Das konnte man aus meinem Instagrameintrag zu diesem Lauf auch heraus lesen.

Ich hab meine Laufschuhe wütend in die Ecke gefeuert, die Klamotten in die Wäsche gesteckt und bin dann – bis auf eine Ausnahme im September – gar nicht mehr gelaufen. Zwischendurch habe ich immer mal wieder darüber nachgedacht, aber immer wenn mich hier oder auf Instagram wieder jemand fragte, ob und wann ich mal wieder laufen würde, habe ich mich wie ein bockiges Kind in die Ecke gestellt und wieder „Nö! So schon mal gar nicht!“ gedacht. Oh ja, ich kann auch heute noch sehr gut bockig sein.

Nun war da also dieser Flucht-Reflex: Lauf, Pia, lauf! Und so bin ich wieder los gelaufen. Ohne dabei auf die Zeit oder die Distanz zu achten. Ich entschied an der einen Wegkreuzung, dass es nach links geht und an der nächsten, dass ich noch eine weiter laufe. Zwischendurch begann es zu regnen und ich stellte mal wieder fest, dass ich viel lieber im Herbst/Winter bei Kälte und Regen laufe, als im Sommer, bei Hitze und trockener Luft.

Die ersten Kilometer dachte ich auf meinen Sorgen herum und überlegte mir neue Wege und Lösungen. Das fühlte sich gut und produktiv an und nicht klein und eingeengt. Irgendwann bemerkte ich, dass ich gar nicht mehr denke. Das ist dann der Moment, in dem man sich den Kopf frei gelaufen hat und die Beine sich quasi von alleine bewegen. Und genau dieses Gefühl ist es, das ich am Laufen immer so geliebt habe, bevor nur noch Zeiten, Häufigkeit und Distanzen wichtig wurden.

So oft wurde mir nahe gelegt, doch mal diesen oder jenen Wettkampf zu laufen. Und ja, ich hab wirklich drüber nachgedacht. Aber ich kenne mich auch selber ziemlich gut. Sobald sich in etwas, was mir Freude bereitet, Druck aufbaut – und sei es nur künstlich oder selbst herbeigeführter Druck – ist der Spaß völlig weg. Plöpp. Wie eine platzende Seifenblase. Nur ohne hübsch und so.

Jedenfalls habe ich mich nach dem Lauf am Montag wie ein neuer Mensch gefühlt. Die Sorgen waren zwar noch da, aber mit viel mehr Leichtigkeit zu schultern. Laufen ist nun mal auch keine Zauberei. Vielleicht sind es die Endorphine oder das Serotonin, die dabei ausgeschüttet werden. Wen interessierts, wenn das Ergebnis stimmt.

Und so bin ich am Mittwoch direkt wieder los gelaufen und ja, ich überlege schon, wann ich das nächste hübsche Zeitfenster für eine schnelle Runde über die Felder nutzen kann.

Meine Laufselfies sind übrigens immer noch obligatorisch und nach wie vor würdelos. Da lege ich großen Wert drauf. *gnihihi*

 

 

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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21 Gedanken zu „Loslaufen vs. Weglaufen

  1. „Vor allem verliere nie die Lust am Gehen. Ich gehe jeden Tag zu meinem Wohlbefinden und entferne mich so jeder Krankheit. Ich habe mir meine besten Gedanken ergangen, und ich kenne keinen noch so großen Kummer, den man nicht weggehen kann.“

    – Sören Kierkegaard

  2. Das freut mich dass du zum laufen zurück gefunden hast. Ich empfinde es auch immer als sehr befreiend. Ich kann da so schön dabei nachdenken oder eben auch gar nix denken und einfach nur mit mir selbst unterwegs sein.
    Ich könnte mir vorstellen dass du bei einem Wettkampf / Stadtlauf die schnelle Zeit die du dort erläufst nicht als so „nervig“ empfindest weil das Gefühl ein anderes ist wenn man an einer Veranstaltung läuft. Also ich bin im Training an sich nie so schnell wie mal auf nem Stadtlauf oder so. Will ich auch gar nicht. Mir fehlt dazu die Motivation. Bei ner Veranstaltung ist diese dann da und fühlt sich auch danach gut an. Und im Training mach ich es dann wieder so wie ich will.

