Vom ausdauernden Faulmäulchen.

Heute hatte ich das halbjährliche Elterngespräch über den Herrn Löwenmaul. Immer wieder bin ich vor solchen Gesprächen aufgeregt, obwohl ich mit den Erziehern immer in engem Kontakt stehe und wir eigentlich alles beim Bringen oder Abholen ansprechen und thematisieren. Ich habe somit nicht wirklich mit etwas ernstem oder neuem gerechnet.

Es gibt zwei Eigenschaften, die das Löwenmäulchen aktuell ganz klar charakterisieren: Er ist ausdauernd und er ist faul. Man könnte jetzt meinen, dass sich das widerspricht, aber tatsächlich ist es in Kombination sogar noch schlimmer, als man zunächst meinen könnte.

Der Herr Löwenmaul kann sich alleine Anziehen. Komplett. Aber er tuts nicht.

Der Herr Löwenmaul kann auf die Toilette gehen. Alleine. Aber er tuts nicht.

Der Herr Löwenmaul kann wunderbar mit Messer und Gabel essen. Ordentlich. Aber er tuts nicht.

Man nennt das Alter zwischen dem 2. Und 3. Geburtstag nicht umsonst terrible two. Bei unserem Zweigeborenen – dem Sandwichkind – bekommt man die Erklärung des Begriffs direkt praktisch mitgeliefert.

Alles ist doof. Anziehen ist doof. Auf die Toilette gehen ist doof. Mit Messer und Gabel essen ist doof.

Der Ursprung allen Übels ist aber tatsächlich seine Faulheit. Sich selber anziehen ist anstrengend und dauert länger. Anfänglich versuchte er es mit einem Unterlippigen „Is kann das nis!“ Seitdem wir aber definitiv wissen, dass er es kann, ignorieren wir das Gebaren und antworten: „Natürlich kann Du das. Ich finde es toll, wie Du Dich alleine anziehst.“ Schippchen (vorgeschobene Unterlippe). Schmollen. Kopf hängen lassen. Nach einer halben Ewigkeit sich doch alleine ausziehen.

Auch auf die Toilette gehen ist doof, weil man dafür a) das Spiel unterbrechen müsste und b) wieder die doofe Hose und Windel runterziehen müsste. Auch hier hilft ein Vorschusslob: „Ich finde es so toll, wie Du schon ganz alleine auf die Toilette gehen kannst!“ Schippchen. Schmollen. Kopf hängen lassen. Nach einer halben Ewigkeit doch alleine aufs Klo gehen.

Beim Essen dasselbe Spiel. Mit der Hand kann man sich viel schneller große Mengen ins Löwenmaul schaufeln, als mit der doofen pikigen Gabel. „Großartig, wie Du schon ganz allein mit Gabel und Messer essen kannst!“ Schippchen. Schmollen. Kopf hängen lassen. Nach einer halben Ewigkeit doch mit Messer und Gabel essen.

Nur manchmal funktioniert das mit dem Vorschusslob aber doch nicht. Dann will er nicht. Und wenn er nicht will, setzt Charaktereigenschaft eins ein: Ausdauer.

So saß er mal 40 Minuten im Garten des Kindergartens und schmollte, während alle anderen schon wieder drinnen waren und ihn durch die großen Glasscheiben angafften. Ich erinnere mich auch gerne (haha) immer wieder an die 45 Minuten, die ich mal mit ihm im Kindergarten verbrachte, weil er nicht auf seinen eigenen Füßen das Gebäude verlassen wollte.

Und er ist so unfassbar nachtragend. Das hat er vom Papa.

Wenn ich ihn in sein Zimmer schicke, damit er mal ne Auszeit nehmen kann, weil er wirklich sehr nachhaltig alle unsere Regel ignoriert hat, dann kommt er von alleine auch nicht mehr runter. Weil: er ist dann modsig, wie er selber immer sagt. Und wenn man modsig ist, dann müssen wir alle weggehen. „Geh wäg, Mama! Geh wäg, Quietschbeu! Geh wäg, Kissen! Geh wäg, Schrank! Geh wäg, Schuhe!“ etc. pp.  Es soll sich also quasi alles um ihn herum bitte sofort in Luft auflösen. Manchmal, wenn ich ihn küsse ohne vorher um Erlaubnis gefragt zu haben, höre ich das: „Geh wäg, Knutscha. Das is sooo eglig!“ und er reibt und wischt sich die Wange Minutenlang. Großes Dramamäulchen. Auch immer wieder.

Der Quietschbeu hatte nie Zeit wirklich lange trotzig zu sein. Der hatte immer was vor und das hinderte ihn dann nur am Spiel. Das Löwenmäulchen hat Tage, an denen es länger modsig auf der Erde sitzt und eine Schippe zieht, als dass es spielt. Terrible two in Reinform.

Nun ist nicht davon auszugehen, dass das von heute auf morgen endet. Er hat ja – wie mehrfach geschrieben – Ausdauer. Ich halte mich also mit dem Reminder über Wasser: „Jede Phase hat ein Ende. Und dann kommt eine Neue!

Nur soll er im August, mit Beginn des neuen Kindergartenjahres, ja die Gruppe wechseln. Er kommt dann in die zweite Ü3-Gruppe unserer Einrichtung. Obwohl ich ihn noch nicht so selbstständig und erwachsen sehe, wie es der Quietschbeu in diesem Alter war, so sorge ich mich um das Löwenmäulchen dennoch viel weniger. Wenn er selber muss, wird er selber können. Das mag dann vermutlich wieder mit Löwenmäulch’schem Gezeter und Geheule einher gehen, aber unterm Strich wird es ihm mit dann 3 Jahren und 2 Monaten sicher gut tun, nicht mehr diese Exklusivaufmerksamkeit der U3-Gruppe zu genießen.

Worum wir uns gar keine Sorgen machen (müssen) ist sein Sozialverhalten. Er haut und schlägt nicht, er beißt nicht, er beleidigt nicht und die meiste Zeit teilt er großzügig und geht Kompromisse („Wenn Du mir Dein Spielzeug gibst, gebe ich Dir meins.“ „Wenn ich fertig mit Spielen bin, kann Du das Spielzeug haben.“) ein. Er ist sehr empathisch und tröstet z.B. seine Spielkameraden, wenn diese weinen oder freut sich mit ihnen, wenn sie Geburtstag haben, als sei es sein eigener.

Er schwankt derzeit zwischen „Is bin ein großa Junge!“ und „Is bin ein Beebie.“ Das Los der Sandwichkinder, vermutlich. Wir – die Erzieher und wir Eltern – hoffen, dass sich das möglicherweise besser, wenn das Miezmeedchen nun in seine Kindergartengruppe kommt und er definitiv der Große ist.

Unterm Strich kann ich festhalten: ganz der Papa!

Was der Quietschbeu optisch vom Miezmann mitbekommen hat, ist beim Löwenmäulchen komplett ins Wesen geflossen. Ich werde mich hüten mich darüber zu brüskieren. Immerhin habe ich im Vollbesitzt meiner geistigen Kräfte und mit meinem ganzen Herzen diesen Mann als Vater meiner Kinder erwählt. Da kann man nicht erwarten Mutter Theresa zu gebären.

Das Löwenmäulchen ist übrigens ein sehr beliebtes Mäulchen. Bei seinen Spielkameraden und bei seinen Erziehern. Denn seine herzliche, liebevolle und direkte Art „Ich hab Dis sooo liep, Frau Guse!“, „Du bis so hübsch, Maja!“, „Is will Dis ma drückn, Niäls!“ überwiegt das Trotzmäulchen eben um Längen.

Er ist und bleibt mein Herzmäulchen. Auch mit vorgeschobener Unterlippe und modsigem Gezeter.

Es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Der Herr Löwenmaul ist ganz und gar toll ?

Print Friendly, PDF & Email
Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
Beitrag erstellt 4659

19 Gedanken zu „Vom ausdauernden Faulmäulchen.

  1. „Da kann man nicht erwarten Mutter Theresa zu gebären.“ … ich brech ab!!!

    Ich liebe dich für solche Sätze, ahaaahaa!

    Der Mupf ist auch Faulmupf, der könnte so vieles, wenn er wollte .. will er aber nicht, schlichtweg zu faul, das liebe Kind. Aber das wird ja nicht für immer so blieben, von daher sehe ich das ebenso locker, wie du.

    Irgendwann tun sie es eh von ganz alleine. Liebe Grüße an alle Miezkinder ?!

  2. Wenn das so lese (einfach toll geschrieben), dann bin ich immer gespannt was uns mal erwartet und wie das wohl werden wird. Gut zu wissen, dass auch modsige Kinder ganz liebe Kinder sind. Aber noch haben wir Zeit ;-)

  3. hey, das löwenmäulchen und mein junior (selber jahrgang) sind sich sehr ähnlich. „ich kann das nicht“ wird oft mit „ich bin müde/muss mich ausruhen“ ergänzt/ersetzt. besonders beim treppensteigen. (dachgeschoss). es ist ein geduldsspiel. und es ist besonders anstrengend, wenn das kind seeehr viel geduld hat. das problem an der geschichte ist ja: es ist keine phase. es ist charakter ;)

    prost mahlzeit uns beiden :)

  4. Das Löwenmäulchen ist bestimmt ein ganz und gar süßer, dem man gar nicht lange böse sein kann :-) Und wunderschön finde ich auch die indirekte Liebeserklärung an deinen Mann…

  5. „Mit weinen geht das aber gar nicht“
    Bester Satz ever, wenn der Junior (4) etwas nicht machen will, was er eigentlich kann, aber solange niemand drauf eingegangen ist, dass er nunmal die Krokodilstränenmasche dazu packen muss.
    Ansonsten kommt ein simples: „Und wenn ich das gar nicht will?!?!“
    Also nix mit Phase, manche kleinen Menschen sind einfach so.
    Auch die Großen!

  6. Du gehst so bewundernswert und stark mit der schwierigen Phase um; ganz sicher fällt Dir das nicht immer leicht. Dass Du ihn von ganzem Herzen liebst, schreit aus jeder Zeile; das treibt mir Tränen der Rührung in die Augen. Seufz.
    Das LM ist ein so liebenswerter kleiner Kerl. Möchte durch den Bildschirm kriechen und das es ganz lieb knuddeln.

  7. Das kenne ich sehr gut von unserem Großen :-) Bei uns in der Familie heißt es dann immer „typisch Krebs“, ist das Löwenmäulchen vielleicht auch ein Krebs vom Sternzeichen?
    Lieben Gruß
    Stine

  8. Oh der Text ist wirklich schön, so voller Liebe! Ich mag deine Art zu Schreiben mit jedem Post mehr.

    Wie du schon selber schriebst: auch diese Phase wird vorbei gehen. Spätestens wenn er sieht, wie „groß“ die anderen in der Ü3-Gruppe schon sind und wenn er keine Aufmerksamkeit mehr für modsiges Gezeter bekommt.

    Ein bisschen bin ich ja an mich selbst erinnert; ich war auch gerne trotzig und modsig. Ich glaube, ich muss meiner Mutti erstmal nen Danke-Kuchen backen. :D

  9. Wo ist mein Kommentar hin?? Noch mal von vorne:
    Ja, Herr Löwenmaul ist toll!!! Denn er hat auch eine große Bürde zu tragen – die des Sandwichkindes.
    Und wenn ich an mein kleines (äh großes) Sandwichkind denke, fällt mir nur eines ein: Ich habe manchmal zu viel erwartet, weil der Große das schon konnte. Anziehen? Der Große kann´s, der Kleine muss das jetzt auch können. Messer und Gabel? Für den Großen kein Problem? Supi, das Mäxchen kann es doch bestimmt auch bald.
    Und was hatte ich davon: Meine Sandwichmaus hat sich bei bestimmten Dingen vollkommen verweigert. So ist er erstmalig mit neun Jahren alleine zu Hause geblieben. Da war er noch „Baby“.
    Und mein Kleines ist auch meilenweit hinter Deinen zurück. Alleine anziehen? Jetzt – mit fünf. Messer und Gabel – braucht er nicht :)

    Du hast tolle Jungs!!! Und manchmal ist einer faul , aber wann kann man das im Leben später mal sein. Ich gönne es ihm.

    Herzlichst

    Julika

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben