„Irgendwas … ich weiß nicht“, sagt sie immer zu mir, wenn ich sie spaßeshalber frage, was da ist, zwischen ihr und ihm. Dann lacht sie. Ich würde behaupten, dass hier der Allgemeinplatz ‚das sieht doch ein Blinder mit nem Krückstock‘ gut passen würde. Also, dass da irgendwas geht, zwischen ihr und ihm. Aber das streitet sie in letzter Instanz natürlich ab. Natürlich, weil sie seit fünf Jahren verheiratet ist. Und das eigentlich glücklich, soweit mir bekannt. Und natürlich, weil er eine feste Freundin hat. Auch schon seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnte. So genau habe ich ihn danach nie gefragt.
Jedenfalls sehe ich – ohne Krückstock und auch nur ein bisschen weitsichtig – dass da irgendwas ist, zwischen ihnen. Vielleicht sind es die Blicke, mit denen sie einander bedenken, wenn sie das Gefühl haben, der andere sähe es nicht. Er schaut sie so zärtlich an, dass man vor Entzückung die Hände ins Gesicht schlagen und dabei laut Quietschen möchte.
Selten knistert es sogar unüberhörbar laut zwischen ihnen. Wenn sie sich zufällig berühren und sich dann in Schockstarre anstarren, aus Angst, das könne jetzt schon zuviel sein. Aber eigentlich war es viel zu wenig.
Irgendwann frage ich sie dann einfach, in meiner bekannt flapsigen Art: „Sag mal, geht da was?“ Ihr feuerroter Kopf schreit Ja, ihre heisere Stimme bringt aber ein Nein über die Lippen. Letztendlich ist es so, dass da gar nichts geht. Dass beiden irgendwie komisch und schwindelig wird, wenn sie nah beieinander stehen, das Parfum vom anderen riechen, den anderen kurz und zufällig berühren. Aber mehr … war da nie. Wird da wohl auch nie sein.
„Ich wünschte, er würde mir nur sagen, dass er das auch spürt. Dass ich mir das nicht nur einbilde. Mehr nicht. Ich wünschte, er würde mir sagen, dass es ihm auch so geht. Dass er auch so empfindet. Mehr will ich nicht.“, sagt sie schließlich.
„Und was hättest Du davon, wenn Du mehr nicht willst?“
„Gewissheit, dass ich das kleine Stück meines Herzens nicht verloren habe, sondern dass er es hat und gut darauf aufpasst. Ein Leben lang.“
Ich nickte. Die Vorstellung, dass man die kleinen Stücke seines Herzens, die mal für eine Person schlugen, nicht wiederbekommt, sondern bei der betroffenen Person verbleiben, finde ich bemerkenswert. Immerhin war diese andere Person mal dafür verantwortlich, dass man sich glücklich, schwindelig, verliebt gefühlt hat. Sie hätte es somit verdient, ein kleines Stück des für sie schlagenden Herzens ein Leben lang bei sich zu tragen.
Und plötzlich verstehe ich auch, was sie meint. Wenn sie weiß, dass auch sein Herz für sie leise und schüchtern schlägt, dann fällt es ihr leichter, ihrem eigenen Stück Herzen Lebewohl zu sagen.
Es ist ja in guten Händen.
… und ein Stück meines Herzen bleibt in diesem Text zurück.
Bis auf den Satz mit „…irgendwas ist kein Sex…“ – der völlig überflüssig ist und auch eher stört – das beste, was ich hier so gelesen habe.
Sehr schön, aber sowas kannste doch nicht morgens schreiben!
Wirklich sehr schön!
Observer: das sehe ich anders. 90% der Menschheit sind Emotions-Legastheniker. Und denen muss man das einfach ganz deutlich sagen, dass das nix mit Sex zu tun hat. Mein Bauch diktiert mir sowas.
Penis: wieso sollte ich es abends schreiben?
Okay – Observer – überzeugt … ohne ist besser. Ohne ist echter.
Damit ich jetzt nicht so viel grübel wo die ganzen Teile liegen könnten und von wem ich vielleicht Teile bei mir trage und davon nichts weiss…;-)
War aber auch nicht so ernst gemeint…
:-)
Welch wunderbarer Text. :-)
Ich habe eine meterhohe Gänsehaut….
WOW!! Total genial – eine wirklich schöne Vorstellung, mit diesen kleinen Teilen des Herzen! Ach, ich glaube ich habe ein paar Tränen in den Augen, ich glaub´ich lese es gleich noch einmal ….
Großartig! Und genau so ist es, so fühlt es sich an, bin irgendwie grade mittendrin in so was und finde mich hier wieder und gut aufgehoben- aber so gut hätte ich es nie beschreiben können. Danke!!!
Danke, ein Text aus dem Herzen, liebevoll und bescheiden….
dazu fiel mir dieses gedicht ein:
Friederike Mayröcker
Manchmal, bei irgendwelchen zufälligen
Bewegungen
streift meine Hand deine Hand deinen Handrücken
oder mein Körper der in Kleidern steckt lehnt fast
ohne es zu wissen
einen Augenblick gegen Deinen Körper in Kleidern
diese kleinsten beinahe pflanzlichen Bewegungen
dein abgewinkelter Blick und dein Auge absichtlich
ins Leere wandernd
deine im Ansatz noch unterbrochene Frage wohin
fährst du im Sommer
was liest du gerade
gehen mir mitten durchs Herz
und durch die Kehle hindurch wie ein süßes Messer
und ich trockne aus wie ein Brunnen in einem
heißen Sommer
der text ist toll. habe ihn einer freundin die in entsprechender situation ist gezeigt! aber auch festgestellt, dass er wohl für jeden ein bisschen gilt!
Merle: Das ist WUNDERSCHÖN!
Als hättest du mich gemeint… Wow!
Ja, wunderschön.
Frage mich nur, ob man es dabei belassen kann, wenn man mitkriegt, daß es dem anderen tatsächlich auch so geht. Da muß man wohl sehr stark sein und sehr sicher in der eigenen Beziehung…! ;)
@Manu: Kann man bei Dir gar nix kommentieren?
@Pia: Wann gibt es denn hier mal so ein Nachfolgende-Kommentare-Abo-Plugin? Wäre seeehr fein.
@Chikatze: Nein. Aber du kannst mir mailen.
@Pia: Tschuldigung für den kleinen „missbrauch“ gerade.
Gänsehaut. Toller Text.
Es ist schon ein bisschen länger her, da hast du in so einem Profildings gelesen, wer mein großes Vorbild ist. Solche Texte versichern mir, dass du das auch immer bleiben wirst.
Deine Geschichten sind wie kleine Luftblasen.. sie fangen Gefühle ein, verschließen sie, und tragen sie hin zu anderen Leuten. Wunderbar :)
Habe diesen Text gerade entdeckt und finde diesen extrem gelungen und sehr schön.