Manchmal könnte ich mich vergessen …

Wenn der Quietschbeu diese cholerischen Schreianfälle hat, dann ist das, als wenn mir jemand immer wieder mit der Faust mitten ins Gesicht haut. Es verletzt, es schmerzt, macht unglaublich aggressiv und man ist absolut handlungsunfähig. Meist sind das dann noch die Momente, in denen jemand zu diagnostizieren weiß, dass er bestimmt Hunger hat. Egal, ob ich ihn vor 5 Minuten gefüttert habe, oder nicht. Da möchte man dann schon gerne ausflippen.

Es gibt solche Moment, da habe ich Angst mich zu vergessen. Dann erschrecke ich vor mir selber, lege mein Baby in seinen Laufstall und verlasse den Raum. Das ist in diesen Augenblicken einfach besser für mich, für ihn, für uns. Doch dann quält mich dieses schlechte Gewissen, nicht Nerven genug zu haben, um meinem Baby beistehen zu können. Viel schlimmer, ich verlasse es sogar noch und lasse es in seinem Kümmer und seiner Not alleine. In diesen Momenten hasse ich mich für meine Unzulänglichkeit!

Dann brachte der Mann Ohrstöpsel mit. Solche, mit denen man eine Panzerfaust abschießen kann, ohne taub zu werden. Und diese Ohrstöpsel schenken mir in vielen Situationen den Tick Gelassenheit, der mir bis dato fehlte.

Eben fütterte ich den Quietschbeu nach einem sehr langen, lauten und hysterischen Kreischanfall. Ich weinte mit geschlossenen Augen, weil es so anstrengend und ermüdend ist, wenn er eine Stunde am Stück schreit, als würde man ihn umbringen wollen und nichts kann ihn beruhigen. Und plötzlich greift sein kleines Händchen nach meinem Daumen und umklammert ihn, seine blauen Augen suchen meine und er sieht mich an und lächelt. Mit dem Flaschensauger im Mund, so dass Milch daneben läuft und ihm am Kinn hinab perlt.

Und ich muss leise lachen und weinen und küssen. Mir geht das Herz auf und ich bin die glücklichste Mutter auf diesem Planeten.

Inzwischen glaube ich, dass Koliken so etwas wie ein Test sind. Ein Test für das kommende Leben mit Kind. Für alle Probleme und Sorgen, die einem auf dem Weg des Mutterseins begleiten.

Doch immer wenn man denkt an seine Grenzen zu stoßen, geben diese kleinen Wesen einem mit nur einem Augenaufschlag wieder soviel Energie, dass alle Strapazen der Stunden, Tage und Nächte zuvor vergessen sind. Es ist schon ein Seltsames, dieses Mutterding.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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22 Gedanken zu „Manchmal könnte ich mich vergessen …

  1. Das hast du wirklich schön geschrieben. Und ja, ich fühle mit dir. Mein Kleiner wird am Samstag zwei Jahre alt und ich kann mich noch genau an solche Situationen und Gefühle erinnern. *drück*

  2. Mein allerherzlichstes Mitgefühl! Solche Augenblicke (beider Art…) kenne ich auch zur Genüge. Es ist schon beeindruckend, welch starke Gefühle so ein kleines Wesen in uns auslösen kann – sowohl positive, als auch negative. Ja, und das wird auch in Zukunft so bleiben :)
    Aber die Hilflosigkeit, die wird besser, sobald der QB sich selber äußern kann, was ihm fehlt. Und dazu muss er noch nicht mal reden können. Zum Glück, als diese Hürde genommen war ,war ich immer gottfroh!
    Und nicht böse sein, wenn andere meinen, Diagnosen zum Grund des Schreiens stellen zu können – meistens liegt es ganz banal daran, dass die Person selber unter dem Geschrei leidet, d.h. genauer gesagt mit dem QB mitleidet und ihm helfen möchte. Und das ist ja eigentlich nur lieb gemeint.
    Mir selber geht es auch so, dass ich Babygeschrei fast nicht mehr ertragen kann, seit ich selber Kinder habe. Vorher konnte ich das irgendwie ausblenden, so z.B. in der S-Bahn oder so. Aber seither – ich leide immer mit dem armen Wurm mit, da kann ich mein Mutterherz einfach nicht abschalten… ich sag aber meistens nichts, da hab ich Vertrauen in die anderen Mütter. Außer es ist wirklich offensichtlich – z.B. ein im Schneeanzug mit Mütze und Schaffellfußsack wattiertes, rotgesichtiges, panisch brüllendes Kind in einem überheizten Kaufhaus. Da könnt ich echt sauer werden….

  3. Lassen Sie sich mal drücken!

    Was mir beim Lesen einfiel: Sie machen doch die Milchflaschen mit KAF-Tee? Habe ich mir das falsch gemerkt? Wenn ja, haben Sie den auch schon mal weggelassen?
    Durch seinen hohen Gehalt an ätherischen Ölen ist der Tee nicht ganz so ohne wie behauptet und es kommt doch immer wieder zu Unverträglichkeiten.
    Versuchen Sie mal, den Tee wegzulassen, die Milch nur mit Wasser anrühren und einfach eine Bauchmassage mehr einplanen. Die mit Lavendelöl. Oder eben ein Bäuchlein-Öl mit Kümmel.

  4. Diese gefühle kenne ich auch nur zu gut – meiner litt ja auch unter den Koliken und so manches mal dacchte ich, ich vergesse mich und drehe durch – aber das wird besser mit der Zeit. Auch heute noch muss ich mich dann und wann arg zusammen reißen und gehe ebenso aus den Raum, weil mein Geduldsfaden kurz vorm reißen ist…. umgekehrt ist es dann aber eben so wie du schreibst, mit einem Augenaufschlag mit einem lächeln ist alles wieder so wie es sein soll, einfach nur schön!

  5. du brauchst dich nciht zu hassen. mir ging es genauso. und dann lieber raus als drin bleiben und sonstwas machen. er wird von diesem „verlassen“ keinen seelischen knax bekommen. sicher nicht! du vom drinbleiben vielleicht schon ;)

    fühl dich also gedrückt, verstanden und aufbauend auf die schulter geklopft. das wird. und: die hälfte der ersten drei monate ist doch schon geschafft. tschakka! koliken adé!

  6. jaja diese Besserwisser… Deine arme mama gibt Dir wohl nichts zu essen… dabei spuckt sie schon alles wieder aus. Und das mit den 3 Monaten ist kein Märchen.. beim Großen war nach exakt 3,5 Monaten das Bauchweh und die Schreierei weg.
    Aber das mit dem in den Laufstall stellen und weggehen wird sich nicht ändern… selbst wenn das schreien aufhört, irgendwann kommt das Trotzen.. das dicke Fell muß mitwachsen, und Ohrenstöpsel sind ein guter Tip.
    Bei uns ist es grad der große Bruder, der jede Nacht punkt 12 im Schlafzimmer steht und will, daß Papa bei ihm im Zimmer nächtigt.. alles eine Phase.
    LG Corinna

  7. In solchen Situationen konnte ich mir plötzlich vorstellen, dass es wirklich Leute gibt, denen die Sicherung durchknallt und sie anfangen das Baby zu schütteln. Vor meinem geistigen Auge habe ich dies auch das ein oder andere Mal gemacht und kam mir sogleich als Rabenmutter vor. Die Phase geht vorbei. Und es kommen andere ;)

    Micha mit Jannes (der auch nicht „irgendwo“ einschläft ;) )

  8. *grinz*

    jaaa…das kommt mir so bekannt vor!

    Meine Hebamme sagte mal „Es wird bestimmt der Moment kommen, in dem du dein Kind am liebsten aus dem Fenster werfen würdest“
    Ich fand diese Aussage soooo entsetzlich…mir fehlten die Worte und ich war schier geschockt!
    Aber: es kam der Moment, an dem mir die merkwürdigsten Dinge durch den Kopf schossen…der Moment an dem ich echt an mir zweifelte…der Moment, an dem ich einfach am Ende meiner Kräfte war…
    Aber dieser Moment ist eigentlich sofort wieder verflogen, als ich mir dieses kleine, schreiende Bündel angeschaut habe und mir gedacht habe, er kann halt nur schreien…
    Und auch wenn es für mich sooo schlimm ist…
    Ich habe mich an die Momente zurück erinnert, in denen es mir als Kind so schlecht ging, dass ich nur weinen konnte, in denen meine Worte gar nicht ausreichten, um zu schildern, was mit mir ist…

    Und dann kam auch ein winzig kleines Lächeln von meinem Sonnenschein und alles war vergessen…all der Kummer, all die merkwürdigen Gedanken, all die Hilflosigkeit…
    Und es war einfach nur ein herrliches Gefühl…

    Bin zum ersten Mal auf deinem Blog und ich weiß nicht, wie alt dein kleiner Schreihals ist… :o)
    Aber scheinbar noch ein ganz kleiner…

    Ich kann dir nur sagen: ES WIRD BESSER!