  3. „Sobald sich in etwas, was mir Freude bereitet, Druck aufbaut – und sei es nur künstlich oder selbst herbeigeführter Druck – ist der Spaß völlig weg.“

    Danke! Endlich beschreibt mal jemand genau das, was auch häufig in mir vorgeht.
    Ich kann es nicht ertragen, wenn ich jemandem erzähle „Ich habe angefangen xy zu machen und schaue mal, wie das so ist.“ Und dann direkt eine Tirade kommt, was, wie und überhaput ich das jetzt schöner/besser/intensiver machen könnte und was ich sonst noch alles tun soll etc…

    Das macht mir Druck, das macht mir keinen Spaß mehr. Weil sich direkt Erwartungshaltungen aufbauen (bei mir oder anderen), die ich dann fürchte, eh nicht erfüllen zu können…Zack, Stress.

  4. Für Sport muss immer Zeit sein. Schließlich geht es um Gesundheit und Wohlbefinden. Um deine Krankheit kümmert sich die Medizin. Um deine Gesundheit musst du dich selber kümmern.

  5. Exakt das Gleiche ist mir auch passiert.
    Wettkampfdruck, Zeitdruck, keine Lust mehr, fast drei Monate nicht mehr gelaufen.
    Bin dann irgendwann, als mein Kopf zu voll und mein Körper zu unruhig wurde, einfach nach Gefühl wieder losgelaufen – und da war sie wieder, die Freude!
    Ich kann mit strengen Plänen nichts anfangen, für mich ist Laufen eher Therapie, als Sport. Den Kopf freibekommen und sich körperlich wohl fühlen, das reicht als Ziel doch völlig aus.

  6. Ich kann dich sehr gut verstehen! Ich laufe wahnsinnig gerne und mittlerweile schon eine beachtliche Strecke in einer guten Zeit. Ich habe jedoch keinerlei Interesse mich zeitlich wahnsinnig zu verbessern oder eine noch weitere Strecke zu schaffen. Oder OMG bei einer Laufveranstaltung mitzumachen!!! Grauenhafte Vorstellung mit hundertet anderen Läufern rundum mir zu laufen. Ich laufe viel lieber ganz alleine im Wald. Nur ich und meine Gedanken. Niemand um den ich mich kümmern und richten muss. Ich darf nur auf meine Atmung achten und laufe das Tempo, dass MIR passt – nicht dem Laufpartner.
    Laufen ist für mich Entspannung und Meditation.

  7. Ich „inhalierte“ vergangenes Wochenende Kathrine Switzer „Marathon Woman“ – neben der Entwicklung des Frauenläufertums, ganz viel zum Thema Laufen als Kraftquelle. Daran musste ich gerade beim Lesen Deines Posts wieder denken – gibts sicherlich auch als Hörbuch :-) (Lese- bzw. Hörempfehlung)

  8. SO klingt bei Ihnen ein richtig wütender Instagrampost? Ich fand den ja total gechillt, als ich ihn im Sommer gelesen habe. „Nö, will ich nicht“, klang so nach lässigem Achselzucken und nicht nach großer Emotion.
    Wie schön, dass es jetzt wieder losgeht. Ich hab vor anderthalb Jahren angefangen und habe das mit diesen Zeiten etc. gleich gelassen. Das entspannt!

  9. Heute muss ich dir mal vehement widersprechen. Deine Laufselfies finde ich ganz und gar nicht würdelos, sondern sehr ästhetisch und inspirierend. Man spürt fast selbst die kalte Luft in den Lungen und möchte am liebsten direkt loslaufen. Schön, dass du die Freude am Laufen wieder gefunden hast!

  10. Ich LIEBE würdelose Sportselfies (auch wenn ich jetzt finde, da sind deine noch verschlimmerungswürdig.. :D)!
    Schön, dass die Freude daran zurück ist. Mir gelingt so ein „Flow“ zwar nur sehr sehr selten, weil echt oft der Spaß fehlt, aber wenn er auftritt fühlt sichs richtig gut an.
    Viel Spaß weiterhin!

  11. Kenne ich. Erst die Euphorie des Anfangslaufens, dann die Euphorie, längere Strecken zu schaffen, schneller zu laufen, regelmäßiger zu laufen. Und dann geht irgendwann der Spaß verloren und die Anstrengung fängt an und alles wird schal.
    Ich habe mir danach auch alle hochtrabenden Ziele aus dem Kopf gestrichen, Druck rausgenommen und das Laufen auf das eingedampft, was mir gut tut. Seitdem laufe ich 1-2 Mal die Woche kleine Runden mit Freundinnen und mal ne größere Runde alleine, wenn es Not tut. :-)
    Manchmal laufe ich auch ein paar Wochen nicht. Aber das schöne Gefühl, das habe ich immer wieder und mir so erhalten können.

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