Oh, Beu!

Drei Wochen Kindergartenferien. Eineinhalb haben wir davon schon hinter uns gebracht. Die restlichen freien Tage muss der Miezmann die Kinder hüten, da ich bereits wieder in der Agentur an meinem Schreibtisch sitze.

Eigentlich hatte ich ja gedacht, der Quietschbeu wäre über die „Mama geh nicht weg!“-Phase hinweg. Vor allem, weil ich ihn ja nicht im Kindergarten abliefere, sondern ihn zuhause an der Tür mit einem dicken Kuss verabschiede und in der Obhut seines tollen Papas lasse. Er versteht es trotzdem nicht.

„Mama, wieso musst Du so viel arbeiten?“

Ich versuche ihm zu erklären, dass ich mit meiner Arbeit Geld verdiene. Damit wir zum Beispiel in den Urlaub fahren können. Immerhin hat das einen aktuellen Bezug. Da ich aber auch meine Babykurse, die ich zum Schluss ja zuhause gab, als „Arbeit“ bezeichnet habe, versteht er natürlich nicht, wieso ich jetzt dafür wegfahren muss.

„Du kannst doch hier arbeiten. Ich bin auch ganz leise.“

Mich macht das traurig. Mehr sogar, als müsse ich ihn im Kindergarten abgeben. Da ist er nie so traurig, wenn ich fahre. Heute mussten es 4 dicke Küsse sein und er weigerte sich standhaft, die Haustür zu schließen, bis ich außer Sichtweite war.

Er möchte gerne mitkommen, auf meine Arbeit. Auch wenn ich ihm immer und immer wieder versichere, dass es dort ganz schrecklich langweilig sei, für ihn.

„Ich möchte bei Dir sein, Mama!“
„Aber Du bist doch mit dem Papa zusammen, wenn ich arbeiten bin.“
„Aber wenn Dir was passiert?“

Das sind Gedanken, die sich ein 4-jähriger nicht machen sollte. Es ist und bleibt schwierig, mit seiner Sorge um seine Umwelt, um unser aller Heil und Unversehrtheit.

Auf der anderen Seite ist er gerade in einer Phase, in der er ungerne teilt beziehungsweise ständig Sorge hat, er käme zu kurz. Ganz besonders, was das Essen betrifft. Mit dem Meedchen teilt er noch einigermaßen gerne, aber das Löwenmaul hat da schon schlechte Karten. Ich denke, es liegt generell an einer Phase des Messens, die gerade zwischen den Brüdern herrscht. Um alles, wirklich ALLES, muss ein Wettstreit ausgetragen werden. Wer zuerst die Treppe erklommen hat, wer zuerst aufs Klo darf, wer zuerst ausgezogen ist. Die Liste lässt sich beliebig fortführen. Einer heult immer. Nämlich immer der, der nicht gewonnen hat. Verlierer gibt’s ja keine. Aber eben nicht-Gewinner. Im Kontrast zum ständigen Wettstreit und Messen steht die beeindruckende Einheit, die das Löwenmäulchen und der Quietschbeu derzeit bilden. Sie spielen in Eintracht und sehr kreativ miteinander. Dabei bringen beide Jungs gleichermaßen Ideen in das Spiel ein. Wunderbar zu beobachten.

Während das Löwenmaul schon immer ein intensiver Kuschler war und das auch regelmäßig verbal einfordert, ist der Quietschbeu ja eher der körperlich Distanzierte. Doch seit einiger Zeit, ungefähr seit dieses Messen, Wetteifern und die Sorge um seine Umwelt so bedeutend in seinem Leben wurden, fordert er nachdrücklich Zärtlichkeit ein. Er will oft und viele Küsse. Er möchte, dass ich mich mit ihm ins Bett lege und kuschle, wobei das Kuscheln rein körperlich eher minimal ist. Ich darf eine Hand auf seinen Arm legen. Alles andere ist ihm zu nah. Manchmal macht mich das traurig, weil ich ihn gerne ganz feste in den Arm nehmen und drücken würde. Aber er ist da eben nicht so wie ich, oder das Löwenmaul, veranlagt. Ich gebe ihm also, was er braucht. Nicht mehr. Nicht weniger.

Er ist so unglaublich groß und vernünftig geworden. Und teilweise sehr ungestüm und laut. Vor allem laut. So laut, dass ich teilweise Sorge trage, sein mehrfach gerissenes Trommelfell könnte tatsächlich einen dauerhaften Schaden genommen haben. Wir testen ab und an sein Gehör, indem wir zum Beispiel „Gummibärchen“ flüstern. Früher wäre er direkt herum gewirbelt und hätte mit glänzenden Augen nach Gummibärchen gefragt. Jetzt reagiert er kaum noch darauf.

Nun kann das daran liegen, dass er gelernt hat, die vielen Umwelteinflüsse und –Geräusche auszublenden. Er konzentriert sich auf eine Sache und schottet sich gegen den Rest ab. Auf der anderen Seite fragt er auch wirklich oft nach, was man gesagt hat. Die Sorge bleibt also bestehen und wird früher oder später von einem Facharzt geklärt werden müssen.

Er redet so oft so altklug daher, dass es mir die Sprache verschlägt und ich ihn mit offenem Mund anstarre. Sämtliche ihm geläufige Sicherheitsregeln werden uns immer und immer wieder vorgekaut.

„Fahr nicht so schnell!“
„Man muss sich erst anschnallen.“
„Pass auf, da kommt ein Auto!“
„Mama, Du musst Dich noch eincremen.“

Manchmal denke ich, er ist viel zu erwachsen, für einen 4-jährigen. Doch dann steht er wieder mit Tränen in den Augen in der Haustür, umklammert meine Hand und flüstert: „Nicht gehen, Mama. Bitte.“

Ich sehe sein kleines Gesicht durch die Milchglashaustür, während ich davon fahre. Und habe schreckliche Angst, dass mir etwas passiert. Weil er Angst hat. Um mich.

Nichts ist reiner, als bedingungslose Liebe eines Kindes.

Geben Sie gut auf sich Acht!

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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14 Gedanken zu „Oh, Beu!

  1. Ich schließe mich an – sehr emotional. Ich kann mir vorstellen dass
    das „erwachsene“ vor allem durch die Hochsensibilität entsteht.
    Da wir das gleiche hier haben teile ich Deine Erfahrungen. Sie machen
    sich tatsächlich enorm viele Gedanken, die einfach in ein Kinderdasein nicht gehören sollten. Leider verleitet es einen selber dazu eher wie mit einem älteren Kind zu sprechen weil man ja weiß – er versteht alles, dies wiederum begünstigt die Situation. In Momenten in denen sie dann, wahrscheinlich
    altersgerecht, z.B. mit Tränen (wegen fast nichts) reagieren zeigt sich die Kehrseite. Hach… der Quietschbeu wird hoffentlich bald wieder fröhlich
    in den Kindergarten springen können und die Mama-geht-arbeiten-und-könnte-nicht-wiederkehren-Sorge tritt in den Hintergrund.

    Alles Liebe,
    G.

  2. Jedes, aber auch wirklich jedes Mal, wenn ich ein Flugzeug besteige, um zu einem Meeting zu fliegen, hab ich Angst es könnte mir was passieren. Und warum? Weil ich dann den Sohnemann zurücklassen würde. Ich weiß nicht, ob das bei meinen männlichen Kollegen auch der Fall ist, aber ich bete immer kurz vorm Abflug: „Mach, dass mir nichts passiert“ Wenn ich dann einen Tag später wieder in der Kita stehe, läuft mir der Kleene entgegen, schlingt die Arme um meine Beine und sagt: Schön, dass du wieder da bist. Das Gefühl ist definitiv unschlagbar.

  3. Das erinnert mich an ein Gedicht dass ich in meiner Kindheit mal gelesen habe: „Der den ich liebe hat mir gesagt, dass er mich braucht. Daher gebe ich acht auf mich und fürchte von jedem Regentropfen dass er mich erschlagen könnte. ”
    schluchz

  4. Hallo Frau Miez,

    diese Sorge hat meine Tochter noch bis heute und die ist jetzt 16.
    Und das ist auch immer noch belastend. Zwischen vier und ca. 11/12 war es allerdings am schlimmsten. Wie oft Sie mich am Tag angerufen hat war unglaublich.
    Ich weiß gar nicht ob mein Sohn das auch hatte und nur nicht aussprach. Bei ihr ist Sorge um alles aber ein bis heute schwieriges Thema. Weil sie das ja eigentlich verbergen möchte, dass sie in ständiger Sorge ist und trotzdem ist sie es aber. Ich weiß auch bis heute nicht wie ich ihr das abnehmen kann.

    Na ja, muss man vielleicht nicht. Vielleicht ist der Wunsch dass das Kind das Leben leichter nehmen kann unnötig. Aber ich wünsch ihr und dem QB das sie einen eigenen guten Weg damit finden.

    Das find ich eigentlich das schwierigste am Muttersein, die Dinge einfach zu lassen. Das man nicht alles richten kann und auch nicht darf. Das wär dem lieben Gott ins Handwerk pfuschen, irgendwie. Ich glaub Sie verstehen wie ich das meine….
    Das manches Gut ist auch wenns nicht dem eigenen Gefühl von Gut nicht wirklich entspricht.
    Ach, das ist aber auch manchmal kompliziert mit dem eigenen Hsp´ lichem und dem Hsp´lichem der Kinder eine Schnittmenge zu pokeln…

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