    (und als kleiner Tipp…sehr geholfen hat mir das Buch „Oje, ich wachse!“
    Darin werden die Entwicklungsschübe sehr gut beschrieben…und unsere Schreiphasen haben dazu immer gepasst…es wird erklärt, welche Veränderungen die kleinen gerade durch machen, was sie in dieser Zeit neues lernen und ich war verblüfft, wie zutreffend es doch war…und was mein kleiner nach solch einer anstrengenden Phase dann alles auf einmal konnte, was er vorher nicht konnte!!!)

    Liebs Grüßle

  9. Im Krankenhaus hat Saskia mal die ganze Nacht geschrien und die erfahrenen Hebammen/Kinderkrankenschwestern gaben mir KEINEN Tip….ich hätte da wirklich einen haben wollen/gebraucht.Um sechs uhr morgens kamm dann die eine Hebamme mit einem erwärmten Kirschkernkissen und legte es an Saskias Bauch und siehe da,sie hörte auf zu weinen und schlief endlich ein.
    Auch gleich nach der geburt muss es ihr am Köpfchen klat gewesen sein(wir dachten,die Mützchen seinen überflüssig und hatten keine (und im krankenhaus gabs auch keine) Da gaben die mir auch ein nicht zu warmes Kirschkernkissen und sovort ging es Saskia besser.
    Später hatte sie solche Phasen gegen 17 Uhr…das war dann wohl Müdigkeit und alle Spannungen und alles erlernte musste erst Mal entladen werden….da ging ausser schreien lassen gar nicht viel.
    Aber irgendwie versucht man trotzdem alles das Kind zu beruhigen….anstatt es vielleicht schreien zu lassen und es hinterher einfach in den arm zu nehmen.
    Um ehrlich zu sein finde ich es jetzt eher schieriger,da ich jetzt annehme,das sie,wenn sie einen trotz oder müdigkeitsanfall hat (oder beides vereint) oder einfach Frustrieranfall sie es teils mit Absicht macht,zumindest bewusster als ein neugeborenes Baby.
    Und da kann ich dann manchmal auch nciht mehr.Sie testet einen und testet einen…..dann gehe ich und bitte Alain Saskia zu „übernehmen“ (udn dann heult sie ,weil sie ihre Mama will)
    Ich hoffe dann ,sie wird vernünftig und kapiert das es mir zuviel wird,wenn sie es „übertreibt“ mit ihrem austesten.

  10. genau so ist es. du bist nicht allein meine liebe mama miez und du machst das fabulös – du gehst offen damit um, du kümmerst dich um lösungen und du gibts viel. kein wunder liebt dich dein kleiner mann:))

  11. Schön geschrieben! Ja, die 3-Monats-Koliken haben mich/uns damals auch an den Rand unserer Belastbarkeit gebracht. So richtig 100% hilft da auch nichts – Wundermittel gibt es nämlich nicht. Aber nach 3 Monaten Dauergebrüll in den Abendstunden hatten wir schon so ein paar Kniffe raus, die Thea zumindest halbwegs Linderung verschafft haben. Magst du sie hören? Mir kamen die guten Ratschläge irgendwann zu den Ohren raus ;) Also ggf. JETZT aufhören zu lesen:

    1. Schrecklich hässliche Fisher Price Wippe mit Vibration. Dieses sanfte Vibrieren hat ihr wohl bei Bauchschmerzen sehr geholfen und oft – nicht immer – hat das Gebrüll dann aufgehört. Ist zwar teuer und tut in den Augen weh, aber wir haben damals immer gesagt, dass wir sofort eine neue kaufen, wenn unsere den Geist aufgibt.

    2. Sab Simplex. Wir haben ewig rumexperimentiert, wie wir Thea das am besten verabreichen. Schließlich haben wir die Tropfen dann einfach auf den Schnuller gegeben und sie abnuckeln lassen. Half nicht so zuverlässig wie die Wippe, aber ich hatte schon das Gefühl, dass es ihr ganz gut tat.

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