Instagram – das zerbrochene Schaufenster

Instagram ist wie ein Schaufenster in andere Leben. Du siehst zwar den schicken Mantel, aber Du hast keine Ahnung aus welchem Material er ist, ob er vielleicht auf der Haut kratzt, wo und unter welchen Bedingungen er produziert wurde und ob er Dir überhaupt passt und dann auch noch stehen würde.

Wir sehen eine minikleinen Scherbe einer kunterbunte Vase, aber weil unsere Scherbe rot ist, glauben wir direkt die ganze Vase sei rot.

Instagram ist nicht perse schlecht. Die Menschen darin, die Bruchstücke posten und sie nicht in einen realistischen Kontext stellen, machen es aber zu einer der gefährlichsten Social Media Plattformen überhaupt. Und betrügen sich dabei noch selber. Dem Anspruch, den sie da ihren Followern verkaufen, können sie nachher selber gar nicht mehr gerecht werden. Das beste Beispiel unter den großen Influencern ist da wohl Sophia Thiel, die inzwischen einen wirklich exzellenten Job in Sachen Realität und Authentizität macht … nach dem großen Absturz wohlgemerkt.

Aber ich beziehe mich nicht nur auf Mode, Sport, Interieur, Lifestyle, sondern im Familienkontext auch und speziell auf die ganzen Pädagogen, die ihre Ratgeber und Bücher in einem super soften und verständnisvollen Schwurbelton verkaufen und bewerben, statt einfach mal authentisch zu sein und zu sagen: Ja, man, scheiße, meine Kids streiten sich am Esstisch, vorm TV, beim Zocken, lesen nicht gerne, hassen die Schule, helfen nicht freiwillig im Haushalt, benutzen Schimpfwörter, aber dafür so gut wie nie die Klobürste.

So sehr diese Menschen behaupten sich pro Kind und pro Bindung zwischen Eltern und Kind einzusetzen, so sehr verunsichern sie junge Eltern von Tag zu Tag mit ihrer schwurbeligen weichgespülten Art und erzeugen damit einen emotionalen Druck, dem kaum einer gerecht werden kann. Zeigt doch mal echte Emotionen. Nicht die Rührung über die 5 Sterne Bewertungen bei Amazon, sondern die Angst, die Verzweiflung und auch Wut, die man im Laufe einer Elternschaft zwangsläufig irgendwann erlebt.

Das wäre realistisch.

Zu diesem Text haben mich unzählige Nachrichten bewogen, die ich erhielt und die eben das widerspiegelten: Danke, dass du so offen und ehrlich bist. Wir waren so verunsichert. Überall klappt es mit Luft und Liebe. 3 Stunden Verweigerung und offensive Emotionen begleiten? Man muss es nur ausreichend stark wollen, dieses Verständnis und die Gelassenheit gegenüber dem eigenen Kind. Vielleicht bin ich einfach nicht stark oder gut genug? Bin ich eine schlechte Mutter? Ich bin eine schlechte Mutter.

Kötzerchen 3000. Wirklich.

Wer sein Privatleben nicht ins Internet transportieren möchte – was jedermenschs gutes Recht ist – , aber Ratgeber für Familien verkaufen will, der kann das eben nicht über Authentizität. So ehrlich muss man dann zu sich selber sein. Dann muss man offen und ehrlich sagen: Das hier ist Werbung. Es spiegelt nicht unser echtes reales Leben wieder.

Ich wünsche mir, dass wir endlich wieder eine offene, zugewandte und ehrliche Kommunikation über Erziehung und Familienleben ins Internet bekommen, wie das vor 15 Jahren noch möglich war. Bevor alles perfekt und glänzend sein musste und Social Media zum Penisvergleich par excellence avanciert ist.

Vor kurzem unterhielt ich mich mit einer befreundeten Pädagogin im Reallife über die emotionalen Herausforderungen für Eltern in der Pubertät. Und sie sagte ganz offen: Ich hab das studiert. Ich habe Verständnis und Kenntnis, warum ein Jugendlicher so handelt. Dennoch fällt es mir bei meinen eigenen Kindern unendlich schwer, solch ein Verhalten zu akzeptieren und anzunehmen.

Ich wünsche mir auch im Internet wieder Eltern, die sich gegenseitig bestärken, zuhören, ehrlich berichten und gemeinsam einen guten Mittelweg finden, mit dem alle Beteiligten – Eltern und Kinder – realistisch leben können. Und ja, vielleicht lassen wir auch häufiger mal die Kinder zu Wort kommen, die im Internet ja gar nicht vorkommen sollen, wo doch das Internet einen Querschnitt der Gesellschaft widerspiegelt. Eine Gesellschaft ohne Kinder? Aber das ist wieder ein anderes Thema.

Ich versuche das seit einiger Zeit auf Instagram in meinen Stories (@dailypia), weil dort auch ein ehrlicher Austausch über die privaten Nachrichten möglich ist. Manchmal teile ich dann mit Erlaubnis anonymisiert die Erfahrungen Anderer und die positive Resonanz auf diese Beiträge ist überwältigend. Seid weniger allein. Werdet sichtbar!

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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15 Gedanken zu „Instagram – das zerbrochene Schaufenster

  1. Liebe Pia, du hast so recht. Um Insta mach ich nach wie vor einen Bogen, aber beim Bloggen sind meine Erfahrungen ähnlich. Klar breitet man nicht jeden Konflikt bis ins Detail im Netz aus, aber ich schreibe doch immer mal, dass der Haussegen schief hängt oder die Kinder streiten. Und darauf bekomme ich dann auch Kommentare, dass ich authentisch bin. Ich poste auch keine nachbearbeiteten Superfotos, sondern welche, die mein Handy genau so macht. Das bin ich, genau so und nicht anders. Und das ist etwas, das ich hier im Blog auch merke, dass da nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen berichtet wird, sondern auch das Schwierige, Anstrengende anklingt. Genau deshalb les ich hier auch jeden Eintrag, auch ohne zu kommentieren. Weil es auf mich authentisch wirkt.
    Ich hatte übrigens in meiner Krabbelgruppe immer unendlich Geduld mit den anderen Kindern, aber ich hab keine bei meinen eigenen, Das ist durch die Coronazeit noch mehr geworden…
    LG von TAC

  2. Danke dafür. Ich glaube Instagrammerinnen, ihre pubertären Kinder abgöttisch lieben (immer), ihnen „so gerne beim Großwerden zuschauen“ („voller Stolz und Dankbarkeit“), deren Kinder glückstrahlend wochenlang mit den Eltern in Urlaub fahren, sie zu jedem Wochenendausflug, auf jede Familienfeier begleiten („große Familienliebe“) und bei denen – natürlich – auch Weihnachten ein strahlend-glückliches, rundherum gelungenes Fest der Liebe und Harmonie ist – natürlich nicht. Ich kenne niemanden im real life, bei dem das so abläuft. Wirklich nicht. Einfach gar nicht. Es kann nicht sein, dass es Familien gibt, die da so eine krasse Ausnahme bilden. Aber ich glaube, viele mögen das einfach total gerne lesen. Deshalb liest man doch auch die Gala, kitschige Liebesromane, schaut irgendwelche romantichen Netflix-Serien und und und. Man möchte einfach so hart, dass es so sein soll. Und feiert dann diejenigen ab, die das eben genau so abbilden.
    Richtig krass finde ich eigentlich nur, wenn sie dann noch für ihre „immer so authentischen“ und „ehrlichen“ Berichte und Bilder gelobt werden. Dabei lese ich so was auch. Es ist mein „guilty pleasure“ – harmonische Familienblogs lesen und ich darüber aufregen. Andere haben andere Hobbys.

    Was das aber gerade mit jungen Müttern und Vätern macht, deren Welt nicht immer aus „kind in strahlend weißen babyklamotten in liebevoll designten weiß-naturholzfarbenen Kinderzimmern“ besteht, wo die Kinder das Essen verweigern, das Holzspielzeug und die selbstgenähten Waldorfklamotten, Kinder, die keinen Bock auf Basteln und Töpfern haben, die nicht „stundenlang in Büchern schmökern“ – also ganz normale Familien eben, mit Streit und Wutanfällen – das will man eigentlich am liebsten gar nicht wissen. Als mein Kind vor 17 Jahren geboren wurde, gab es schon das Internet, aber diese ganzen „mein Kind ist geiler als dein Kind“-Vergleiche gab es nur im real life. Und da musste man das Kind nur einmal von irgendeiner Verabredung abholen – dann wusste man, dass das auch nur ganz normale Familien waren. Leute, meidet Instagram, wenn ihr nicht wirklich seelisch gefestigt seid. Sonst macht es euch fertig!

      1. Leider nein. Bei Dir ist a) zu wenig strahlende Harmonie, b) gibt es echte Probleme und c) habt ihr leider auch weder eine große, mit Antiquitäten oder Designermöbeln vollgestellte Wohnung noch einen Neubaubungalow komplett in weiß. Und eure Kinder, ich muss es leider sagen, zocken zu viel. Bzw. haben sie solche viel zu gewöhnlichen Hobbys, die Du auch noch zeigst („Görl in Basketballhalle“ – geht gar nicht).
        Familien in den „richtigen“ Blogs machen andere Dinge: sie sitzen harmonisch an einem schön gedeckten Tisch, sie strahlen am Strand in die Kamera, sie haben irgendwie kein richtiges Leben, sondern sind eigentlich immer und am liebsten zu Hause. In „richtigen Blogs“ gibt es keine Hausarbeit, keine Einkäufe in so trivialen Läden wie REWE – ab und zu schneidet man ein paar verwelkte Blüten im Garten ab, pflanzt Baumarktblumen in Balkokästen oder kauft auf einem teuren Wochenmarkt ein (der Jahreszeit entsprechend – „ich lieb’s einfach so“). Man „liebt“ das alles. Freunde sind immer „liebste“ Freunde, Verwandte ebenso. Es gibt nicht so Nervbolzen wie Onkel Günter, der neuerdings so Schwurbel-Sachen erzählt. Oder anstrengende Eltern. Eltern liebt man grundsätzlich immer. Es ist wunderschön, sie zu besuchen. Kinder in „richtigen Blogs“ lieben es, fotografiert zu werden, auch mit ihren Freunden. Die Schule wuppen sie mit links – grundsätzlich ohne dass die Eltern sich darum kümmern müssen. In „richtigen“ Familienblogs – ganz wichtig – haben Kinder keine digitalen Endgeräte, jedenfalls nicht solche, an denen sie spielen. Manchmal verrirrt sich so was ins Bild – das mag ich besonders. Aber in der Regel sieht man die Kinder mit ihren Büchern. Muss auch sein, sonst könnte man ja nicht regelmäßig „Leselisten“ verbloggen. Manchmal überlege ich, so einen Fakeblog aufzusetzen, in dem ich das alles noch mal überspitze. Aber ich hab eher wenig Zeit: Job, Teenager, anstrengenden Mann, Haushalt, Garten, Sport und Hobbys, Stress und Streit und das Bad muss auch noch geputzt werden. Aber vielleicht nächstes Jahr. Das wird ganz wundervoll! Und total authentisch.

  3. Unglaublich starker Text! Vielen Dank! Erklärt sehr gut, warum, dass zu so viel Druck führt und man sich leider selbst als nicht gut genug empfindet. Dieses blöde Vergleichen…, das dummerweise so oft unbewusst passiert…
    Danke für deine Authentizität!

  4. Word! Ich gebe dir in allen Punkten recht, möchte aber trotzdem anmerken, dass man die Zügel immer noch auch ein bisschen selbst in der Hand hat. Ich bin ja eher so eine kauzige Nutzerin, die nur Blogs liest und Instagram nutzt, aber das sehr streng kuratiert. Ich habe da wirklich eine wundervolle Mischung aus ehrlicher Elternschaft, Aktivismus in verschiedenen Bereichen und Info-Kanälen. Und ich nutze Insta auch wie 2017 😅 d.h. ich scrolle wirklich nur durch die Beiträge von den Kanälen, denen ich folge.
    Und tselbst das macht schon Sachen mit einem, Bilder sind echt mächtig! Aber ich möchte meine „Daily Soap“ trotzdem nicht missen 😉

    1. Absolut. Natürlich hat man das auch selber in der Hand. Aber ich denke gerade die neue Generation Eltern, die ja mit dem Internet aufgewachsen sind, haben vielleicht einen viel verwascheneren Blick auf Social Media als wir, die es auch noch anders kennen? Oh Gott, bin ich echt so alt?

    2. Oh, ich wusste gar nicht, dass ich Insta auch nutze wie 2017 (da hatte ich das noch gar nicht) – ich scrolle nur durch accounts, denen ich. wenn die zu blöde werden, entfolge ich immer wieder. Aber ich muss zugeben: trotz heftigster Bemühungen und sehr viel Lebenserfahrung gibt es immer wieder Dinge, die mich massiv triggern. Und ich frage mich immer „warum machen die das?“ Wollen sie andere fertig machen? Oder brauchen sie das für ihr Ego? Oder wissen sie es einfach nicht besser?

  5. Warte mal ab bis zur Menopause… Ab dann wird es ganz schräg mit dem unrealistischen Bild der Frau auf Instagram.

    da hat keine dünner werdendes Haar, vermehrt Pigmentflecken oder einen sichtbaren Flaum über der Oberlippe. da wachsen nie plötzlich Haare an Stellen, wo vorher keine waren, während die auf dem Kopf auf einmal weniger wachsen. und wenn, dann in einer anderen Farbe.

    Instagram, in der Frauen sagen, sie seien noch „Zu jung für graue Haare!“. was soll das denn heißen? Hallo, hier bin ich mit grauem Ansatz und offensichtlich scheiß-alt?!

    Die zelebrieren ihr Mehr an Freiheit, weil die Kinder größer werden und erzählen nicht, dass jetzt aber auch die Schleimhäute dünner werden. und ja, das betrifft auch den Sex!

    Instagram ist eine Kunstwelt.
    und ich hoffe sehr, dass Blogger wie du die Menschen draußen erreichen und ihnen zeigen, dass Hochglanz immer nur eine Momentaufnahme ist. ❤️

    LG und kommt gut ins neue Jahr.
    Tine

    1. Ich lasse es dich sofort wissen, wenn meine Schleinhäute dünner und die Haare grauer werden. Wobei, das mit den grauen Haaren hatte ich schon irgendwo erzählt. Aber ich bin auch noch nicht in der Menopause!

  6. Sehr gut Pia! Du lügst dir nicht selbst ins Gesicht und darum liebe ich diesen Blog. Es gibt nicht sehr viele, die so darüber berichten wie du gerade hier!

    Ich habe gerade für mich überlegt, wer damals auch ehrlicher war in Sachen Kindererziehung – damals im TV Katja Saalfrank, da hat man auch einige Einblicke bei div schreienden, bockigen Kindern gesehen und auch Hilfestellung bekommen.

    Ich konnte einige Ratgeber Bücher lesen, darunter auch einen von 2021. Ganz ehrlich? Ich lese lieber einen ehrlichen Blog, der nichts beschönigt, als diese Ratgeber, die so etwas für den Hugo sind. Da wird über ein Thema rund herum geeiert , aber es gibt keine Problemlösung. Das hilft mir dann auch nicht weiter :)

    Darum zig tausend Mal Danke, dass du hier schreibst bzw wieder schreibst!

    LG aus Österreich

  7. Auch bei den Blogs gibt es solche und solche. Ich habe dieses Blog ein paar Jahre über Feedreader mit gelesen und es dann gelassen, weil ich hier genau das vorgefunden habe, was das Posting hier an Instagramm kritisiert. Am Ehrlichsten fand ich noch die Postings, wo es um die Auslandseinsätze von Herrn DailyPia und die damit verbundenen Gefühle und erschwerten Lebensumstände ging.

    Was mir in den öffentlichen Verkehrsmitteln immer wieder bei Eltern von Kindern im Kindergartenalter auffällt ist, daß alles aber auch alles im Kindergarten-Tanten-Schmuseton-Modus gesagt wird, egal ob das Kind einen Lutscher bekommt oder ihm vermittelt werden soll, daßes nicht o.k. ist, mit dreckigen Stiefeln auf dem Sitz herumzuturnen.

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