Laterne, Laterne

Am kommenden Sonntag werden wir im Freilichtmuseeum Kommern am „Martinszug, wie früher auf dem Dorf“ teilnehmen. Ich freue mich natürlich schon darauf, aber auf der anderen Seite muß ich ehrlich gestehen: ich habe Angst!
Familie und gute Freunde können nun gerne weiter klicken, Kaffee trinken oder telefonieren gehen – denn sie kennen die folgenden Geschichte zu genüge, was wohl auf ein schweres Kindheitstrauma zurück zu führen ist, welches ich nun bereits über 20 Jahre versuche zu bewältigen.

Ich war circa 2 Jahre alt, als meine Mutter mit mir und meinen beiden Geschwistern zum örtlichen Martinszug aufbrach. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Kindergarten war, hatte meine Mama mir eine riesen große Mond-Laterne gekauft, welche ich, in meinem Buggy sitzend, stolz so hoch hielt, wie es mit 2jährigen Ärmchen eben geht. Meine Schwester, zu dem Zeitpunkt 12 Jahre alt, hatte mir im Vorfeld sämtliche gängigen Sankt Martins-Lieder beigebracht, was ihre besondere Geduld mit mir deutlich macht. Bringt mal einem 2jährigen Kind eine handvoll Lieder in kürzester Zeit bei.
Mein großer Bruder war damals 15 Jahre alt und somit eigentlich schon viel zu groß, um zu einem Martinszug zu gehen. Da aber einer auf seine „Mädels“ aufpassen mußte, begleitete er uns also zum Martinsumzug & -feuer.

Als wir uns nach einem langem Umzug (ich hab gut Reden, ich saß ja im Buggy) endlich dem Feuer näherten, wurde ich in meinem Buggy ganz hibbelig und bettelte meinen Bruder an, er solle mich doch auf die Schulter nehmen, damit ich mehr sehen konnte. Da es sehr laut um uns herum war, konnte er meine „Jani, Jani!“-Rufe allerdings nicht hören und so wedelte ich aufgeregt mit meiner Laterne, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.

Ich bekam seine volle Aufmerksamkeit, als meine Laterne plötzlich einem riesen Feuerball glich und ein Meter hohe Flammen aus meinem Buggy schlugen. Trotzdem umklammerte ich den Stiel der Laterne weiterhin krampfhaft. Jani entriß mir meine schöne große Mond-Laterne, warf sie auf den Boden und hüpfte, wie das Rumpelstilzchen in meinen Bilderbüchern, darauf herum. Ich war völlig aufgelöst, heulte hysterisch und schmiß mich schließlich selber theatralisch zu Boden.

Ich war so sauer auf mich! Ich hätte meine geliebte Mondlaterne zerstört, die meine Mama extra für mich gekauft hatte. Ich sah immer wieder vor Augen, wie Jani auf den Flammen rum trampelte und das linke Auge des Mondes sich langsam in Asche auflöste :flenn:

Ich weiß nicht, wie lange ich heulte. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, die meine Mama und meine Schwester mich abwechselnd auf dem Arm hielten und trösteten, bis plötzlich mein Bruder wieder hinter uns auftauchte und mit einer Mondlaterne fröhlich wedelte. Durch die verheulten Augen erkannte ich den Mond, welcher mich zwar etwas kleiner, aber dafür umso bunter anlächelte. Zuerst brach ich erneut in lautes Heulen aus, da ich Angst hatte, auch diesen in Flammen zu setzten, aber Jani erklärte mir, dass da eine Batterie drin sei und eine kleine Glühbirne, und dass diese Laterne nicht brennen könne, wenn ich damit schaukelte.

Ich klammerte mich die nächsten 5 Minuten heulend an Janis Bein, weil ich ihm so unendlich dankbar war, dass er mir eine neue Laterne besorgt hatte. Dann setzte er mich auf seine Schultern, ging ganz nah ans Feuer (so nah, wie es eben nicht gefährlich war) und ich aß meinen Weckmann und ließ meine Mond-Laterne zur Musik wippen.

Viele Jahre habe ich mir die Frage gestellt, woher mein Bruder abends um 19 Uhr noch eine Mondlaterne mit elektrischem Stab herbekommen hatte. Meine Mutter verriet mir vor ein paar Jahren, dass er sie einem anderen Kind für 5 Mark abgekauft hatte :)

Seither erzähle ich jedes Jahr zu Sankt Martin meine „brennender Mond“-Geschichte ;)

Print Friendly, PDF & Email
Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
Beitrag erstellt 4659

21 Gedanken zu „Laterne, Laterne

  1. Ach gottchen, wie süß :)
    Meine Mama erzählt immer, wie früher, als ich noch in der Grundschule war (oder meine Schwester?), dass bei einem dieser Martinsumzüge es regnete und alle ihrer Laternen hinüber waren und nur die von meiner Mama hat überlebt :grin: die Latern muss jetzt immer noch irgendwo im Keller rumfliegen :ja:

  2. Ach ja … solche Umzüge fand ich auch immer klasse. Wir haben da vorher immer die Laternen selber gebastelt und sind dann immer losgezogen und haben ein wenig gesungen. Aber abgefackelt ist mir glaube ich keine Laterne … zumindest kann ich mich daran nicht mehr erinnern

  3. Da fehlt doch was! Müßte der letzte Satz nicht lauten: Seither erzähle ich jedes Jahr zu Sankt Martin meine „brennender Mondâ€?-Geschichte, damit meine Begeleiter vor jedem Umzug fünf Mark/Euro und einen Feuerlöscher einstecken.“?

  4. ui is das niedlich :) da wird mein herz weich.
    Ich muß jetzt was erledigen ;) entweder meinen Eltern beibringen das ich nochmal ein kleines Schwesterchen will und das sie sich gefälligst ins Zeug legen sollen … ähm nee darüber möcht ich jetzt doch nicht weiter nachdenken … :shock:
    Also dann muß ich meiner Raupe jetzt mal klar machen das ich sofort Kinder von ihr will *ggg :luv:

  5. Welch Tragödie! Man stelle ich nur einmal vor, das Feuer wäre auf andere Laternen übergesprungen, oder gar auf… nein, daran wollen wir jetzt nicht denken! :nein:

    Frau Pia, mein Beileid zur ‚verstorbenen‘ Laterne! Ich hoffe doch sehr, Sie werden sich dieser Tragödie irgendwann mit einem schmunzeln im Gesicht entsinnen können.
    Zur Bewältigung empfehle ich einen Ausgleich zu schaffen, also eine Sonnenlaterne abzubrennen, oder alternativ einen weiteren ‚zufälligen‘ Brand zu initiieren, bei dem Sie, liebe Frau Pia, als beispiellose Retterin eine weitere Laterne vor qualvollen Verbrennungen retten.

    Ich wünsche Ihnen viel Glück, sowohl bei der Trauma-Bewältigung, als auch kommenden Sonntag auf dem Martinszug.

  6. Tolle Geschichte! GsD mit Happy End! Ich hab auch eine Geschichte die ich wohl jedes Jahr erzähle. Auf dem Land aufgewachsen, gab es zu meiner Zeit leider noch keinen Kindergarten. 7 Jahre später ging aber mein kleines Schwesterlein dorthin. Endlich Martinsumzug. Natürlich gingen wir alle hin. Gespannt warteten wir auf die Kiga Kinder mit den selbstgebastelten Werken. Oh weh! Was sag ich da? Mittendrin meine Schwester mit einer riesigen grasgrünen Pappmache Laterne! Alle anderen Mädchen hatten ihren Lampion pink oder gelb bemalt, aber wir hatten nun ein grünes Monster zu Haus. Hatte ich einen Zorn! Ihr gefiel sie wunderbar! Heute- 26 Jahre später- ist Grün immer noch ihre Lieblingsfarbe und total im Trend. Hihi! Nun bin ich etwas ängstlich wie in 3 Jahren wohl unsere erste Laterne ausschauen wird! ;-))

  7. Pingback: Landfamilie

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben